Lange nachdem man den Punk abseits von der Version, die mit einem sehr großen Pop davor beginnt, für kommerziell tot gehalten hatte, haben es Rise Against mit einem solchen doch noch einmal an die Chartspitzen geschafft und waren dabei so politisch, wie es ebendort schon relativ lange keiner mehr war. Geändert hat sich seit dem Durchbruch zwar so einiges, der Begriff Punk ist heute beispielsweise in relativ weite Ferne gerückt. Das ändert aber nichts daran, dass es die Band aus Chicago lange genug geschafft hat, verdammt konstant auf hohem Niveau zu agieren und Melodic Hardcore zu frönen. Damit das Ganze nicht in eine ellenlange Huldigung ausartet, sei darauf verwiesen, dass es mit der Konstanz nicht mehr so weit her ist. Der Blick zurück auf die letzten eineinhalb Jahrzehnte lohnt sich dementsprechend aber umso mehr, denn in dieser Vergangenheit haben Rise Against so manche glorreiche Performance geliefert.
Erstellt am: 24.11.2018
10.
Obstructed View
This Is Noise
2007
Als einziger albumferner Track ist Obstructed View zwar hier ein bisschen ein Außenseiter, als kompromisslos dahinmarschierender Hardcore-Track mit röhrenden Riffs und starker Hook ist es allerdings musikalisch das Paradebeispiel eines Rise-Against-Songs. Als solcher kurz vor "Appeal To Reason" und damit der gezähmten Glattheit dezent unpassend platziert, war es 2007 trotzdem ein mehr als gelungener Zusatz zu einer Diskographie, die von solchen Songs noch wenige Jahre vorher beinahe komplett gelebt hat. Das hat auch damit zu tun, dass Leadgitarrist hier so ziemlich das letzte Mal als Bandmitglied zu hören ist, nachdem zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Nachfolger schon gefunden war.
9.
Chamber The Cartridge
The Sufferer & The Witness
2006
Der Opener der vierten und endgültig zum Sturm auf die Charts verhelfenden Album der Band aus Chicago hat die gute Eigenschaft, nicht nur die LP energisch anzureißen, sondern ihr auch soundtechnisch einen Stempel aufzudrücken. Das anschwellende, hier mit Marching Drums angetriebene Intro sollte die Band längere Zeit begleiten, genauso ist die gekonnte Mischung aus der High-Speed-Geradlinigkeit, die man bei ihnen vom ersten Song an gehört hat, und der neu gefundenen präzisen Produktion ein Garant für klangliche Schärfe und hymnische Refrains, die jetzt nicht nur zum Mitsingen geeignet sind, sondern auch Tim McIlrath eine verdammt gute Gelegenheit bieten, seine Parolen und Gedanken möglichst verständlich in die Welt hinauszuschreien. Und siehe da, auch mit einer ungut häufigen Wiederholung des Refrains gelingt das.
8.
Survive
The Sufferer & The Witness
2006
Zum Leidwesen mancher wird hiermit das Kapitel "The Sufferer & The Witness" bereits wieder abgeschlossen, nicht aber ohne die textliche und atmosphärische Güte von Survive ausreichend zu würdigen. Gibt es einen Track auf der LP, dem der auf Stadionausmaße schielende Sound nicht im Geringsten schadet, sondern sogar hilft, dann ist es der Closer. Dessen Drums galoppieren in einem höllischen Tempo dahin, wie es sonst nur in wenigen Liedern der Band der Fall war - und das heißt einiges -, während sich Chris Chasse vor allem nach dem Refrain markant verewigt und die ungesunde Angewohnheit, für den Refrain und die Bridge an Tempo nachzulassen, kein bisschen an Intensität kostet.
7.
Swing Life Away
Siren Song Of The Counter Culture
2004
Es gibt auch nach über 15 Jahren und unter anderem einer kompletten Akustik-LP noch immer keinen untypischeren Song für Rise Against als diesen. Vielleicht macht ihn gerade das so speziell und effektiv inmitten der harten, Stakkatoriffs, wird man doch plötzlich nur mehr mit der Akustikgitarre und einem gedämpften Drumbeat gefüttert. Das legt zwar die stimmlichen Schwächen von McIlrath komplett frei, der findet darin aber nicht sein Waterloo, sondern die natürliche Unsauberkeit, die der etwas andere Lovesong auch gut gebrauchen kann. Dem wäre nämlich nicht geholfen, würde man ihn glattbügeln und damit dem Schmalz ausliefern, stattdessen tut man gut daran, dem Track ein bisschen Disharmonie und raue Seiten zu lassen. Dadurch kommt auch weit besser zur Geltung, wie wenig sich McIlrath für die halbe Liebeserklärung an Klischees abarbeitet und mit "I'll show you mine, if you show me yours first / Let's compare scars, I'll tell you whose is worse" eine seiner besten Zeilen findet.
6.
Great Awakening
The Unraveling
2001
Back to the heavy stuff! Great Awakening vertritt einsam und allein das Debütalbum, das allerdings in allen Belangen würdig. "The Unraveling" ist genauso wie der Song nicht perfekt, strahlt aber diese rohe, wütende Energie aus, die man von den US-Amerikanern mit jedem Album weniger zu hören bekommen hat. Unreflektiert mitunter, definitiv ohne irgendwelche klanglichen oder relevanten textlichen Zugeständnisse, genauso auch mit einem Frontmann, der noch mehr am leidenschaftlichen Schreien ist als am Singen. Das klingt eher spartanisch, fügt sich aber hier zu einem Track zusammen, der es wohl gar nicht vertragen hätte, wäre an ihm nennenswert herumgedoktert worden, um ihm die Ecken und Kanten wegzunehmen. Stattdessen ist der Sound durchdringend und in aller Kürze effektiv.
5.
The Eco-Terrorist In Me
The Black Market
2014
Man konnte vorab eigentlich kaum erwarten, dass auf "The Black Market" so etwas wie das hier zu hören sein würde. Weder die Vorgängeralben, noch die elendiglich mäßige Leadsingle hätten darauf schließen lassen. Aber es gab ihn, diesen einen Volltreffer, der sich wirklich in vollem Umfang auf die Tugenden besinnt, die die Band groß gemacht haben. The Eco-Terrorist In Me ist ein Mordsriff kombiniert mit halsbrecherischem Tempo - das günstigerweise hier nur für die kurze Bridge geopfert wird - und galoppierndem Beat und dazu die textliche Schärfe, die man auf dem sonst ziemlich nachdenklichen Album kaum zu hören bekommt. Natürlich ist der anklagende Ton kein Zeichen subtiler Herangehensweise und die Selbstgerechtigkeit springt einen schon auch an, wenn die Band fast schon zum Maschinensturm aufruft. Aber es funktioniert eben auch so verdammt gut und überschattet die lahmenden Mid-Tempo-Vorstellungen, die die restliche Tracklist ausmachen.
4.
Torches
Willkommen in der lauten Welt der besten Rise-Against-LP. "Revolutions Per Minute" hat eigentlich alles, was es zum Klassiker-Dasein braucht, sieht man von der äußerst mäßigen Bekanntheit ab. Die sollte gesteigert werden, nimmt man Songs wie Torches als Maßstab. Der ist nämlich rifftechnisch einer der großen Favoriten auf die Adelung als Höhepunkt der Karriere der Band. Dass man von dem Soundtsunami generell mitgerissen wird, versteht sich von selbst, dass man gleichzeitig McIlrath weniger der klanglichen Isolation preisgibt, in der er sich später mitunter wiedergefunden hat, schadet genauso wenig. Natürlich raubt ihm das ein bisschen die Gelegenheit, mit seinem rauen Stimmchen dem Song so richtig seinen Stempel aufzudrücken, nachdem es aber damals weniger rau, sondern eher auf der dünnen Seite war, ist das nur sehr bedingt als Nachteil zu verstehen.
3.
Paper Wings
Siren Song Of The Counter Culture
2004
Paper Wings klingt im ersten Moment wie ein üblicher Track für die Band, passt aber gefühlsmäßig auf keines ihrer Alben so wirklich. Möglicherweise ist es aber in seiner melodischeren Art und mit dem tatsächlich einer Soundwand gleichenden Röhren der Gitarren doch sehr passend für "Siren Song Of The Counter Culture" und wirkt da nur deswegen etwas isoliert, weil es den Rest qualitativ so überragt. Das ist natürlich dem Riff zu verdanken - ehrlich, das ist das Um und Auf von ungefähr 90% der Rise-Against-Songs -, es ist der starken, ambivalenten Atmosphäre geschuldet, in der sich die Abschiedsszenerie spätestens mit dem Refrain und dessen Text einbrennt: "And I can't tell if your laughing / Between each smile there's a tear in your eye / There's a train leaving town in an hour / It's not waiting for you and neither am I"
Das funktioniert, auch mit einem dröhnenden Gitarrenspektakel drumherum.
2.
Heaven Knows
Revolutions Per Minute
2003
Bis jetzt ist mir nicht ganz klar, welches Gefühl Heaven Knows genau in einem hervorrufen sollte. Zwar kann man dem Track nicht gerade zugestehen, von der aggressiven musikalischen Stoßrichtung, die lange Zeit fast das einzige Betätigungsfeld der Band war, in erkennbarer Weise abzurücken. Inmitten des schon für sich genommen fantastischen Soundspektakels begegnet man allerdings kryptischen Zeilen, die einen emotional ein bisschen verwirrt zurücklassen und um Einsamkeit, Resignation, rebellischer Kampfeslust und noch ein paar andere Dinge kreisen. Was es am Ende ist, sei dahingestellt, auf alle Fälle gibt es keinen anderen Song, in dem Tim McIlrath stimmlich so aufopferungsvoll und effektiv klingt.
1.
Savior
Appeal To Reason
2008
Es würde mir hier, wie auch bei so vielen anderen Interpreten, verdammt unsympathisch sein, den populärsten und bekanntesten Song der Band auch zu ihrem besten zu erklären, wäre ich nicht so überzeugt davon. Savior ist zwar ein markanter Schritt weg von der alles durchdringenden, rohen Härte der ersten Alben, doch die damit verbundene Schwäche von "Appeal To Reason" ist eine Stärke, wenn es zu Savior kommt. Nicht nur, dass man sich tempomäßig kein bisschen zurücknimmt, der geschliffene Sound und die gelungene klangliche Inszenierung sorgen auch dafür, dass McIlraths untypischer Text rund um Beziehungsprobleme in dem Rampenlicht erscheinen, das sie verdienen. Man kombiniere das mit der Tatsache, dass sich die Melodie des Refrains als beste der Bandgeschichte erweist und die dritte Strophe und Bridge zusammen mit der von This Is Letting Go - leider, leider nicht den Cut geschafft - eine ihrer wenigen wirklich stimmungsvollen und stark getexteten ist, und ein perfekter Song ist geboren.
Schlusswort:
Wer die Liste durchkämmt, wird wohl feststellen, dass ich nicht unbedingt von Fan-Favoriten am allermeisten angetan bin. Ein paar Bandklassiker haben es nicht geschafft, manche knapp - darunter Like The Angel - andere rangieren unter ferner liefen. Eine schwierige Auswahl war es aber, denn die Beständigkeit, mit der die Band lange agiert hat, bringt einen in eine Position, in der man nicht nur mit der musikalischen Ähnlichkeit vieler Tracks, sondern vor allem mit der durchgehend hohen Qualität der ersten vier Alben zu kämpfen hat. Danach wird alles einfacher, aus Bandsicht damit leider durchschnittlicher. Genug Material bliebe allerdings, um eine zweite, nicht allzu viel schwächere Top 10 zusammenzustellen. Es bleibt aber beim Zehnerpack, der einem die geballte Schokoladenseite einer der wenigen Bands zeigt, die sich das Label Punk im neuen Jahrtausend durchaus noch verdient haben.
Kristoffer Leitgeb, Savior?