Es ist zwar eine ernüchternde Erkenntnis, aber mein einziger wirklicher Bezugspunkt zum Hip-Hop ist bis heute der weiße Rapper, der in den 00er-Jahren die Charts, die Medien, die politisch Korrekten und die abgehängten schwarzen Kollegen terrorisiert hat. Das ist weniger nicht enden wollender Bewunderung für Eminem geschuldet, sondern der altbekannten musikalischen Sozialisierung, die genau in diese Ära gefallen ist, und dementsprechend der Gewohnheit. Das wiederum heißt nicht, dass man nicht auch abseits davon in Ehrfurcht erstarren kann und darf, wenn es an manche seiner unfassbaren Vorstellungen geht. Löchrig wie Schweizer Käse und ermüdend lang waren die LPs immer, aber finden konnte man dort oft genug geniale Minuten, die die Ausdauer auf Hörerseite fast schon rechtfertigen. Nervenschonender ist es trotzdem, sich einfach die besten Minuten von Slim Shady herauszupicken und eine Top 10 daraus zu machen.
Erstellt am: 28.11.2018
10.
Sing For The Moment
The Eminem Show
2002
Es gibt, gelinde gesagt, ambivalente Urteile, was die vierte LP des Rappers anbelangt. Das Abdriften in Richtung Rap-Rock und die Mischung aus dem Kampf mit der Öffentlichkeit und der x-ten Aufarbeitung der eigenen, der Vergangenheit geschuldeten Seelenpein war einigen zu viel oder aber zu wenig, je nach Standpunkt. Allerdings verharre ich auf dem Standpunkt, dass man produktionstechnisch kein besseres Eminem-Album finden wird und dass ihm die über die Maßen präsente Vorliebe für einen geglätteten Rocksound mehr als alles andere liegt. Sing For The Moment ist nun, auch dank des Aerosmith-Samples, die wohl deutlichste Manifestation dessen. Schleppender, trockener Snare-Beat, darüber atmosphärische, knöcherne Gitarrenriffs und Klavierakkorde. Stimmung war da alles und das hat weit genug geführt, dass Ems Mischung aus anklagender Wut und Selbstreflexion hier frischer und vor allem langlebiger geklungen hat als in den allermeisten anderen Fällen.
9.
Déjà Vu
Relapse
2009
Sollte irgendjemand zum Ende des letzten Jahrzehnts noch nicht das Gefühl gehabt haben, dass der US-Amerikaner musikalisch auf eher monotonen Pfaden unterwegs ist, mit "Relapse" wurde es jedem überdeutlich gemacht. Dementsprechend zäh und ermüdend war die LP auch dank der Wiederauferstehung nicht im Geringsten vermisster Alter Egos. Déjà Vu spielt sich damit netterweise nicht, bietet stattdessen eine klanglich karge Nacherzählung des tiefen Falls, den die Drogen Eminem in den Jahren davor beschert haben. Und das gerät lyrisch fast gewohnt beeindruckend, allerdings aufgrund der blanken Ehrlichkeit noch ein bisschen schockierender als so mancher Horrorcore-Track früherer Jahre und gleichzeitig dank der Gitarre und den Orgelklängen im Refrain nicht komplett effektfrei.
8.
Berzerk
Es ist so schwer zu sagen, warum "The Marshall Mathers LP 2" plötzlich wieder funktioniert hat, nachdem die vorangegangenen Alben so mäßig waren. Soundtechnisch hat sich zumindest in puncto Zutaten wenig geändert. Gerade Berzerk ist wieder der klassische Eminem-Rap-Rock, allerdings hier - im krassen Gegensatz zu den Vorjahren - bis zum Bersten mit Energie angefüllt und sowohl musikalisch als auch raptechnisch kompromisslos erratisch. Vollgestopft mit Samples, Scratches, Riffs und Eminems bestem Flow seit langem, ist es eine Wiederbelebung der besonderen Art, die sich zwar nicht einmal ein klein wenig nach Substanz ausstreckt, aber im Endeffekt der lockerste Volltreffer seit der "Slim Shady LP" ist.
7.
Rabbit Run
8 Mile: Music From And Inspired By The Motion Picture
2002
Wer an "8 Mile" denkt, denkt an Lose Yourself. Und so stark die Motivationshymne auch sein mag, rein qualitativ wird sie vom Closer des Soundtracks eindeutig in den Schatten gestellt. Rabbit Run ist einer der düstersten Eminem-Tracks und treibt mit seinem synthetischen, tiefen Keyboard-Sound, der wiederum irgendwo zwischen Orgel und Trompeten steckt, unerbittlich an. Martialisch und apokalyptisch mutet das an, was auch am Fehlen eines Refrains liegt. Stattdessen wird durchgehend dem genialen Flow nachgegeben, der sich genauso wie der Beat immer weiter ins Hirn eingräbt und irgendwann den Fokus auf Lyrics gegen Null gehen und einen stattdessen im einschüchternden Sound untergehen lässt.
6.
White America
The Eminem Show
2001
Wer ein Album so eröffnet, der kann Kampfansagen. Die sind an und für sich schon Eminems Stärke, allerdings hat er hier und auf der LP generell ein reflektierteres Bild seiner Rolle in der Gesellschaft geboten. Dass er für manche in den USA das personifizierte Böse gewesen ist, liefert ihm zwar immer noch eine Armada an Zielscheiben, an denen er sich aggressiv abarbeiten kann. Doch dem coolen Beat vorgelagert ist auch eine Bestandsaufnahme dessen, was generell im Land falsch läuft und wie sich Eminem in diese Probleme einfügt. Als schlechtes Vorbild, als gefährlicher Ideenspender, aber eben doch auch nur als Musiker und nicht als Waffenproduzent. Vielleicht zu viel Rechtfertigung für manche, in seinen Händen allerdings musikalisches Gold.
5.
Guilty Conscience
Auch wenn manche aus ihm den großen Storyteller machen wollten, war Eminem eigentlich vom ersten Tag an ein Mann der vertonten Statements. Seine Songs waren Angriffe, Entschuldigungen, Erklärungen, mitunter auch nur Frustbewältigung. Vor dem Hintergrund ist Guilty Conscience eigentlich eine Seltenheit in seiner Diskographie, weil es trotz sicherlich oft genug kritisiertem Inhalt einfach ein unterhaltsamer Dreiteiler ist. Dazu kommt noch, dass die kleinen Geschichten ja eigentlich eher in Rap Battles zwischen Eminem und Dr. Dre ausarten, was Dre in die sehr ungewohnte Position bringt, den Engel und das schlechte Gewisssen zu geben, während Em den Teufel auf der anderen Schulter gibt. Und während die beiden sich streiten, wird ermordet, geraubt und vergewaltigt, was alles an und für sich schwer genießbar wäre, wenn da nicht der großartige Humor und der beeindruckend flüssige Schlagabtausch der beiden wäre.
4.
'Till I Collapse
The Eminem Show
2002
Die gespenstischen Grabeslaute zu Beginn kann man sich zwar mit dem Titel leicht erklären, eigentlich ist 'Till I Collapse aber die Rapperhymne unter allen Eminem-Songs. Vielleicht ist das ironisch in Anbetracht dessen, dass der Beat quasi direkt von We Will Rock You kommt, doch nach dem Motto "Gerappt wird bis zum Tod" gestaltet sich auch der leidenschaftliche Rap des Songs. Dementsprechend wird da eine Intensität erreicht, die er tatsächlich nicht oft ausgepackt hat, was schon verdammt viel heißt bei diesem Menschen. Abseits davon ist es auch einer der eingängigsten Tracks, die er in über zwei Jahrzehnten geboten hat, was man ihm nicht unbedingt zugute halten muss, aber durchaus kann.
3.
The Way I Am
Die "Marshall Mathers LP" ist...schwierig? Das Jahrzehnt kannte eigentlich kein Rap-Album, das größeren Kritiker- und Fan-Jubel abgeräumt hätte. Allerdings ist es auch das Eminem-Album, das musikalisch am ehesten aus der Zeit gefallen wirkt und sich dank der trockenen Produktion noch umso monotoner anhört, als es ohnehin schon ist. Das ändert nichts daran, dass textlich damals sehr viel sehr gelungen war und dahingehend steht The Way I Am eigentlich ganz vorne. Zwar ist der Song klanglich an der Grenze, wo nur gerade noch so die Eintönigkeit nicht zum großen Nachteil wird, dafür aber ist die Abrechnung mit seinen Kritikern und deren klischeebehafteten Schubladisierungen eine seiner treffsichersten und unbarmherzigsten. Da wird Wut dann schon sehr groß geschrieben, auch wenn man das mit einem Vergleichssong wie Kim auf dem gleichen Album vielleicht trotzdem relativ sehen muss.
2.
When I'm Gone
Curtain Call: The Hits
2005
Der große Außenseiter hier herinnen, den eigentlich keiner so wirklich stark findet. Zumindest ist es das, was den Kritiken und der fehlenden Erwähnung durch überhaupt irgendwen zu entnehmen ist. Und die sehr lauwarme Rezeption ist einerseits verständlich, denn es ist bei weitem nicht die erste kitschige Ode an die eigene Tochter und alle haben sie das Problem, dass sie in puncto Sound zu wünschen übrig lassen. Zumindest kann keiner davon, nicht einmal das mit den Streichern durchaus stark ausgestaltete When I'm Gone mit den musikalischen Höhepunkten in Eminems Karriere mithalten. Jetzt ist das aber bei ihm so nebensächlich, dass man viel eher über den großartigen Text und die damit verbundene, selbstkritische Tirade sprechen sollte. Da steckt nämlich verdammt viel Gefühl drinnen und eben nicht nur Wut, sondern eher Reue, ein bisschen Selbsthass, Verlustangst und natürlich die durchaus süßlich zur Schau gestellte Liebe zur eigenen Tochter.
1.
Stan
Jetzt ehrlich, hat irgendwer was anderes erwartet? Man muss ja nicht vor Ehrfurcht zur Salzsäule erstarren, nur weil es diesen Song gibt. Aber anzuerkennen, dass das hier dramaturgisch, musikalisch und textlich der Höhepunkt in Eminems Karriere ist und Stan damit natürlich auch ein legitimer Klassikerstatus im Hip-Hop zuteil wird, ist nicht wahnsinnig schwer. Zwar klingt Didos Gastspiel im Refrain mittlerweile nicht mehr ganz so frisch, doch die erschreckend offenen Lyrics, die Eminem als besessener, fanatischer Fan rappt, sind schon für sich bedrückend und eindringlich genug, werden es nur noch mehr durch seine geniale Präsentation und die ständig ansteigende Wut in den Rhymes, die mit jeder Strophe brutaler und düsterer werden. Diese schlicht perfekte Inszenierung sorgt dafür, dass man atmosphärisch so gefesselt und vereinnahmt wird, wie das nur wenigen Songs, insbesondere nach der x-ten Wiederholung, gelingen kann.
Schlusswort:
Komprimiert auf eine so handliche Liste, kann man dann wirklich nur mehr ganz wenig am Meister des gerappten Wortes aussetzen. Die Auswahl hat auch den Vorteil, dass man vor allem seinem Spätwerk und damit großer Langeweile aus dem Weg geht. Da wird es dann nämlich mit den Höhepunkten erst recht dünn. Doch die legendären Songs und handwerklich großartigen Volltreffer bleiben, auch wenn vom selbsternannten Rap God nicht mehr allzu viel da ist. Insofern sei diese kleine Verneigung vor ihm erlaubt, immerhin bieten diese zehn Tracks genug Gelegenheit dazu. Natürlich wären noch genug andere da gewesen, die es sich auch zumindest ein bisschen verdient hätten. Das bedeutet auch, dass von den nicht erwähnten Alben nur das Debüt "Infinite" und "Recovery" wirklich weit weg von einer Erwähnung waren. Sogar das so verhasste 2017er-Album hatte mit Untouchable einen Kandidaten. Das wiederum beweist, dass Eminems Genialität nicht ganz weg, sondern nur in ziemlich magerer Form verblieben ist. Wurscht, solche Schwächephasen gibt es ja hier nicht.
Kristoffer Leitgeb, writing for the moment