Dreieinhalb Jahre ist es mittlerweile her, dass erstmals auf dieser Seite einem Soundtrack ein Review gewidmet wurde - 30 weitere sind bis heute gefolgt. Nachdem das doch eine stattliche Zahl ist und sich so nebenbei einige vereinzelte Stücke aus dem einen oder anderen Score in meiner Bibliothek eingefunden hat, ist es höchste Zeit für ein Zwischenfazit und eine erste Krönungszeremonie für die besten Kompositionen, die sich bisher so haben finden lassen. Final ist dieses Urteil nie und nimmer, weswegen etwaige Versäumnisse vorweg entschuldigt werden möchten. Was ist aber nun überhaupt im Rennen gewesen? Nun, generell einmal höchstens ein Track pro Film und nicht mehr - tatsächlich, wie sich herausstellen sollte, eine unnötige Regel. Und dann alles, was entweder für einen Film original komponiert wurde, dafür neu aufgenommen oder neu zusammengestellt bzw. remixt wurde. Dementsprechend sind ein paar geniale Filmminuten wie die mit Iggy Pops Lust For Life in "Trainspotting" oder mit Elliott Smiths Angeles in "Good Will Hunting" schon einmal a priori nicht verfügbar gewesen. Was nichts daran ändert, dass es die bisher wohl elitärste und verdammt nochmal am undankbarsten zusammenzustellende Top 10 gewesen ist.
erstellt am: 21.12.2018
10.
Building The Crate
Chicken Run
John Powell & Harry Gregson-Williams
2000
Man verzeihe mir, dass solch eine ehrwürdige Liste mit diesem Track oder wohl eher mit einem solchen Film beginnt. Nicht, dass Chicken Run nicht Genialität in Plastilinform wäre, aber dem Stop-Motion-Werk mangelt es womöglich ein bisschen an Gewicht, um hier die Eröffnung zu übernehmen. Doch Building The Crate ist einfach auf so wunderbar comichafte Art perfekt, steigert sich vom sanften, verträumten Beginn über ein gemächliches Bläserstück mit dezentem Jazzeinschlag hin zu einer rundum epischen Vermengung von Streichern und Blechbläsern, die eigentlich viel zu majestätisch klingen für diesen Film. Ausgebügelt wird das umgehend durch einen der denkwürdigsten Momente der Filmmusik, wenn urplötzlich Kazoos das Kommando übernehmen und die so schön aufgebaute Epik des Songs ohne Umschweife ins gebotene Lächerliche ziehen, ohne an der imposanten Aufmachung groß zu rütteln. Das Gesamtbild ist episch und zum Totlachen gleichzeitig, dynamisch und bunt, wie der Film selbst und ein kompositorisches Hin und Her, das die Stimmungslagen minütlich wechselt.
9.
Sarabande End Title
Georg Friedrich Händel
1975
Hier wird tatsächlich erstmals geschummelt oder zumindest ein Auge sehr fest zugedrückt. Denn natürlich ist die Sarabande nicht ursprünglich für Stanley Kubricks Meisterwerk "Barry Lyndon" geschrieben worden. Irgendwann im 18. Jahrhundert hat sie sich Händel aus den Fingern gesaugt, ohne damit merklichen Eindruck zu hinterlassen. So scheint mir zumindest. Eingespielt wurde sie natürlich neu für den Film und daraus resultiert die beste mir bekannte Version des Stücks, die den Film in all seinem majestätischen Stoizismus, der selbst die zu diesem Stück vergossenen Tränen prägt, so gut wie nur möglich einfängt. Die Sarabande ist in dieser Version behäbig, sie mäandert starr und kaum beweglich einem Ziel entgegen, das eigentlich keines ist. Der Rest ist eindringliche, perfekt inszenierte Dramatik, die wohl in jedem Jahrhundert seit ihrer Entstehung gleich imposant geklungen hat.
8.
The Murder
Bernard Herrmann
1960
Hier wäre beinahe ein zweites Mal geschummelt worden, bin ich doch eigentlich im Besitz eines achtminütigen Zusammenschnitts, der die legendärsten Motive des Filmsoundtracks zusammenfasst, der aber gleichzeitig auf dem Soundtrack selbst so nicht zu finden ist. Insofern galt es die Bruchstücke ihrer Qualität nach zu ordnen und das beste auszuwählen. Natürlich gewinnt da Bernard Herrmanns grandiose Untermalung des Mordes in der Dusche. Mir fällt tatsächlich kein anderes Stück Filmmusik ein, das so prägnant und immerwährend im Gedächtnis präsent wäre wie dieses. Da kann man noch so sehr beim Weißen Hai, bei Star Wars oder sonstwas suchen. Das schrille Streicherstakkato, das hier geboten wird, ist das Nonplusultra der Soundtrackwelt, ausdrucksstark und eines jeden Horrorfilms würdig, ohne dabei in irgendeinerweise kitschig zu wirken. Die Bedeutung dieser paar Sekunden sehr eindringlicher, von Herrmann geschaffener Kunst kann man schon einmal in puncto Einfluss kaum überbewerten, qualitativ gibt es aber eigentlich auch nicht mehr wirklich irgendetwas darüber.
7.
Opening Titles
Cast Away
Alan Silvestri
2000
"Cast Away" ist ja eigentlich unter anderem deswegen so denkwürdig emotional, weil es über eineinhalb Stunden ohne jeglichen Score auskommt. Da brennt sich die Einsamkeit des Verschollenen noch umso mehr ein. Dass ausgerechnet mit dem Verlust des einzigen verbliebenen Gefährten, Volleyball Wilson, Alan Silvestris musikalische Begleitung ihren ersten Einsatz bekommt, ist natürlich auch kitschig, aber vor allem herzzerreißend. Das dafür geschriebene Stück, das merkwürdigerweise unter Opening Titles benannt wurde, ist eine meisterliche Zurschaustellung gefühlvollen Komponierens und wartet zwar mit einer Armada an Streichern auf, schafft es aber, diese beinahe dezent einzusetzen. Dass das mit der umrahmenden Oboe gelingt, ist weniger ein Kunststück, dass aber die hellen gestrichenen Noten genauso verloren klingen, trotzdem aber ihre emotionale Kraft behalten und einen zu Tränen rühren, ist Silvestri hoch anzurechnen.
6.
The Legend Of Ashitaka Theme
Mononoke-hime
Joe Hisaishi
1997
Das klingt jetzt vielleicht nach vertraglicher Vereinbarung, aber Joe Hisaishi musste einfach zumindest ein einziges Mal in dieser Liste vorkommen. Dass es eine Komposition für seinen besten Film werden würde, war allerdings nicht so glasklar. Dass Chihiros weltbekannte Reise hier nicht musikalisch vertreten ist, ist bitter und wurde erst ganz zum Schluss entschieden, was mit einigen Schmerzen verbunden war. So ist es The Legend Of Ashitaka in der Langversion vorbehalten, den japanischen Großmeister zu repräsentieren. Das gelingt mit einem der wenigen wirklich großartigen Stücke von ihm, die komplett ohne Klavier auskommen. Stattdessen regieren Streicher und Bläser in dualistischer Form. Das passiert in äußerst treffender, gleichermaßen der Harmoniesucht des Films, seiner imposanten Bildsprache und seiner emotionalen Dramatik angepasster Art und Weise. Die Streicher halten sich von erratischen Stakkatos oder ähnlichem fern, stattdessen regieren langgezogene, hymnische Passagen, die oft unterschwellig von tiefen, erdigen Tönen dominiert werden. Die Bläser sind dafür eher Beiwerk, schmücken die Komposition mit sprunghafteren Einsätzen aus, auch wenn diese durch den voluminöseren Klang der Blechbläser einfließen. Das Gesamtbild ist vollendete Harmonie, die verträumt und eindrucksvoll gleichzeitig ist.
5.
Sparkle
RADWIMPS
2016
Möglich ist es, dass der Soundtrack zum nunmehr erfolgreichsten Animefilm aller Zeiten weit weniger gut klingen würde, wären seine Texte verständlich. Die englische Version legt es zumindest nahe. RADWIMPS ist es allerdings trotz Hang zum traditionellen Pop-Rock gelungen, einen ungemein atmosphärischen und kunstvoll ausgestalteten Score zum filmischen Meisterwerk beizusteuern. Dabei hat die japanische Band einen guten Mittelweg zwischen großspuriger Dramatik und intimer Emotionalität gefunden, der nirgendwo besser zur Geltung kommt als im Magnum Opus des Soundtracks, Sparkle. Knappe neun Minuten dauert es und vereint mühelos und auf grandiose Art gefühlvoll sanfte Klavierpassagen mit romantischen Streichereinsätzen, unverhohlen kitschigen Marching Drums und einer kristallklaren Produktion, die die spärlichen Gitarrenklänge und die wuchtigen Drums größtmöglich zur Atmosphäre beitragen lässt. Dass sich die bei der Songlänge ins Unermessliche steigert, versteht sich da fast von selbst, auch wenn man es der Band fast übel nehmen muss, dass sie einen komplett verarscht und dem eigentlichen Songende noch einen pianogestützten Neuanfang und ein letztes, mit vollem Arrangement ausgestaltetes Finale anhängt.
4.
Opening Title
Sweeney Todd: The Demon Barber Of Fleet Street
Stephen Sondheim
2007
Ein Musicalfilm wie Sweeney Todd verlangt natürlich nach Melodramatik, nach Theatralik, nach überzeichneter Emotionalität. Stephen Sondheim dürfte der richtige Mann dafür gewesen sein, soviel verrät einem bereits der Einstieg in den großartigen Soundtrack. Fernab irgendwelcher Gesangseinlagen bleibt es das einzige rein instrumentale Stück des Films und beweist schon mit dem unheilvollen Anschwellen der Streicher und dem folgenden Orgelpart das Gefühl für das gewisse Etwas, das der Horrorfilm braucht. Es ist fast schon billig, wie übersteigert solche Stilmittel wirken, doch Sondheim kreiert damit eine groteske Szenerie, die sich einbrennt und trotz hellster Flötenklänge mittendrin eine erschreckende Atmosphäre aufbaut. Die frenetischen Streicherklänge und die wuchtigen Bläsereinsätze sind gleichermaßen von erhabener Größe und finsterem, beklemmendem Wahnsinn geprägt.
3.
Comptine D'Un Autre Été: L'Après Midi
Le Fabuleux Destin d'Amélie Poulain
Yann Tiersen
2001
Natürlich mag Yann Tiersens wohl bekannteste Komposition für einige schon hemmungslos ausgelutscht sein. Aber da können er und die Komposition nicht das dafür, dass zigtausende Coverversionen existieren und diese knapp zweieinhalb Minuten mittlerweile der Inbegriff romantischen Kitschs sind. Das dezente Klavierstück ist simpel und wenig glamourös, definitiv nicht ausgefallen oder mit irgendwelchen Überraschungen gesegnet. Aber es ist von berührender, zerbrechlicher Einfachheit mit einer Melodie zum Dahinschmelzen, die nun einmal wirklich beispielhaft für eine kindlich-naive Sicht auf so manches Unglück stehen darf. Vielleicht ist es die Universalität dessen, dass es je nach Interpretation des Hörers so viele Emotionen verkörpern und so viele Situationen begleiten kann, die das Stück etwas schwierig macht und wie den kleinsten gemeinsamen Nenner gefühlsbetonter Kompositionen wirken lässt. Ich dagegen, würde das als Stärke werten.
2.
End Theme
Byōsoku Go Senchimētoru
Tenmon
2007
Es ist der letzte Ausflug nach Japan und wohl auch der letzte Vorstoß in die Arbeit von Makoto Shinkai. Der Meister des romantisch-bedeutungsschwangeren Dialogs und Films hat anscheinend auch ein goldenes Händchen bei der Auswahl der Soundtrackkomponisten. Langzeitweggefährte Tenmon hat mit "5 Centimeters Per Second", wie es übersetzt heißt, letztmals für Shinkai einen Film vertont und gerade da auch eine berührende Klavierkomposition eingebaut. Die ist in ihrer ultimativen Version in den Credits zu hören und entfaltet dort eine kaum mehr zu steigernde emotionale Kraft, die den zerbrechlichen, glasklaren Akkorden und der fragilen Melodie entspringt.
1.
This Bitter Earth/On The Nature Of Daylight
Shutter Island
Dinah Washington & Max Richter; Robbie Robertson
2010
So sehen Außenseitertipps aus. Wobei, wohl nicht einmal das, weil wahrscheinlich kaum einer das Stück kennt. Das ist wiederum schade, weil es schon den Namen nach fast nur beeindruckend enden kann, wenn man Blues- und R&B-Sängerin Dinah Washington mit dem neoklassischen Komponisten Max Richter kombiniert. Getan hat das Robbie Robertson für den Soundtrack zu "Shutter Island" und er hat sich das schon für sich genommen berührende On The Nature Of Daylight ausgesucht, dessen Schönheit eigentlich nur von den dadurch ausgelösten Gefühlen übertroffen wird, als Fundament ausgesucht. Jetzt ist es nicht so, dass Washingtons This Bitter Earth dafür gemacht wurde, mit Richter kombiniert zu werden. Und doch ist das Ergebnis ein perfektes Zusammenwirken beider Teile, das unfassbar atmosphärisch und emotional komplett niederschmetternd wirkt.
Schlusswort:
Eine relativ schwere Geburt. Nun brüte ich nicht Tage und Wochen über solchen Listen und muss dementsprechend eingestehen, dass die hinteren Plätze morgen oder übermorgen schon wieder anders besetzt sein könnten. Effektiv gibt es so viele Kandidaten, die hier klassischerweise eine Honorable Mention bekämen, dass der Platz nicht reicht und stattdessen eigentlich eine zweite Top 10 angebracht wäre - würde das irgendjemanden interessieren? Die würde auch kaum schlechter klingen als diese, weil einfach die Auswahl zu groß war. Umso elitärer sind die ausgewählten Kompositionen, die durchaus sehr unterschiedliche Qualitäten haben, die aber alle auf emotionaler Ebene ziemlich viel können. Ja, sogar die aus "Chicken Run", wenn auch ein bisschen anders.
Kristoffer "Filme ohne Musik sind wie KISS ohne Make-Up" Leitgeb