Nicht wenige Menschen sind der festen und unumstößlichen Überzeugung, das Jahr 1967 wäre die Krone der musikalischen Schöpfung. Und ganz ehrlich, wer kann es ihnen verdenken? Die Aufnahmemöglichkeiten hatten sich in relativ kurzer Zeit rapide verbessert, die LP war endlich als definitives Medium etabliert und dies- sowie jenseits des Atlantiks waren unzählige Bands damit beschäftigt, Grenzen zu sprengen und neue Dimensionen der Kreativität zu entdecken. Nicht selten waren neben dem Konkurrenzgedanken auch Drogen im Spiel, mit dem "Summer of Love" sollte eine ganze Generation ein kurzes, aber intensives Erwachen haben. Künstler wie Jimi Hendrix wurden zu gefeierten Superstars dieser Ära, bewährte Bands wie die Beatles experimentierten mit neuen Klangfarben und auch abseits der "Flower Power"-Bewegung lieferten etliche Virtuosen wie Leonard Cohen gefeierte Arbeiten ab. Da sich dieses vermeintlich beste Musikjahr aller Zeiten - meine Stimme bekämen eher die Jahrgänge '68 bis '70 - heuer zum 50. Mal jährt, sei diese letzte Top 10 des Jahres unbedingt meinen persönlichen Favoriten von 1967 gewidmet. Anregungen und Einwände sind wie immer genauso erwünscht wie eigene Listen - los geht's!
erstellt am: 31.10.2017
10.
Es sollte der Auftakt einer erfolgreichen Solokarriere werden, immerhin war Harold Eugene Clark ein wesentlicher Aspekt in dem kurzzeitigen Erfolg der Byrds gewesen. Wie wir wissen, kam alles
anders und der größte Singer-Songwriter aller Zeiten schaffte es Zeit seines Lebens nicht, mit seinem Solo-Output Käufer zu mobilisieren. Als eigenständiger Künstler wird Clark vor allem mit
seinem vielschichtigen Americana-Blockbuster No Other in Erinnerung bleiben, auf seinem Debüt für Columbia legte er bereits mit diesem hochinnovativen Potpourri aus Country, Folk und Pop ein beeindruckendes Fundament. Wer die hohe amerikanische Songwriterkunst
verstehen will, der kommt um Gene Clark With The Godsin Brothers ohnehin nicht herum.
Überragender Track: Echoes
9.
Branded Man
Merle Haggard & The Strangers
1967
Obwohl sich die wenigen Kritiker, die sich Merle Haggard und seinen Strangers im Laufe der Zeit angenommen haben, weitestgehend einig sind, dass das im selben Jahr erschienene I'm A Lonesome Fugitive samt seinem entwaffnendem Titelstück das Magnum Opus des beliebten Country-Dauerbrenners darstellt, so werfe ich an dieser Stelle dessen Nachfolger ins Rennen. Zu einer Zeit, in der LPs im Country nach wie vor nicht viel mehr waren als lose Zusammenstellungen von Hits und Füllmaterial, lieferte Haggard schon bemerkenswert konstante und vor allem persönliche Alben ab. Der Titeltrack kopiert zwar in vielerlei Hinsicht den Nummer 1-Hit des Vorgängers, dazu gesellen sich aber etliche eigens geschriebene Songs und Fremdkompositionen, die zusammen eine beeindruckende inhaltliche und emotionale Bandbreite aufweisen und von den Strangers exzellent begleitet werden.
Überragender Track: I Threw Away The Rose
8.
Triangle
The Beau Brummels
1967
Unter den vielen legendären Bands, die den 60ern relativ unbemerkt ihren Stempel aufdrückten, nehmen auch die Beau Brummels aus San Francisco einen prominenten Platz ein. Zwar hatte die Gruppe um Frontmann Sal Valentino mit der dortigen Szene nicht viel zu schaffen, doch wurde auf Triangle mit der Hilfe von renommierten Künstlern wie Van Dyke Parks und Langzeit-Elvis-Gitarrist James Burton ein ähnlich fantasievoller Pfad beschritten. Bestimmt von Valentinos nasaler Stimme und einer Palette an Instrumenten, sollte die vierte LP der Amerikaner mit Facettenreichtum wuchern und in verschiedene Richtungen ausbüchsen, ohne allerdings den Verdacht auf Effekthascherei nahe zu legen.
Überragender Track: Nine Pound Hammer
7.
Ebenfalls aus der "Golden City", für die dort entstehende Subkultur allerdings weit maßgeblicher, sind die Herrschaften von Jefferson Airplane über die Jahre zum Sinnbild der für freie Liebe eintretenden Gegenkultur geworden. Surrealistic Pillow, das zweite Album der Band und gleichzeitig das erste mit Grace Slick, vereint noch einmal Martin Balins Pop-Sensibilität und Slicks und Paul Kantners rebellisch rockende Ader, welche die folgenden Jahre dominieren würden. So entstand in der Liebes-Hochburg San Francisco Anfang des Jahres ein liebevoller Hybrid zwischen melodieseligem Folk-Pop und psychedelischen Rock-Ausritten, der die USA nicht nur für die folgenden Monate sensibilisieren, sondern der Welt auch einen der größten Songs aller Zeiten vermachen sollte. Go ask Alice, I think she'll know...
Überragender Track: White Rabbit
6.
Ein Album, über das längst alles gesagt scheint. Die Doors kamen, sahen und wurden bereits mit ihrem ersten Album zum Game-Changer populärer Musik. Titel wie Light My Fire, Alabama Song (Whiskey Bar) oder The End sind nicht umsonst jedem geläufig, der privilegiert genug ist, zumindest jemanden zu kennen, der ein Radio in seinem Besitz hat. Jim Morrisons testosterongetränkte Ausbrüche, Ray Manzareks schier unermüdliche Orgel und eine Rhythmusabteilung, die Maßstäbe setzte - sie alle trugen zur Legende einer Band bei, die zurecht als eine der größten und wichtigsten ihrer Zeit gefeiert wird. Dass The Doors diese Aufzählung überhaupt bereichern und mit zum Mythos 1967 beitragen darf, verdanken wir auch dem Umstand, dass die LP erst in der einleitenden Woche des Jahres veröffentlicht wurde, also fast noch im vorangegangen Annus.
Überragender Track: The End
5.
Nach dem endgültigen Ausstieg von Gene Clark, der dem Vorgänger Fifth Dimension immerhin noch dessen beste Nummer spendiert hatte, waren Roger McGuinn, David Crosby, Chris Hillman und Michael Clarke mehr denn je gefordert, in die Fußstapfen des kongenialen Songwriters zu treten. Während McGuinn und Crosby an diesem Punkt ihrer Karriere schon einigermaßen komplette Songschreiber waren, sollte es ausgerechnet der bis dahin zurückhaltende Hillman sein, der Younger Than Yesterday seinen Stempel aufdrückte. Seine meliodiösen Folk-Songs mit Country-Einschlag komplementieren das Feld eindringlicher Crosby-Songs, McGuinn-Space-Folklore und der obligatorischen Dylan-Nummer, die dem Original wie so oft den Rang abläuft. Clark war zwar weg, die restlichen Byrds aber waren auf dem bisherigen Höhepunkt angekommen.
Überragender Track: My Back Pages
4.
Buffalo Springfield Again
Buffalo Springfield
1967
Ähnlich wie bei den Byrds, war auch die kurze, aber fruchtvolle Geschichte von Buffalo Springfield von Differenzen innerhalb der Band gezeichnet. Während das Gespann um die kreativen Köpfe Neil Young, Stephen Stills und Richie Furay aber nicht über die McGuinn'sche Ausdauer verfügte, war das wegweisende Abenteuer nach drei Alben vorbei. Die beste ist die zweite, obwohl oder gerade weil sie durch die individuellen Interessen der einzelnen Mitglieder keinen wirklichen Flow entwickeln kann. Furay, der wie Hillman bei den Byrds hier erstmals ins Rampenlicht tritt, frönt dem Country, Young kokettiert mit hartem Rock und feinfühliger Ballade und Stills sucht zwischen lockerem Jazz und ambitionierten Folk-Geschichten die eigene Identität. Die Gräben, die zur Zeit der Aufnahmen endstanden, sollten sich als unüberwindbar herausstellen, so spielte die Band auf der vertraglich notwendigen dritten LP auf keinem Track in voller Besetzung.
Überragender Track: Rock 'n' Roll Woman
3.
Fast könnte man glauben, das Jahr 1967 habe sich ausschließlich in den USA abgespielt. Pustekuchen, denn auch Pink Floyd, kurze Zeit noch mit dem Artikel "The" geschmückt, schöpften zur selben Zeit die eigenen Möglichkeiten aus und lieferten mit der ersten LP direkt ihre beste. Vor allem aber saugte das Quartett die vermeintlich unerschöpfliche Quelle der Inspiration ihres kurzzeitigen Bandleaders Syd Barrett aus, der kurz darauf ausgebrannt war und die Flucht in sich selbst antreten sollte. The Piper At The Gates Of Dawn ist sein Vermächtnis. Alles funkelt, alles ist in Bewegung und inmitten fantasievoller Geschichten und bunter Klangfarben blüht ein Sänger auf, dessen Brillanz leider so vergänglich war wie der Vanitas-Gedanke selbst. Und für die Prog-Antizipierer gibt es immerhin schon Interstellar Overdrive.
Überragender Track: Scarecrow
2.
Wie schon bei der Liste der besten Debütalben vor mittlerweile einer gefühlten Ewigkeit, muss die berühmteste Banane der Welt auch dieses Mal mit der Silbermedaille vorlieb nehmen. Lou Reed, John Cale, Sterling Morrison und Maureen Tucker offererierten von New York aus zusammen mit der Deutschen Nymphe Nico Einblicke in das Leben der weniger Schönen, widmeten Drogen, Transvestiten und Fetischen Songs und beleuchteten diverse Abgründe menschlichen Seins. Jedes Stück hier ist für sich genommen ein Meisterwerk und in nahezu jedem anderen Jahrgang wäre The Velvet Underground & Nico mit großem Abstand der verdiente Sieger. Aber, um es mit Lou Reed zu sagen: "Cause when the smack begins to flow / Then I really don't care anymore."
Überragender Track: Venus In Furs
1.
Nachdem der Kollege das Kunststück vollbracht hat, sich erfolgreich zwischen den beiden Polen zu platzieren, die das bunteste Album der Fab Four entweder als unantastbares Meisterwerk abfeiern oder als banalen Klamauk abstempeln, muss ich nun zur Ehrenrettung heranschreiten und Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band wie schon im Beatles-Ranking auf das oberste Treppchen hieven. Wie bereits hinlänglich im Stile der seligen Apologetik erklärt, ist der Pop-Blockbuster in vielerlei Hinsicht eines meiner liebsten Alben. Georges Erwachen, Pauls Plan, Johns Mittelfinger, Ringos Freunde und ein fröhliches Konglomerat aus beeindruckenden Sounds und wundervollen Songs werden mir Zeit meines Lebens jedenfalls immer zur Seite stehen, wenn ich sie brauche. Darum noch ein dreifaches Santé auf Sgt. Pepper und den Anfang vom Ende. Santé! Santé! Santé!
Überragender Track: Lucy In The Sky With Diamonds
Schlusswort:
Es mutet schon ein wenig merkwürdig an, in der Einleitung die größten Helden des Jahres zu küren, diese dann aber gar nicht im Hauptteil anzuführen. Deswegen ist die Leider-Nicht-Abteilung dieses Mal besonders spannend, fehlen doch mit Hendrix (zwei LPs), Cohen, Dylan oder den Rolling Stones einige der maßgeblichen Institutionen dieser Ära. Daneben dann noch großartige Alben von Tim Buckley und den bereits vorgekommenen Merle Haggard und Jefferson Airplane und viele viele weitere starke Veröffentlichungen, die den Status von 1967 untermauern. Einzig Love's Forever Changes möchte ich an dieser Stelle außen vor lassen, die befindet sich nicht in meinem Besitz, wurde aber vor vielen Jahren sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen. Da sich hier nun wenig Platz für sonstige Resümee-Ansätze findet, beende ich mein Plädoyer und bedanke mich bei jedem Einzelnen für's Reinschnuppern und Lesen.
Mathias Haden, Scum Fuck Flower Boy