Zu den in der Retrospektive weniger geliebten Erscheinungen der Jahrtausendwende muss man aus musikalischer Sicht definitiv die zweite große Welle des Pop-Punk zählen. Nachdem da 1994 einige Dämme gebrochen und Namen wie Green Day oder The Offspring plötzlich globale Bekanntheit bekommen haben, kam die verzögerte Explosion des Genres ein paar Jahre später. Und inmitten der austauschbaren, teilweise so ziemlich ausschließlich nervigen Bands stiegen blink-182 auf, erhoben sich über die Konkurrenz und wurden schnell einmal zu Popstars. Die Punk-Ursprünge hat man deswegen nicht gleich vergessen, sich aber dafür mit ebendiesen im Schlepptau zu einer Art Boy Band für Skate-Punker entwickelt, interne Dramen inklusive. Künstlerischer Entwicklung sei Dank wurde der Sound interessanter, bis man irgendwann zu interessant für die eigenen Nerven war und ein Päuschen machen musste. Die Geschichte ginge weiter und bietet eigentlich genug Platz für ein paar genüssliche Lacher, aber auch genug Momente musikalischer Güte, in denen der Erfolg gerechtfertigt wurde. Und um genau die geht's!
Erstellt am: 02.12.2018
10.
Pathetic
Dude Ranch
1997
Die ersten Alben der Band, damals noch nicht einmal mit Travis Barker für ein paar instrumentale Schmankerl, konnten mit Pop-Punk ohne Subtilität oder Finessen aufwarten. Mehr war da nicht, allerdings auch insofern nicht weniger, als dass man die richtigen Riffs aus dem Ärmel geschüttelt und für ebendie das nötige Tempo geboten hat, um das Ganze trotzdem zu einem Spektakel werden zu lassen. Manchmal wenigstens und so auch mit dem Opener - wie sich zeigen sollte, eine der größten Stärke der US-Amerikaner - der zweiten LP, dem Speed und Eingängigkeit reichen, um den rohen Sound und die schiefen Gesänge von Mark Hoppus und Tom DeLonge mehr als genießbar klingen zu lassen. Daraus ergibt sich einer dieser Songs, die je nach Blickwinkel stumpf oder unprätentiös genug sind, um einem einfach nur im Ohr hängen bleiben zu wollen. Die Mission ist dann auch schnell abgehakt.
9.
Aliens Exist
Mit Jerry Finn als Produzent und Travis Barker an den Drums war ein klangliches Upgrade für Album #3 keine große Schwierigkeit. Geboten hat man das, genauso wie man wieder einen starken Opener abgeliefert hat. Überzeugender hat aber Aliens Exist geklungen, obwohl auch und gerade da herauszuhören ist, dass sich wenig verändert hat. Einen Hauch langsamer, ein bisschen Feintuning an den Instrumenten und die glattere Produktion, das sind die großen Änderungen. Und natürlich verständlichere Texte! Genau die helfen hier auch, weil es grundsätzlich musikalisch wenig zu beanstanden gab, gleichzeitig allerdings auch wenig Spezielles dort gefunden werden konnte. Also braucht es DeLonges paranoide Fantastereien von Außerirdischen als gewisses Extra, um dem souverän runtergespielten Pop-Punk für höhere Weihen zu empfehlen.
8.
Stockholm Syndrome
blink-182
2003
Wenn das self-titled Album des Trios eines ist, dann der überzeugende Versuch, die Grenzen der eigenen Fähigkeiten und Ideen auszuloten. Die wurden dabei manchmal erreicht, was eher mäßige Ergebnisse mit sich gebracht hat. Oft genug hat das Album aber aufgrund des neuen musikalischen Muts vielschichtig, erwachsener und stilistisch ziemlich breit gefächert geklungen. Sowohl die Freiheiten im Studio als auch die beim Songwriting hat man da durchaus ausgenutzt. Während es definitiv andere Tracks gäbe, um das besser zu veranschaulichen, hat Stockholm Syndrome den Vorteil, dass er sich in seiner Bauart stark genug an den ausgetretenen Pfaden der Band orientiert, um ihnen beim Experimentieren mit dem neuen Sound keine Probleme zu bereiten. Insofern ist das hier härter und atmosphärischer als gewohnt, begünstigt durch starke gesangliche Performances, die sich durch das starke Zusammenspiel von Hoppus und DeLonge und Spielereien mit Uraltmikros und Reverb umso mehr zeigen. Gleichzeitig wirkt nichts erzwungen oder in musikalischen Territorien fernab jeden guten Geschmacks, wie das beim einen oder anderen Song auf der LP der Fall ist. Stattdessen ist es stark produzierter Punk, der jeder Infantilität entsagt und stattdessen stimmungsvoll und aggressiv dahinröhrt.
7.
Voyeur
Dude Ranch
1997
Natürlich hat der kindische Humor von DeLonge und Hoppus mitunter jede Geschmacksgrenze gesprengt und ist an einem Punkt angelangt, wo man nur mehr den Kopf schütteln will. Voyeur gehört aber merkwürdigerweise nicht dazu, auch wenn man wenig zur Verteidigung der Geschichte vom jugendlichen Spanner vorbringen kann. Die musikalischen Zutaten sind fast ident zu denen von Pathetic, auch wenn Scott Raynors Drums ein wenig wuchtiger daherkommen. Ansonsten sind es Power Chords, wie man sie kennt und mag, überschattet von einem Text, der so liebenswürdig dämlich und verzweifelt wirkt, dass man ihn fast nur mögen kann. Ok, nicht unbedingt, aber es ist um Längen besser als Fuck A Dog, darauf lege ich Wert.
6.
When I Was Young
Dogs Eating Dogs
2012
Nachdem sich blink-182 2011 noch einmal mit einer LP zurückgemeldet hatten und auf der unüberbrückbare Auffassungsunterschiede über die Ausrichtung der Band zutage getreten sind, war "Dogs Eating Dogs" eigentlich ein Zeichen von wiedergefundener Einigkeit. Zumindest gewirkt hat es so, auch wenn es das wohl letzte musikalische Kapitel der alten Besetzung sein sollte. Nichtsdestoweniger war auf der EP das Allermeiste im Einklang und blink-182 klangen so, als hätten sie einen Weg gefunden, den alten Pop-Punk mit den jeweiligen stilistischen Entwicklungen der einzelnen Mitglieder in Einklang zu bringen. When I Was Young ist dafür das beste Beispiel, weil dem Song natürlich die melodramatischen Keys und die schwerst manipulierten Drums im Intro nicht fehlen dürfen, genauso wie auch danach die sphärische, dezent aufgeblasene Produktion erhalten bleibt. Dem gegenüber steht allerdings die hohe Drehzahl und die damit verbundene klangliche Einfachheit der Strophen, die nicht mehr sein wollen als eine starke Melodie, zum Besten gegeben an Gitarre, Bass und Drums. Das gelingt auch, wird zwar ein wenig bombardiert durch den schleppenden Refrain, aber selbst der kann dank seiner Härte nicht verhindern, dass man insgesamt einen rundum stimmigen Song vorgesetzt bekommt.
5.
Ghost On The Dance Floor
Neighborhoods
2011
Das leider selbstproduzierte und im Zuge dessen hemmungslos chaotische und unfertige Comebackalbum "Neighborhoods" musste durch einige wenige Songs über Wasser gehalten werden, um nicht komplett abzusaufen. Ghost On The Dance Floor ist einer davon und als Opener auch gleich der wichtigste und beste. Es sollte das einzige Mal auf der LP bleiben, dass man das Gefühl bekommt, DeLonges Imperativ der atmosphärischen Übergroße in Form von kitschigen Keys und Synths ließe sich wirklich gut vereinbaren mit dem erhalten gebliebenen Pop-Punk-Trieb von Mark Hoppus und Barkers Drums. Da fließt alles ineinander und man käme nicht auf die Idee, dass da irgendwas im Ansatz stecken geblieben wäre oder gar die einzelnen Elemente des Tracks gegeneinander arbeiten würden. Stattdessen bekommt man einen Song, der atmosphärisch wirkt ohne sonderlich in den Kitsch abzudriften, der antriebsstark ist, ohne dabei zu geradlinig zu klingen, der noch dazu die suboptimalen Stimmen des Gesangsduo perfekt einzubauen weiß.
4.
Anthem Part Two
Take Off Your Pants And Jacket
2001
2001, das waren einfachere Zeiten. Zumindest vor dem 11. September... Damals konnte es sich das US-Trio auch noch erlauben, eine LP voller melancholischer, in Selbstzweifeln versinkender Tracks über pubertäre Ängste und Liebessorgen zu veröffentlichen. Anthem Part Two - erraten, es ist der Opener - widmet sich weniger dem, durchaus aber adoleszenter Aufmüpfigkeit und lauwarmen Ansagen, warum denn die Jugend nicht an der eigenen Scheiße schuld ist. Das muss man an und für sich nicht unbedingt mögen, es bringt auch nur eine begrenzte Zahl gelungener Zeilen hervor, geht aber definitiv in einem der musikalisch gelungensten Tracks der Bandgeschichte auf. Barkers Drums und die kernigeren Riffs sorgen für eines der eindringlichsten Arrangements der Pop-Punk-Phase der Band und so nebenbei auch für den womöglich sichersten Ohrwurm, den blink-182 je hervorgebracht hatten.
3.
Story Of A Lonely Guy
Take Off Your Pants And Jacket
2001
Die Frage nach der Legitimität und dem Wert des Selbstmitleids ist eine alte. Wahrscheinlich kennt es ein jeder aus eigener Erfahrung, aber es wirkt fast umgehend unangenehm peinlich und wehleidig, wenn es von anderen kommt. Unproduktiv ist es auch noch und meistens melodramatisch und noch dazu quasi eine Einstiegsdroge zur Selbstzerstörung. Was zumindest mir aber scheiß egal ist, weil das Selbstmitleid oft genug zu künstlerischen Höchstleistungen angestachelt und auch nicht immer ungerechtfertigt ist. Ob letzteres im Falle von Story Of A Lonely Guy zutrifft, weiß keiner, allerdings ist der Song im Bandkanon definitiv eine Höchstleistung und mit seiner klanglichen Nähe zum Post-Punk ein wichtiger Schritt in der musikalischen Entwicklung. Anders als so viele Entwicklungsschritte ist dieser hier aber auch höchstselbst ziemlich formvollendet und schafft es, den melancholischen Grundton sowohl in den gesetzteren Strophen, als auch in den Riffwänden des Refrains aufrecht zu erhalten.
2.
I Miss You
blink-182
2003
Es ist wohl ein Thema für längere Debatten, ob es eine Form des guten Kitschs gibt oder ob der Begriff an und für sich immer etwas Negatives bedeutet. Ist letzteres der Fall, dann darf man I Miss You nicht kitschig nennen, weil es zwar textlich und dank Tom DeLonge auch gesanglich ein bisschen weinerlich daherkommt, gleichzeitig aber in puncto Arrangement der einsame Höhepunkt in der blink-Diskographie ist. Der geschliffene Sound des Albums bringt jede Facette des Songs perfekt zur Geltung und es gibt dank der unorthodoxen Percussion, des atmosphärischen Gitarrensounds und der unaufdringlich eingesetzten Streicher genug davon, um ein wunderbar abgerundetes Ganzes zu ergeben. Der mutigere und facettenreichere Zugang zu den altbekannten Themen der Band zeigt sich dann auch in den stimmungsvollen Zeilen, die insbesondere zu Beginn von Mark Hoppus kommen. Der erweist sich hier im Tandem mit DeLonge auch als gesangliche Idealbesetzung, die sich aus seiner monoton-melancholischen Ruhe und DeLonges exzentrischem Jaulen ergibt.
1.
Adam's Song
Enema Of The State
1999
In den simpleren Tagen der Band wurden auch Balladen einfacher gestaltet und so ist Adam's Song, inspiriert vom Selbstmord eines Teenagers, ohne Schnickschnack vom Trio intoniert. Das gibt Travis Barker die Gelegenheit, im Hintergrund einen seiner markanteren Drum Beats einzubauen und damit dem gesetzten Gitarrenpart der Strophen die nötige Dynamik mitzugeben. Gleichzeitig profitiert der Track davon, gesanglich ein Hoppus-Solo zu sein. Dessen tonarmer Gesang passt perfekt auf die depressiven, lebensmüden Zeilen, die er mit "I never thought I'd die alone" eröffnet. Das Gefühl von Einsamkeit, Verlorenheit und Unsichtbarkeit für den Rest der Welt steigert sich in der Folge auch deswegen immer weiter, weil es auch in den lauten Ausbrüchen im Refrain ohne Melodramatik auskommt und stattdessen, abgesehen von der instrumentalen Klavier-Bridge, beinahe trocken und schnörkellos gespielt wird. Das hat den Vorteil, dass aus dem Song abgesehen von einer latenten Nidergeschlagenheit auch die Farblosigkeit spricht, die dessen depressiven Grundton ausmacht. Und dem entkommt man nicht, für über vier Minuten, die zwar nie nach Tränen oder großer Poesie klingen, aber der ehrlichste und eindringlichste emotionale Moment der Bandgeschichte sind.
Schlusswort:
Möglicherweise zählen blink-182 zu denen, denen man irgendwann entwachsen sollte. Andererseits kann man die Verwurzelung der Band in den pubertären und postpubertären Problemen des Lebens anerkennen und sie trotzdem gut finden, weil auch das Dinge sind, die manch in durchaus starke Songs umwandeln kann. Gelungen ist es dem Trio, das mittlerweile ohne Tom DeLonge, dafür mit dem gesanglichen weit angenehmeren Matt Skiba auskommt, oft genug. Tatsächlich sind diese 10 Songs auch nur die Spitze eines Eisbergs, der auf eine ziemlich konstante und ertragreiche Karriere hindeutet. Dass die vielleicht nicht unbedingt den Rock revolutioniert oder künstlerische Meilensteine gesetzt hat, ändert daran wenig. Was nämlich da ist, sind Tracks, die irgendwann einmal dem Punk entstiegen ist, ihre große Stärke aber eigentlich im Gefühl für poppiges Songwriting gefunden hat. Da haben sie schon oft genug brilliert.
Kristoffer Leitgeb, no pants, no jacket, no service