Mittlerweile sind sie zwar lange genug Geschichte, dass man davon ausgehen kann, außer einer wohl noch länger auf sich wartenden, mäßigen Reunion nicht mehr viel geliefert zu bekommen, in den 00er-Jahren war allerdings kurzzeitig so etwas wie Rockstartum erkennbar rund um My Chemical Romance. Zugegebenermaßen war das die Schuld einer begrenzten, teils belächelten Zielgruppe, allerdings hat die Mischung aus einer Hardcore-Vergangenheit und überpräsenter Vorlieben für Glam Rock für einen beachtlichen Haufen an Platinauszeichnungen gesorgt. Hat nicht ewig gehalten, aber der kurze Hype hat ohnehin nur dabei geholfen zu verdecken, was My Chemical Romance mitunter für musikalische Schmankerl zu bieten hatten. Nachdem es genug davon gibt, wird diese Top 10 eine lockere Übung.
Erstellt am: 25.11.2018
10.
Famous Last Words
2006
Es ist anzunehmen, dass bereits hier der beliebteste Song der Band abgehakt ist. Größere Hits gab es zwar, aber die Ehre, die Fans zu beeindrucken, dürfte Famous Last Words am ehesten zuteil werden. Erklären lässt sich das wohl ganz gut damit, dass der Song wie kein anderer die Vorzüger der zweiten und dritten LP der Band einfängt und damit genauso die verbliebenen Hardcore-Tendenzen konserviert, wie es auch die melodramatischen Anwandlungen der Rock Opera "The Black Parade" veranschaulicht. Theatralische Inszenierung war da inner- und außerhalb der Videos das Um und Auf, was zwar mitunter anstrengend klingen konnte, aber nicht nur Gerard Ways leidenschaftlichem Gesang und seinen mitunter kitschigen Lyrics entgegengekommen ist, sondern auch den klanglichen Variantenreichtum potenziert hat. Letzteres fördert man hiermit zwar weniger, die intensive Eindringlichkeit des Tracks verlangt aber auch nicht danach.
9.
The Kids From Yesterday
Danger Days: The True Lives Of The Fabulous
Killjoys
2010
"Danger Days" ist schwierig. Fasst es das ausreichend zusammen? Ich glaube doch. Es ist nicht wirklich zu begründen, warum man mit der letzten Studio-LP inhaltlich noch einmal großspuriger geworden ist, gleichzeitig aber fast jeden textlichen und musikalischen Fokus über Bord werfen musste. Imposant war das dann schon irgendwie, aber eher auf die Art, wie auch eine auf einen Eisberg zusteuernde Titanic Eindruck macht. Noch ist sie nicht gesunken, man kann es allerdings schon in der Zukunft sehen. Das Album hat die Band trotzdem über Wasser gehalten und ein paar starke Ideen zu Tage gefördert, auch wenn man mit dem praktizierten Synth-Rock und der fast komplett fehlenden Härte nicht immer zurechtgekommen ist. Bei The Kids From Yesterday schon, was daran liegt, dass die langatmigen Power-Balladen zu dem Zeitpunkt die größte Stärke der Band waren und vor allem Way nichts besser konnte, als in ebendiesen Minuten mit seinem aufopfernden Krächzen emotional alles aus dem Track herauszuholen. Mehr als den plumpen Beat und die schrillen Synths hätte man sich musikalisch zwar gewünscht, aber so mager das klingt, summiert es sich trotzdem zu einem der eindringlichsten Momente in der Spätphase der Band.
8.
I Never Told You What I Do For A Living
Three Cheers For Sweet Revenge
2004
Traditionell müsste die halbe Liste mit Tracks von "Three Cheers For Sweet Revenge" angefüllt sein, tatsächlich bleibt es aber bei diesem einen. Das hat damit zu tun, dass die perfekt produzierte Härte und schnelle Gangart der LP markante Einbüßen durch die diffuse Story und ähnlich uneindeutige Texte verkraften muss, sich außerdem zu oft der Monotonie hingibt. Die kann verdammt gut sein, bekommt aber einer üblicherweise in der Theatralik und im szenischen Effektreichtum aufblühenden Band nicht ganz so gut. Der Closer beeindruckt aber dahingehend als die kompromissloseste Performance des Albums, der man den emotionalen Nachdruck und die Mischung aus Wut und Verzweiflung in jeder Sekunden anmerkt, die sich die ruhigeren Sekunden noch dazu perfekt einteilt und ideal dem lauten Gewaltausbruch kurz vor Schluss entgegenstellt.
7.
Welcome To The Black Parade
The Black Parade
2006
Das war sie, die #1-Single. Ob dieser Erfolg gerechtfertigt war oder nicht, steht zwar definitiv zur Debatte, allerdings kann man dem Quintett definitiv dazu gratulieren, in dem beinahe zu einem kleinen, in sich geschlossenen Musical mutierenden Track alles zur Geltung gebracht zu haben, was sie damals drauf hatten. Welcome To The Black Parade kennt die getriebene, druckvolle Rifflastigkeit, punktet aber genauso mit dem langgezogenen Klavierintro, der kitschigen Einflechtung der erwähnten Marching Band über die Drums und dem elendiglich eingängigen Refrain. Wobei all das wenig hermachen würde, hätte der Track nicht einen reibungslosen Fluss, der jeden dramatischen Tempowechsel und jede Queen-esques, geschliffenes Gitarrenaufheulen ideal platziert wirken lassen würde.
6.
My Way Home Is Through You
Famous Last Words
2007
Die B-Side des Songs, der die Top 10 eröffnen durfte, hat den nicht zu leugnenden Vorteil, dass sie die operettenhafte Inszenierung so vieler Tracks der Band komplett außen vor lässt und sich stattdessen einer straighten Geradlinigkeit hingibt, die zwar an "Three Cheers For Sweet Revenge" erinnert, allerdings roher und weniger operativ wirkt. Das Ergebnis könnte man als düsteren Pop-Punk bezeichnen, dem es gut tut, dass er nicht Teil des einen oder anderen Konzeptalbums ist, sondern irgendwo außerhalb existiert. Das bedeutet nämlich auch, dass man den ganzen glitzernden musikalischen Zubau und die kompositorischen Winkelzüge, die die eigene Ambition anscheinend verlangt hat, komplett außen vor lässt und stattdessen einfach mal drauf los spielt.
5.
Mama
The Black Parade
2006
Bei all der unterschwelligen Kritik an dem ganzen exzentrischen Pathos, der die Konzeptalben der Band geprägt hat, könnte man meinen, dass so etwas wie Mama auf keine große Gegenliebe stößt. Doch der Song gehört in seiner musikalischen Extravaganz mitsamt Gastspiel von Liza Minnelli mit zum gefühlsstärksten, was My Chemical Romance in ihrer Karriere veröffentlicht haben und kann sich noch dazu auf die starke Kombination aus polkaähnlichem Rhythmus, den lockeren Strums an der Gitarre und dem später kommenden Wechselspiel aus stampfendem Beat und röhrenden Riffs verlassen. Großes Kino ist es eigentlich, verstärkt noch dazu durch die unterstützende Orgel und den Wurlitzer, die beide nur kurz eingeflochten sind, aber nicht wenig zur Atmosphäre beitragen.
4.
Summertime
Danger Days: The True Lives Of The Fabulous
Killjoys
2010
Summertime ist jetzt nicht frei von einer schmalzigen Note, im Gegenteil. Aber es wird auf den cineastischen Touch verzichtet, der "Danger Days" und auch eine Gutteil des davor veröffentlichten Materials ausmacht. Stattdessen ist es lockerer Pop-Rock, der zwar natürlich so angestimmt wird, dass immer noch die nötige Dramatik in dem romantischen Text steckt und sich Gerard Way stimmlich genug austoben kann, aber trotzdem die Inszenierung zurückfährt. Und weil dann gleich alles ein bisschen natürlicher wirkt und der Track noch dazu musikalisch die nötigen Zutaten mitbringt, um melancholisches Nachweinen oder nostalgisches Schwelgen in Erinnerungen ziemlich einfach zu machen, mangelt es da nicht an der nötigen Emotion.
3.
House Of Wolves
The Black Parade
2006
Die coolste Art, der eigenen Verdammnis zu begegnen, könnte mit diesem Song gefunden sein. Von dem Moment an, wo die wuchtigen Drums ihren erratischen Rhythmus hörbar machen, lässt der Track keine Wünsche offen, wenn es um ein Höchstmaß an Energie und den nötigen Freimut für die Gedanken über das Urteil nach dem eigenen Tod geht. Es ist der Band hoch anzurechnen, dass man damit jedem Schmalz entsagt und stattdessen straighterem Rock frönt, in dem sich insbesondere Ray Toro trotzdem noch perfekt in Szene setzen kann. Der Gitarrist trägt da auch nicht weniger, als er das generell bei der Band getan hat, eher noch mehr. Addiert man dazu Ways ausdrucksstarke, mit dem nötigen Swag - dass ich dieses Wort jemals verwende... - ausgestattete Performance und die geniale Hook, kann man da schwer ruhig sitzen bleiben.
2.
Demolition Lovers
I Brought You My Bullets, You Brought Me
Your Love
2002
Der größtmögliche Kontrapunkt zu den beiden vorangegangenen Einträgen wäre gefunden. Demolition Lovers ist ein beeindruckendes, aber emotional zerstörerisches Schauspiel. Der rohe Sound, der dem Debüt musikalisch, aber aufgrund von Ways damaligen gesundheitlichen Problemen auch gesanglich anhaftet, kommt hier so gut zur Geltung, dass man in dem Sechsminüter nichts außer Verzweiflung, Schmerz und selbstzerstörerische Liebe heraushört. Die Kunst, das nicht lächerlich kitschig, sondern vielmehr brutal klingen zu lassen, beherrscht die Band anscheinend, wobei da wiederum ein gesonderter Applaus für Gerard Way fällig ist. Dessen Stimme verkraftet zwar die ruhigeren Parts insofern nicht, als dass ihm die Fähigkeit zur gesanglichen Ausgestaltung fehlt, dafür ist jede Sekunde, in der er lauter wird, an Intensität nicht zu überbieten.
1.
This Is How I Disappear
The Black Parade
2006
Versucht man sich der markanten Details von This Is How I Disappear klar zu werden, könnte man meinen, es wäre ein im Vergleich zu vielen anderen Kompositionen von My Chemical Romance ein unscheinbarer Track. Es fehlt da eben die Theatralik, es fehlen die dramatischen Winkelzüge, die die US-Amerikaner oft genug ausgezeichnet hat. Stattdessen sind es röhrende Riffs, die einen mit voller Wucht treffen und eine prägnante Hook so sehr einhämmern, dass man darüber fast vergisst, dem Gesang zu lauschen. Der ist weniger exponiert als überall sonst auf dem Album, was fast immer und auch hier von Vorteil ist. Insbesondere deswegen, weil Ways Exzentrik daran nicht zerbricht, sondern einfach weniger über allem anderen thront und mehr ins Gesamte eingebettet ist. Da braucht es dann nicht mehr als die kurze Verschnaufpause in der Bridge, um dem Track noch ein bisschen an Abwechslung mitzugeben. Man verlangt ohnehin nicht danach, so gut, wie das Gesamtpaket hier klingt.
Schlusswort:
An dieser Stelle wäre der Platz für vergossene Tränen über die nun doch schon ein halbes Jahrzehnt zurückliegende Trennung der Band. Gibt es natürlich nicht, weil sich die Relevanz von My Chemical Romance dann doch einigermaßen in Grenzen hält. Aber es ist schade um dieses Quintett, das zwar irgendwann nicht mehr wusste wohin, außer in die Fragwürdigkeit der Hyper-Inszenierung ihrer eigenen Musik, das aber gleichzeitig auf ihren Alben durchaus ein beeindruckendes Feuerwerk zünden konnte, ohne irgendwann komplett ausgebrannt dazustehen. Bei nur vier Studio-Alben und einer vernachlässigbaren Single-Compilation zum Schluss hat sich stilistisch genug getan, dass man von einem Haufen kreativer Ideen in der Band ausgehen kann. Die Alben selbst zeugen davon, dass das Talent für die passende Umsetzung da war. Für den Rockolymp reicht das zwar nicht, aber für ein verdammt beachtliche Diskographie, in der der Rock gefeiert wird.
Kristoffer Leitgeb, noch mit der Ausformulierung der berühmten letzten Worte beschäftigt