Man könnte natürlich auf musikalischer Ebene so manches Alleinstellungsmerkmal herausfiltern, um den Eigenheiten von Genesis gerecht zu werden. Doch die prägnanteste Facette der britischen Band ist die vergleichsweise fein säuberliche Trennung ihrer zwei Gesichter - hier Prog-Götter, da massentaugliche Pop-Rock-Hitmaschinen. All das wäre nie und nimmer passiert, hätten nicht zuerst die fünf richtigen Leute zusammengefunden, nur um alsbald wieder zwangsreduziert zu werden. Das magische Quintett, das in den 70ern von manchen verehrte Alben veröffentlicht hat, musste zuerst Peter Gabriel, wenig später auch Steve Hackett und damit die beiden am ehesten der kunstvollen Theatralik der frühen Jahre zugewandten Leute entbehren. Was folgte, ist hinlänglich in den Charts dieser Welt nachzulesen und wurde zu einer Pop-Machtdemonstration allen voran von Phil Collins, der mit Tony Banks und Mike Rutherford mehr neue Genesis-Fans gewinnen konnte, als er alte Puristen verstört und vergrault hat.
Weil beides seine Daseinsberechtigung hat, beides trotz latenter Qualitätsunterschiede in der Breite mitunter glorreich war und weil drei Jahrzehnte des fleißigen Musizierens verdammt viel Material ergeben, gibt es hier zwei Top-10-Listen: Eine für die Freunde der Prog-Rocker vom wiederauferstandenen Genesis-Aficionado Mathias Haden, eine für die seichteren unter uns, die mit den 80er-Hits der Band übers Radio aufgezogen wurden, von meiner Wenigkeit.
erstellt am: 20.12.2018
10.
Silver Rainbow
Genesis
1983
Das self-titled Album der Briten meistert die Aufgabe, eingängigen, hookstarken Pop-Rock mit durchaus kunstvollen und ausgefalleneren Tendenzen zu vereinen, wie kein anderes Album aus der Trio-Ära der Band. Das allein bedeutet noch nicht, dass es auch das beste in dieser Phase war, aber es ist eigentlich durchgehend unterhaltsam und kurzweilig, ohne sich dabei irgendwann zu trashig anzuhören oder einfach nur kitschig zu werden. Das Problem ist nur, dass das eigentlich fast ausschließlich für die erste Albumhälfte gilt, während die zweite zu einem Gutteil durch die Qualität von Silver Rainbow gerettet werden muss. Dieses späte Zeichen der Frische findet eine der besten Kombinationen aus wuchtigen Drums, kantiger und doch melodischer Keys und tänzelndem Bass, die man in den 80ern von der Band zu hören bekommen hat. Kernstück dessen ist der Refrain, der in schimmernden Synths aufgeht und dem vor allem Collins weicher, hoher Gesang gut tut.
10.
Stagnation
Trespass
1970
Die ganz sicher dickste Überraschung einer an Überraschungen letztlich doch gar nicht so armen Auflistung (aber sehen Sie selbst, kommen Sie, kommen Sie!) gibt es gleich zu Beginn. Dabei steht Stagnation ein wenig stellvertretend für das erste große Genesis-Album, das in seiner Konstanz fast schon erschütternd ist, dem es aber auf die Wunderwerke im Kanon noch an ein wenig Feingefühl fehlt. Freunde der Band feiern ja vor allem das druckvoll harte The Knife als ersten Geniestreich und lassen Stagnation gerne komplett unter den Tisch fallen. Dabei ist dieses wunderbare Konglomerat aus den frühen, von Jonathan King produzierten Tagen als Folk-Pop-Band und späteren Prog-Himmelfahrtskommandos die fruchtbarste und dramaturgisch ergiebigste Zusammenarbeit der Prä-Collins&Hackett-Ära.
9.
Keep It Dark
Abacab
1981
Das hier wird der Startschuss zu etwas, das man fast durchgehend als Single-Festival betrachten muss. Denn Tatsache ist, Genesis waren nach dem Abgang von Steve Hackett hauptsächlich eine Single-Band. Das war das Feld, auf dem sich Collins' Hang zu R&B-Einflüssen, vor allem aber seine geschmeidige Stimme und sein Popgefühl am besten mit Tony Banks' sphärischen Synths und sprunghaften Keyboard-Parts, aber auch mit Mike Rutherfords rudimentären Gitarreneinlagen vertragen haben. Keep It Dark bringt nicht nur all das in harmonischer und lockerer Form mit, sondern hat auch noch den nötigen Humor im Text, um die Percussion- und Synth-Spielereien zu entschuldigen.
9.
Firth Of Fifth
Selling England By The Pound
1973
Ursprünglich sollte hier den melancholisch herbstlichen Reminiszenzen von Wind & Wuthering's Afterglow oder dem aufreibend unheilvollen Wunder Blood On The Rooftops von selbiger LP eine Bühne bereitgestellt werden, doch gibt es unter Genesis-Cracks wie mir ein ungeschriebenes Gesetz: Wer Tony Banks' erhabene Klaviermelodiebögen einmal gehört hat, der wird sie nie wieder vergessen. In diesem Fall würde das ein schlechtes Gewissen auf ewig bedeuten, ließe ich die vermutlich schönsten Minuten der gesamten Bandkarriere so einfach außen vor. Dazu kommt ja immerhin auch, dass Steve Hackett hier ebenfalls einen Gipfelpunkt seiner Kunst erreicht und der Rest des Quintetts dafür sorgt, dass aus einem guten Song ein großartiger, von fragiler Schönheit umnebelter Track wird.
8.
Duke's Travels
Duke
1980
Es gibt jene, die mit Genesis nach Hacketts Abgang nichts anfangen können. Selbst die finden aber oft genug ihr Heil in Duke's Travels und damit der letzten Nicht-Single dieser Liste. Logisch ist das insofern, als dass eine achteinhalbminütige fast komplett instrumentale Suite nicht in die Popwelt passt. Begründbar ist es aber vor allem auch dadurch, dass Banks hier eine seiner besten Stunden erlebt und sich genauso wie Collins an den Drums frei austoben darf und dementsprechend ein melodisches Allerlei anbietet, das eine Handvoll starker Ideen in einen Track packt und eine atmosphärisch vielfältige Odyssee ergibt. Das ist etwas, das die Band später noch öfter zu kreieren versucht hat, wobei es mit Dodo/Lurker und Domino - beide inklusive Gesang - teilweise gelungen ist. Der einzige fast ebenbürtige Track aus dieser Richtung ist allerdings Do The Neurotic, das es schrägerweise nicht auf "Invisible Touch" geschafft hat.
8.
Dance On A Volcano
A Trick Of The Tail
1976
Peter Gabriel is dead, long live Phil Collins. Man kann sich die skeptischen Blicke der Genesis-Fans wunderbar vorstellen, die nach Gabriels Ausstieg und Collins' Beförderung zum Frontmann allen Grund zum Zweifel hatten. Das Genie war auf und davon, der Drummer, der seine Sangeskunst bis dato nur auf ein paar wenigen, balladesken Tracks zur Schau stellen durfte, sollte jetzt übernehmen, ohne die Grundtugenden einer Band auf dem Zenit über Bord zu werfen? Gut nur, dass das erste Album unter seine Riege direkt mit dem für mich stärksten Track loslegen konnte. Selten sorgten sprudelnde Synthesizer, Rhythmusabteilung und Hacketts charakteristisches Gitarrenspiel trotz unterschiedlicher Tempi für ein harmonischeres Gesamtbild. Und Collins? Der kann ja doch mehr als schmachtende Balladen, die der Dramaturgie im Albumkontext dienlich sind. Eine wichtige Offenbarung seinerzeit, deren Bedeutung man nicht unterschätzen kann.
7.
Man On The Corner
Abacab
1981
Hier passt Man On The Corner wunderbar herein, weil es die Antithese schlechthin zu Duke's Travels darstellt. Keine kreativen Exzesse, keine Art- oder Prog-Rock-Avancen, keine rhythmischen Ausritte. Stattdessen eine dem Minimalismus verpflichtete Synth-Ballade, die der Drum Machine einen eigenwilligen Rhythmus entlockt und das definitiv angestaubten Sound vor allem durch Collins' großartige gesangliche Performance - effektiv eine seine besten - unbedeutend wirken lässt. Unter all den kitschigen Balladen, die die Band in den 80ern wirklich zuhauf abgeliefert hat, ist das wohl die einzige, die tatsächlich funktioniert und berührend wirkt, ohne vor Schmalz zu triefen.
7.
The Battle Of Epping Forest
Selling England By The Pound
1973
Zwischen all den formidablen Longtracks der Gabriel-Ära immer etwas stiefmütterlich behandelt und live aufgrund der komplizierten Takt- und Tempowechsel so gut wie nie gespielt, ist The Battle Of Epping Forest eine der humorvollsten und quirligsten Kompositionen, die je ihren Weg aufs Tonband gemacht haben. Von den einleitenden Trommelschlägen über den in seiner britischen Exzentrik samt Stimmungs- und Szenenwechsel an Monthy Python erinnernden Humor bis hin zum kollektiven Kraftakt: die Orgel wabert, Gabriel leiht einer gefühlten Armada an seltsamen Figuren seine Stimme und die Rhythmusabteilung rackert sich ab. Obacht! Here come the cavalry!
6.
Invisible Touch
Invisible Touch
1986
Natürlich wäre da noch I Can't Dance, aber abgesehen davon gebührt wohl Invisible Touch der Titel des Songs, den alteingesessene Prog-Fanatiker unter den Genesis-Fans wohl am meisten verabscheuen. Was vielleicht weniger an der Qualität, sondern am überwältigenden Erfolg in Verbindung mit der elendiglich poppigen Aufmachung des Songs liegt. Und ja, der Song glitzert einem produktionstechnisch auf Kilometer entgegen, geht über an Synths und erhält sich seinen R&B- bzw. Motown-Charme nur gerade so unter all den synthetischen Soundschichten. Allerdings findet man verdammt wenig da draußen, was besser im Ohr hängen bleibt, ohne einen damit auf alle Zeiten zu quälen. Anders formuliert, ist der Titeltrack des Millionensellers die ultimative Form eines starken, harmonischen Welthits, dem man den Spaß der Band bei der Arbeit in jeder Sekunde anhört.
6.
The Fountain Of Salmacis
Nursery Cryme
1971
Mit dem ersten Album in der klassischen Banks-Collins-Gabriel-Hackett-Rutherford-Besetzung sollte man zwar ein letztes Mal die heimischen Charts verpassen, doch wurde hier eine musikalische Vision verfeinert, die schon auf dem nicht minder großartigen Vorgänger Trespass in großer Manier zelebriert wurde. Und während Fans die LP in erster Linie wegen des einleitenden The Musical Box in allen Ehren halten, ist es das abschließende Stück, das mir die größte Freude bereitet. Die Darstellung der Begegnung bzw. Metamorphose von Salmacis und Hermaphroditos aus der griechischen Sagenwelt, untermalt von dramaturgisch effektvollen Laut/Leise-Passagen, einer leidenschaftlichen Band-Performance und den musischen Melodiebögen, ist aber auch einfach zu mitreißend und schön, um sich ihrer entziehen zu können: "Both had given everything they had / A lover's dream had been fulfilled at last / Forever still beneath the lake".
5.
That's All
Genesis
1983
That's All ist...geschmackvoll. Das klingt zwar ein bisschen nach einem Wort, das man nur für einen Edelporno verwenden würde, gemeint ist es aber eher als Kompliment für die klischee- und kitschfreie klangliche Ausstaffierung des Songs. Natürlich findet man keine fünf Wendungen auf melodischer Ebene, aber die über alle Maßen simple Klavier-Hook funktioniert genauso wie Banks' zurückhaltende Synthesizereinsätze, die selbst im kurzen Instrumentalpart unglaublich gut zum organischen Drumherum passen. Dazu kommt Rutherfords gewohnt simpler, hier allerdings atmosphärisch starker Gitarrenpart, der im wiederum gesangsfreien Finale großartige Form annimmt und die rhythmische Stumpfheit des Songs allzu leicht verschmerzbar macht.
5.
One For The Vine
Wind & Wuthering
1976
Wer gedacht hatte, mit der ungewollten Machtübernahme durch Phil Collins wäre die Zeit der großen Epen sofort vorüber gewesen, der wurde bereits auf A Trick Of The Tail eines Besseren belehrt. Mit dem Nachfolger im selben Jahr sollte Collins Sternstunde in Sachen absorbierender Erzählkunst allerdings erst aufgehen. One For The Vine schildert über zehn Minuten die Geschichte eines Mannes, dem das zweifelhafte Schicksal auferlegt wird, als Auserwählter seine Gefolgschaft in die Schlacht zu führen ("They leave me no choice / I must lead them to glory or most likely to death"). Spannender als die Geschichte ist aber noch das musikalische Zusammenspiel von Steve Hackett, Mike Rutherford und Tony Banks, das sich im instrumentalen Mittelteil zuerst beruhigt und vor dem finalen Erzählstrang mächtig aufbäumt. Melancholie und Pathos am letzten großen Epos.
4.
Jesus He Knows Me
We Can't Dance
1991
Zugegebenermaßen kann es sein, dass ich diesen Song hauptsächlich wegen seines genialen Videos so gut finde. Und weil das gar so außergewöhnlich gut ist, muss es hier auch in voller Länge, also inklusive Collins' einleitendem Monolog, verlinkt werden. Der Rest, also das fast zur Nebensache degradierte Musikalische, ist aber in Wahrheit ähnlich stark und hat die gleichen Vorzüge im Angebot, mit denen auch Invisible Touch punktet. Womöglich liegt die Stärke dabei auch darin begründet, dass die geschmeidigen Keyboard-Parts von Banks und die lockere Rhythm Section bestmöglich auf Collins abgestimmt sind und ihm die Gelegenheit geben, einmal nicht schmalzig, aber trotzdem prägnant in Erscheinung zu treten. Das würde vielleicht schon reichen, wird aber abseits des starken Refrains ohnehin auch noch durch eine wunderbar sinnfreie Reggae-Bridge verstärkt.
4.
Carpet Crawlers
The Lamb Lies Down On Broadway
1974
Es gibt Leute, die behaupten, man könne Musik nur dann richtig verstehen, wenn man ort- und zeitmäßig einigermaßen dabei gewesen ist. So ganz mag ich diese Haltung auch nicht von der Hand weisen, bei den Carpet Crawlers, der sicherlich bekanntesten Nummer meines Teils des Rankings, bedarf es aber mitnichten jeglicher Vorkenntnis, um sich in den fünf Minuten, ja fast reiner, Pop-Finesse zu verlieren. Die Väter des Erfolges heißen hier einmal mehr Tony Banks, der mit seiner Fingerfertigkeit an den Tasten eine ganz einzigartige, unaufgeregte, gleichzeitig nicht ganz sichere Atmosphäre wie in einer schimmernden Akustikwolke erzeugt, und Gabriel, dessen Gesang sich zusammen mit dem Tempo in jeder Strophe steigert und nachdrücklicher wird. Und da man im hübschen Refrain auch mal wieder Phil Collins hören kann, gibt es hier tatsächlich nichts zu meckern.
3.
Mama
Genesis
1983
Im Gabriel'schen Sinne ist Mama womöglich Collins' textliches Glanzstück, nimmt man sich Genesis in den 80ern vor. Ich gehe zwar davon aus, dass Peter Gabriel nicht unbedingt einen Song über das unbändige Verlangen nach einer Prostituierten geschrieben hätte, aber der Song kommt textlich und netterweise auch musikalisch mit all der cineastischen Theatralik daher, für die die Briten lange Zeit bekannt waren. Zwar macht man das hier ohne feinste Gitarrenparts - auch wenn Rutherfords raues Understatement ziemlich stark klingt -, dafür eher über den abgehackten, pulsierenden Beat und sphärische Synth-Parts. Der Effekt ist allerdings der gleiche, was wiederum nur gelingt, weil Collins den erst spät über Bord geworfenen klanglichen Minimalismus für eine gesangliche Sonderleistung nutzt. Die aggressive Verzweiflung, die er dem Song einverleibt, hallt auf alle Fälle nach.
3.
The Lamia
The Lamb Lies Down On Broadway
1974
Während Peter Gabriel gedanklich wohl schon mit den ersten Zehen aus dem Bandleben ausgestiegen war, schickte er Rael, den Protagonisten des vermeintlichen Magnum Opus seiner Band, noch einmal in die Traumatahölle. Genauer genommen in die Kammer der drei Lamia, die den jungen Helden vorfreudig erwarten. Was dort im sweet pink water zwischen den anwesenden Lebewesen passiert, ist eigenartig und sollte jeder selbst für sich entdecken, die musikalische Untermalung würde aber ohnehin jegliche etwaige Schwächen in punkto Text entschädigen. Tony Banks hat immerhin einige seiner schönsten Momente am Klavier, Gabriel liefert noch einmal ein großes Feuerwerk der fantasievollen Kunst und die Melodien vom schicksalhaften Aufeinandertreffen dürften mit magisch am akkuratesten beschrieben sein.
2.
Land Of Confusion
Invisible Touch
1986
Wiederum ist das Video hier ein Kunstwerk für sich, die Qualität des Songs Land Of Confusion ist aber auch so über fast jeden Zweifel erhaben. Beschränkt man sich auf die Up-Tempo-Songs der Band, wird man vom Trio, zu dem Genesis Ende der 70er wurden, nichts Besseres finden. Abgesehen davon, dass die Hook einfach einen glorreichen Refrain herausspringen lässt, überzeugt das Arrangement in all seiner Einfachheit auch abseits davon. Rutherfords Riffs sind zwar immer noch eher als kleine Häppchen verstreut über den Song, allerdings rauer und präsenter als das meist der Fall war, sein Basspart ist gleichzeitig im Zusammenspiel mit Banks' erratischen Keyboard-Einsätzen, die sich in altbekannter Manier übereinanderstapeln und doch sprunghafter als sonst wirken, ein großartiger Motor für den Song.
2.
Dancing With The Moonlit Knight
Selling England By The Pound
1973
Nimmt man sich die beachtliche Diskographie der Briten zur Brust und wirft dabei einen Blick auf die eröffnenden Stücke, wird man unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass hier des Öfteren ein Händchen für absolut gelungene Opener unter Beweis gestellt wird. Dancing With The Moonlit Knight stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar und begleitet, zuerst grazil, dann grobschlächtig und schließlich wieder seidenweich in das vielleicht kompletteste Album im Repertoire. Wie sich hier Hacketts crispe Leadgitarre mit Banks Keyboards und Collins präzisem Getrommel matcht, dazu ein falscher Chor für zusätzliche Dramatik im ohnehin schon launischen Fanfarenepos im Walzertakt sorgt, das ist schon meisterlich. Rutherford soll ja kein Fan sein ("too busy") und live wurde der Recke auch kaum gespielt, aber uns soll es egal sein.
1.
No Son Of Mine
We Can't Dance
1991
Stimmige Genesis-Balladen sind, wie bereits erwähnt, irgendwann eine wirkliche Rarität geworden. Vielleicht hat das damit zu tun, dass sie unter Collins' Führung meistens ein schleppendes, unter kitschigen Synthie-Schichten begrabenes, effektiv scheintotes Etwas geworden sind. No Son Of Mine ist allerdings eine herausragende Ausnahme, die für einen Track mit so hemmungslos glatter Produktion eine unglaubliche atmosphärische Kraft entwickelt. Zu verdanken ist das einem in allen Belangen perfekten Arrangement, deren größter Wurf womöglich wirklich der "elephant sound", also Rutherfords von Banks bis zur Unkenntlichkeit entstellter Gitarrenriff, dem zu Beginn nur ein monotones Ticken und dezente Arbeit an der Gitarre zur Seite gestellt werden. Selbst nachdem dieser eigenwillige Sound weg ist, ist das Amalgam aus dahinschwebenden Synthesizern, dem klassischen Collins-Reverb an den Drums und Rutherfords starkem Picking unglaublich stimmig und steigert sich noch dazu zu einem intensiven Refrain, der seinesgleichen im Pop-Rock sucht.
1.
Watcher Of The Skies
Foxtrot
1972
Ich erinnere mich noch als wäre es gestern gewesen an jenem verheißungsvollen Tag, an dem mir der Watcher Of The Skies zum ersten Mal die Gehörgänge ordentlich durchgeblasen hat. Solche Dinge vergisst man nicht. Und wäre es nicht der Tag der Hochzeit meines Onkels gewesen (nein, es war nicht dort), ich könnte mich dennoch ganz genau daran erinnern. An das Spannungsmoment, den das ausgedehnte Keyboard-Intro samt sanfter Orgelliebkosung in mir ausgelöst hat, ehe Drums und Co. aufs Tempo drücken sollten und mir eine Welt offenbaren sollten, die ich davor nie betreten hatte. Die Welt von Foxtrot, die Welt von Peter Gabriel als Frontsänger und vor allem die Welt einer Band, die ich davor schon lange kannte, aber eben ganz anders. Solche Dinge vergisst man nicht: die einleitenden Takte eines Meisterwerks und den Start einer ganz großen Liebe.
PS: Wie mir soeben aufgefallen ist, habe ich abgesehen von The Lamb Lies Down On Broadway bei wohl keinem Album jenen Track als Liebling erkoren, der den Status als Fanfavorit innehält. Und das, obwohl ich genau das ursprünglich erwartet hatte, mich durchaus als kleinen Genesis-Konsensheini gesehen hatte und nach wie vor sehe. Aber The Knife, The Musical Box oder das überlebensgroße Supper's Ready, für nicht wenige ja der ultimative Genesis-Track, sprechen da wohl eine deutliche Sprache, obwohl sie alle meine ungeteilte Wertschätzung genießen.
Schlusswort:
Ich hoffe doch, die gerechte Arbeitsteilung verschafft beiden Seiten der britischen Band genug Platz, um die nötige Wertschätzung zu bekommen. Natürlich kann man zweifellos argumentieren, dass die eine Ära mehr verdient hätte als die andere, aber dafür ist es jetzt zu spät. Bei Genesis kann man allerdings so oder so wenig falsch machen, auch wenn kaum zu leugnen ist, dass die Schlucht zwischen den Zielgruppen der Gabriel- und der Collins-Regentschaften eine sehr große ist. An dieser Stelle vielleicht noch ein kurzes anerkennendes Nicken an all die Songs und Alben, die sich auch einen Platz verdient hätten - meinerseits vor allem Ballad Of Big, das eigentlich ein zweiter zehnter Platz neben Silver Rainbow sein sollte. Ein noch größerer Dank an den verloren geglaubten Sohn/Maniac Mathias Haden dafür, dass er den schwereren und doch dankbareren Part einer Auslese des Prä-Trio-Materials übernommen hat.
Kristoffer Leitgeb, man on the corner