Der Anfang ist bei fast allem das Beste. Bei Beziehungen, beim Essen und auch bei ach so vielen Songs. Dort wollen sie einen nämlich packen, damit sie einen nachher nicht mehr loslassen können, diese musikalischen Hundlinge. Deswegen sind die ersten Sekunden oft die markantesten, die ein Song herzugeben hat, also wird es Zeit, die Intros dieser Welt zu würdigen. Die Kriterien: Alles was instrumentaler Einstieg ist - reine Instrumentals zählen nicht - und alles, was klarer Build-Up fernab der generellen Songstruktur ist, ist fürs Rennen qualifiziert. Kleine Einschränkung, im Fokus stehen längere Intros, damit man auch was davon hat. Schade z.B. für My Chemical Romance, die haben gleich ein ganzes Album voll mit 10 Sekunden-Bits, die besser sind als die darauf folgenden Songs ("Three Cheers For Sweet Revenge"), aber so grausam ist die Welt manchmal. Und schon kann's losgehen!
2006
This one goes out to the one I write with! Weil dunkle Mächte schon wieder verhindert haben, dass Kollege M sein angestammtes Plätzchen als Top 10-Großmeister einnimmt, ein kleiner Gruß an ihn, hoffentlich mit dem richtigen Song. Wirklich starkes Intro, v.a. im zweiten Part voll von Astronauten-Gequatsche, und das gleich für ein ganzes Album.
10.
Hier gleich eine kleine Schummelei, das Intro teil sich nämlich auf zwei Tracks auf. Prunkstück dessen, das einminütige Eon Blue Apocalypse, das so unscheinbar wie wirkungsvoll den späteren Ansturm einleitet. Völlig karg inszeniert, muss man sich mit Adam Jones' Gitarre zufrieden geben, die nach dem langsamen Fade In nur sehr wenig dafür tut, die Stille rundherum wirklich auszufüllen. Es sind einsame, unterkühlte Akkorde, die unheilvoll und majestätisch zugleich wirken, abgelöst von ähnlich ruhigen, rhythmischen Riffs und dezenten Elektronik-Samples. All das sorgt dafür, dass man, wenn denn endlich M.J. Keenans Stimme zu hören ist, schon fast das Gefühl hat, einen ganzen Song hinter sich zu haben, wo er doch eigentlich noch vor einem liegt.
9.
Es dürfte schon jetzt dämmern, dass das eine ziemlich ruhige und keineswegs fröhliche Aufzählung wird. Robert Smiths ambitionierte Spielwiese passt ja oft in beide Kategorien und allein das legendäre "Disintegration" hätte genug Songs im Angebot, um die halbe Liste in Beschlag zu nehmen. Das allseits bekannte Lullaby könnte genauso hier stehen wie der aggressivere Titeltrack. Aber es wurde dieses Schmuckstück, weil diese eineinhalb Minuten eigentlich The Cures depressive Phasen so gut einfängen wie sonst fast nichts. Die Atmosphäre, die der reduzierte Auftritt an Gitarre und Bass erzeugt, natürlich im Zusammenspiel mit den omnipräsenten theatralischen Keys und vor allem dem unglaublich wichtigen Regenguss, der im Hintergrund niedergeht, ist beinahe unübertroffen. Da kann selbst Smiths Gesang in den folgenden Minuten kaum mit.
8.
Klar, die Briten haben in ihrer Karriere einiges geschaffen, was als ziemlich iconic durchgeht, auch wenn es nur um die ersten Sekunden ihrer Songs geht. Aber irgendwie wollte es doch kein großer Klassiker der Band schaffen, weil iconic eben nicht alles ist. Für viel mehr ist allerdings der Titeltrack ihrer besten LP gut, denn die elektronischen Manipulationen sind dort doch noch einmal ein wenig über der eingängigen Eröffnung von Everything In Its Right Place oder den Klavier-Takten von Karma Police. Vergessen wird er halt gerne und das trotz dieser genialen Mischung aus Xylophon, Tribal Drum-Loop und all den nur sekundenweise auftauchenden Bits, die Jonny Greenwood eingebaut hat. Ehrlich, könnte man auf die grausam verzerrten Vocals, die da noch kommen, besser vorbereiten?
7.
Das tut schon fast weh, eine Band, die in ihrer Karriere sicher gefühlte 50 großartig-epische Intros fabriziert hat, auf ein einziges Exempel dessen zurecht zu stutzen. Was ist da nicht verloren gegangen? Master Of Puppets, Welcome Home (Sanitarium), King Nothing und, verdammt, Enter Sandman. Stattdessen ist es, würdig wie kein Zweiter, einer der bluesigsten Songanfänge der Band geworden. Die perfekte Power-Ballade ist nämlich auch ganz zu Beginn perfekt und verschmilzt die ersten akustischen Töne auf einer Metallica-LP mit den präzisen, sphärischen Riffs von Kirk Hammett, die weit weg sind von der üblichen Aggressivität der damaligen Tage. Stattdessen ist es eine endzeitliche Epik sondergleichen, die sich bis zum markanten Akustik-Solo steigert, nur um dann der Todessehnsucht Platz zu machen.
6.
Jeff Buckley betrat die Bühne, da war der Rock schon gerettet, er musste also nicht mehr groß abrocken, sondern durfte verweichlicht und romantisch sein. Das Ergebnis war durchaus eindrucksvoll und bescherte einem einen glänzenden Sänger, aber auch einen, der wusste, wie man ohne Stimme zu werken hat. Sein Cohen-Cover von Hallelujah setzte auf ewig den Maßstab für alle anderen Versuche an dem Track, auch und nicht zuletzt wegen des beeindruckenden Intros. Dem Tempo beraubt und auf ein wahres Minimum an der Gitarre umgestellt, wirken die einleitenden Akkorde so zerbrechlich, zerstört und doch ausdrucksstark, dass man schon vor der ersten Zeile komplett im Song versunken ist. So und nicht anders soll es klingen, wenn ein geniales Liebeslied seinen Anfang nimmt.
5.
So, es wird doch noch einmal ordentlich laut. Der dritte Song einer Metal-Band, allerdings der erste, der dem Genre auch musikalisch wirklich gerecht wird. Auf dem Debüt der Band bedeutet das wütende Ausbrüche auf chaotischste Art. So lange auch manche ihrer hymnischen Auftritte in späteren Jahren hängen geblieben sind, ist es das Intro zum fanatischen Know, das das Rennen macht. Angetrieben von den schwergewichtigen Drums, erliegt die Band nach den anfangs so kontrollierten Stakkato-Riffs bald einer packenden Mischung aus Raserei und Spieltrieb, die mal Serj Tankian ins Mikro brüllen lassen, dann wieder Malakians kristallklares Picking kurz ins Rampenlicht stellen. All dem mangelt es vor allem an einem nicht, der Durchschlagskraft. Der harte Antrieb durch die Gitarre macht Eindruck, da ist noch kein Wort gesprochen. Der Song danach ist auch stark, aber wen interessiert das nach dem Intro noch?
4.
Wieder zurück in ruhigerem Wellengang und dort gleich im Akustischen gelandet. Einer der besten Gorillaz-Songs überhaupt zeigt auch gnadenlos die allergrößte Stärke des Projekts auf, nämlich die dezenten, melancholischen Balladen. Dort gehört Damon Albarn hin, vor allem wenn er seine penibel durchdachten Arrangements rund um das Guzheng, die altasiatische Zither, aufbaut. Mit genau der schafft es der Song von der ersten Sekunde an unter die Haut zu gehen. Diese eine Minute perfekter Songeröffnung lebt von den asiatischen Klängen und vor allem den grazilen Tempowechseln, die darin eingebaut sind, komplementiert von unaufdringlichen Gitarrenakkorden und aufflackernden Klavier-Einsätzen. Sucht man also nach diesen Momenten, bei denen man nicht genau weiß, was sie auslösen, sondern nur, dass sie etwas auslösen, das hier ist ganz sicher einer davon.
3.
Bezeichnend, dass ausgerechnet einer wie Tom DeLonge zweimal in der Liste auftaucht, wenn auch einmal nur als Hommage an den Kollegen. Man muss ihn ja eher ertragen, als dass man ihn genießen könnte, insbesondere wenn er den Mund aufmacht. Vielleicht kommt deswegen das rein instrumentale Intro zu I Feel So vom einzigen BCR-Album so super. Ein Drittel des Songs geht dafür drauf, dank der kühnen Stilbrüche sind eineinhalb Minuten aber locker gefüllt. Während das unrhythmisch spielende Piano alsbald von nachhallenden Banjo-Zupfern abgelöst wird, kommen bald endlose Saitenschwingungen und -geschredder zum Tragen. Lange, lange lässt DeLonge einfach das Distortion Pedal die Arbeit machen, lässt Akkorde sekundenlang im Raum stehen, nur um irgendwann den Punker zu mimen und die Power Chords auszupacken. Alles dabei für ein bissl epische Abwechslung also. Was willst mehr?
2.
Es würde mich ja selbst ein bissl wurmen, dass ihr Name mittlerweile überall hier auftaucht, wenn sie es einem nicht so leicht machen würde, sie überall hier zu erwähnen. Dabei hat Anja Plaschg für ihre Verhältnisse lange gebraucht, um endlich das außerirdisch geniale Intro zu formen, das qualitativ zu vielen ihrer Songs passt. 2013 war's soweit, Sugarbread beginnt so, wie es sich wohl tatsächlich noch fast kein anderer Song auf dem Globus getraut hat. Das musikalische Äquivalent zu Terror und Folter, weniger ist dieser Anfang nicht. Ein zertrümmernder, nachhallender Beat, unterstützt von unheilschwangeren Bläsern, mittendrin hilfloses und gequältes Geschrei der Sängerin. Es ist einer der bedrückendsten und erschreckendsten musikalischen Momente, genau deswegen aber auch unweigerlich einer der besten. Anderes wäre mit dem konkurrenzlos besten Übergang aller Zeiten - listen to it, bei 0:45 verdammt - auch kaum möglich.
1.
Now who's surprised? Oh, ja, ich. Es gibt naheliegendere und eher dem Verständlichen nahe Kandidaten für einen großen Sieg in dieser Wertung. Trotzdem macht es Dr. House persönlich auf seiner Debüt-LP mit den allerersten Noten, die er einem kredenzt. Und es ist tatsächlich Lauries Auftritt höchstpersönlich, denn das mit über zweieinhalb Minuten längste Intro der Liste ist fast ausschließlich ein brillanter Erguss an den schwarzen und weißen Tasten. Quasi ein Klaviersolo, das sich zwischen glasklaren, punktgenauen Bluesmelodien und dissonanten Kraftausbrüchen herumtreibt, in letzteren unterstützt von Banjo und Percussion, sonst aber allein auf weiter Flur. Das hat zwar weniger emotionalen Wert als viele der Konkurrenten davor, hypnotisiert einen dafür aber mit dieser majestätischen Performance fernab jeglicher Gehetztheit. Ein Muss für jeden, der was aufs Piano hält.
Schlusswort:
Tja, das war sie, die Liste für Leute mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne, die doch was von der Musik haben wollen. Keine Viertelstunde machen alle Intros der Top 10 zusammen aus und doch gibt's so viel drüber zu sagen. Aber es sind ja auch verdammt wichtige Momente, die oft schon über Sieg oder Niederlage für eine Nummer entscheiden können. Und da hilft es schon, wenn man sie nicht ordentlich, sondern richtig, richtig ordentlich anreißt. Das tun aber so viele, dass nur zehn davon schon gar wenig sind. Honorable Mentions sind also angesagt: Holiday In Cambodia (Dead Kennedys), Come Out And Play (The Offspring), Decades (Joy Division), Luna Y Sol (Manu Chao), Watercolour (Pendulum) und viel zu viele mehr. Dieser Unfairness zum Trotz hat's hoffentlich gefallen. Wo die eigenen Favourites hingehören, sollte schon klar sein. Man sieht sich in den Kommentaren!
Kristoffer Leitgeb, für euch Shorty...