Es mag manchen ein großer und schmerzhafter Dorn im Auge sein, aber dieses Quartett, das sich fragwürdigerweise nach dem Handlanger eines filmischen Superhelden in einer Zeichentrickserie benannt hat, gehört zu den erfolgreichsten Pop-Rock-Bands des neuen Jahrtausends. Dem nicht genug, haben es Fall Out Boy sogar zusammengebracht, gleich zwei ungeliebte musikalische Strömungen an vorderster Front mitzubestimmen und dementsprechend sowohl mit Pop-Punk als auch mit Hip-Hop-infiziertem Elektronik-Rock die Charts zu belagern. Sympathisch macht einem das die US-Amerikaner naturgemäß weniger, dafür muss man aber eingestehen, dass das Popgefühl der handelnden Personen ausgeprägt genug ist, um immer wieder für Songs zu sorgen, denen man nicht entgehen kann und will. Stilistische Verrenkungen sorgen dann gleich auch noch dafür, dass sich das in unterschiedlichsten klanglichen Richtungen manifestiert und eine relativ bunte Palette an Treffern ergibt.
erstellt am: 09.12.2018
10.
I Slept With Someone In Fall Out Boy And All...
From Under The Cork Tree
2005
Während ich mich beharrlich weigere, den humorfernen Songtitel voll auszuschreiben, gibt es keine solchen Probleme beim Eingeständnis, dass einer der, wenn nicht ohnehin der härteste Song der Band auch einer ihrer besten ist. Auf ihrer zweiten LP hat das Quartett die durchaus schwierige Aufgabe bewältigt, das poppige Songwriting und die blankere Produktion mit den nicht im Mindesten reduzierten Hardcore-Einflüssen zu verbinden. Zugegebenermaßen war das teilweise ziemlich langweilig und lauwarm, hier allerdings bringt es einem einen großartigen Riff von Joe Trohman, Patrick Stump mit einer seiner frühesten unnachahmlich unnatürlich wirkenden Pressgesangsvorstellungen und den bei weitem besten Einsatz von Pete Wentz' tiefen Screams, die sich in der Diskographie finden. Und zumindest in Maßen denkwürdige Lyrics im Refrain.
9.
Novocaine
American Beauty/American Psycho
2015
Gratuliert sei jedem, der die miserable Bilanz der Band seit ihrem Comeback anerkennt und dann vielleicht noch "American Beauty/American Psycho" als absoluten Tiefpunkt einer Karriere und zumindest eines der größten Verbrechen des Rockjahrzehnts ansieht. Wobei ein bisschen fraglich ist, ob diese jeglicher Natürlichkeit beraubte und in Elektronik untergehende Soundmischung überhaupt noch als Rock zu bezeichnen ist. Allerdings sind da irgendwo doch schwergewichtige Gitarrenriffs, sie dürfen nur nicht mehr so klingen und müssen unter Samples, Claps und einem Haufen anderen Dreck begraben sein. Nun gibt es einen Song, der das alles nicht nur stoisch hinnimmt, sondern daraus Kapital schlägt und es beinahe schafft, die ganze LP in ein positiveres Licht zu rücken. Novocaine darf man das deswegen zugestehen, weil es einerseits die Stoßrichtung von The Phoenix fortsetzt und somit eine glorreiche Überdehnung jeglicher theatralischen Übergröße ist, was a priori scheiße klingt, aber enorm unterhaltsam daherkommt. Andererseits münzt es die anorganische Suppe aus allerlei Elektronik und Stumps mittlerweile kaum noch verwertbare Gesänge in ein aggressives, unnatürliches Ganzes um, das ungebändigt dahinpflügt und die Hook einmal nicht unter allerlei Müll begraben muss.
8.
The Patron Saints Of Liars And Fakes
Hach, da war alles noch so viel leichter. Man musste nicht auf erwachsen machen, durfte gleichzeitig kitschig, zynisch, gehässig, selbstverliebt und selbsthassend sein, ohne dass das sonderlich unharmonisch gewesen wäre. Außerdem haben damals Riffs noch nach Riffs geklungen und in ihren hellen und schnellen Variante waren sie eine Waffe, die Fall Out Boy äußerst effektiv einzusetzen wussten. Hier exemplarisch und dann doch wieder außergewöhnlich stark zum besten gegeben, auch wenn man sich nie so ganz mit Stumps hellem, dünnem Stimmchen anfreunden kann. Das ist aber ohnehin eher hintergründig, weil man sich einfach am genialen Riff und den aggressiven Zeilen im Refrain nicht und nicht satthört.
7.
Fame < Infamy
Infinity On High
2007
Man könnte auf die Idee kommen, diesen Track unscheinbar zu nennen und auf einer LP wie "Infinity On High", die mit mehr Genres spielt, als ihr gut tut, ist er das vielleicht sogar. Die Pop-Punk-Formel hinter der Komposition ist simpel und doch ist es eine Hook, an der nicht nur nichts auszusetzen ist, sie ist einfach nur zu loben. Unabhängig von der drohenden Gefahr, ins Monotone abzudriften, ist das ein Riff, der wohl über allen anderen der Band thront und dort insbesondere in der poppig-glatten Produktion des dritten Albums umso mächtiger erstrahlt.
6.
The Phoenix
Save Rock And Roll
2013
Zwar wäre es witzlos und schlicht unsinnig, die kitschige, komplett übersteigerte Art dieses Songs leugnen zu wollen, doch der Effekt dieser kaum mehr ausreichend beschreibbaren Theatralik ist durchaus positiv. Mit seinen wuchtigen, stampfenden Drums, dem Streicherstakkato im Intro, den schrillen Synths und Stumps absolut jenseitigem Text ist der Track in Wirklich lächerlich, gerade da liegt aber auch bis zu einem gewissen Grad die Stärke. Der Auftritt der US-Amerikaner ist hier majestätisch dämlich, wobei man umgehend das Gefühl bekommt, dass dieses eine Mal nicht einmal die Band dazu in der Lage ist, sich selbst ernst zu nehmen. Losgelöst von dieser Aura des Schwachsinns bleibt es aber eine großartige Hook, ein stadiontauglicher Refrain, der nicht zu kalten Schauern führt, und die überzeugendste Vorstellung des "neuen" Patrick Stump, der keine Zeile mehr ohne ein Übermaß an Nachdruck ins Mikrofon singen kann.
5.
The Pros And Cons Of Breathing
Take This To Your Grave
2003
Es ist der Band durchaus hoch anzurechnen, dass sie es geschafft hat, relativ weinerliche Emo-Texte anno dazumal weder in schmalzige Balladen, noch in abgeschmackte Grunge/Metal-Parodien zu verpacken. Stattdessen ist es ihnen gelungen, den gebotenen Pop-Punk mit gerade genug verrohter Härte anzureichern, dass man sie als Hardcore-Band wahrnehmen konnte. Natürlich nur mit reichlich gutem Willen, weil Fall Out Boy einfach nie dazu in der Lage waren, ihr Gefühl für starke Popmelodien vollkommen zu verstecken. So auch hier nicht, was allerdings tatsächlich beinahe komplett an einem vorbeigeht, weil auf emotionaler Ebene überraschend intensiver Stoff geboten wird. Der ist zwar immer noch egozentrisch, bietet aber mit "I want to hate you half as much as I hate myself" auch die denkwürdigste Zeile des Albums und den Gipfel der adoleszenten Wut, die die Band so zu bieten hat.
4.
I Don't Care
Folie À Deux
2009
Während "Folie À Deux" wundersamerweise zu einer Art verkanntem Klassiker des 00er-Rock hochstilisiert zu werden - nicht zuletzt auch von manchen, die Fall Out Boy ansonsten mehr belächeln als sonstwas -, ist der eindeutig stärkste Track des Albums eigentlich einer, der so besser auf den Vorgänger gepasst hätte. Denn I Don't Care ist der nächste Genreausritt, der sich mit seinem kernigen Riff in Richtung Classic Rock verabschiedet, dabei bewusst billig wirkt und es einem mit latenter Aufdringlichkeit und Selbstverliebtheit genauso gewollt vergellt mitzusingen. Dass man dem trotzdem nicht entkommt, dafür sorgt spätestens die Refrainzeile "The best of us can find happiness in misery", der man nur mit einer zwiegespaltenen Hassliebe begegnen kann. Insgesamt bekommt man eine Hymne auf alles Unsympathische und Asoziale, was sich aus dem Mund Patrick Stumps erstaunlich gut macht und die übrigen, so bemüht und fehlgeleitet theatralisch ausgestalteten Songs der LP verblassen lässt.
3.
Young Volcanoes
Save Rock And Roll
2013
Verteidigungen fallen hier relativ schwer, weil Young Volcanoes zwar generell definitiv nicht zu den überproduziertesten Tracks des Albums zählt - da gibt es ganz andere Kandidaten -, aber als Powerballade wohl am ehesten an der übervollen Arrangement und dem wilden Stilmix zerbrechen müsste. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall und der dröhnende Mischmasch aus statischen Synthesizern, Claps, Hochglanz-Akustikriffs und latenten Worldbeat-Einflüssen an der Drum- und Backgroundgesangsfront. Womöglich profitiert gerade Stumps mäßige Stimmgewalt von diesem lauten Mantel, durch den er weniger exponiert ist und stattdessen in den hymnisch langgezogenen Refrains eine starke Figur machen darf. Dass der Text insgesamt wenig sinnvoll erscheint und so manche Metapher nur wegen ihrer Theatralik eingeflossen sein dürfte, stört diesbezüglich weniger, weil es in einer Phase kommt, in der jede solche Übersteigerung der Band auf merkwürdige Art geholfen hat, wenn sie gleichzeitig die passende Hook als Unterbau hatte. Und wenn hier etwas passt, dann das.
2.
I've Got A Dark Alley And A Bad Idea...
From Under The Cork Tree
2005
Wiederum ein elendiglich langer Songtitel, wiederum kein Humor darin, diesmal allerdings keine dahinter versteckte Hardcore-Härte. Stattdessen ist dieses Lied der Inbegriff einer stimmigen Powerballade, die sich im komplett konventionellen Rockgewand präsentiert, allerdings luftiger klingt, als man es von den US-Amerikanern gewohnt ist. Umso bemerkenswerter ist dahingehend, wie stark und untypisch Stump dabei klingt. Gefühlvoll und tiefer als in den allermeisten übrigen Songs der Band, damit auch ein starker Kontrast zu den hellen Riffs, die das musikalische Setting dominieren. Gleichzeitig ist der Text zwar selbstmitleidig, wie man es wohl erwartet, dabei aber reflektierter und verletzlicher, ohne die bissig-sarkastische Maskerade, hinter der Fall Out Boy ihre emotionalen Zusammenbrüche meistens verstecken. Das ist erfrischend, vor allem aber berührend, wo das eigentlich bei der Band gar nicht sein dürfte.
1.
Thnks Fr Th Mmrs
Infinity On High
2007
Zwar ist auch dieser Song einer der Gründe, warum der Pop-Punk irgendwann an seiner eigenen Theatralik und Unnatürlichkeit erstickt ist und in Vertretern wie Panic! At The Disco seine Totengräber gefunden hat. Andererseits ist es auch Sicht der Band ein kompositorischer Triumph, der melodisch alle ihre anderen Tracks überragt und gleichzeitig die musikalischen Experimente der Alben 3 und 4 mit einem dahingehend lupenreinen Arrangement überstrahlt. Ohne den Antrieb durch die starken Power Chords ginge natürlich wenig, doch der cineastische Touch des Intros mit dem dramatischen Streichersatz, den leichten Bläserklängen und den hellen Violinenzupfern ist allein schon ein Beweis für die klangliche Güte des Songs abseits des angestammten Line-Ups. Dass man gleichzeitig Stump in seiner womöglich größten, weil für seine Stimme perfekt passenden Stunde erlebt, wie er sich nicht nur in den druckvollen Refrains, sondern auch neben dem leichten Latin-Touch der Bridge austobt, ist ein Genuss. Abgerundet wird das noch dadurch, dass mit all dem nicht etwa die Mischung aus Wut, Missgunst und Verzweiflung des Betrogenen komplett untergeht, sondern einem auf zwar theatralische, aber durchaus atmosphärische Art deutlich gemacht wird.
Schlusswort:
Vielleicht sollte an dieser Stelle das Eingeständnis folgen, dass ich diese Band durchaus irgendwann zu verabscheuen gelernt habe. Allerdings nicht in ihrer Gesamtheit. Wie wenige andere Bands ist es den US-Amerikanern um Patrick Stump nämlich gelungen, ihre Karriere in eine durchaus sympathische und eine allumfassend unsympathische aufzuteilen. Zu befürchten ist, dass letztere einfach nicht mehr aufhört, während erstere nur mehr eine Sache für die Nostalgiker ist. Ein bisschen Hoffnung besteht aber für die, die sich noch Interesse an der Band bewahrt haben (not me), was unter anderem durch "PAX AM Days" verdeutlicht wird. Das ist zwar auch schon wieder ein halbes Jahrzehnt alt, klingt aber mehr nach Punk, als es die Band sonst je getan hat, und ist dabei nicht einmal schlecht. Wobei es immer noch die Tage dramatische Pop-Grandezza sind, in denen Fall Out Boy am ehesten aufgeblüht sind und genau dieser gilt es sich zu erinnern.
Kristoffer Leitgeb, oh, how I don't care