In wenigen Monaten 'zelebrieren' wir die überstande erste Hälfte des aktuellen Jahrzehnts. Aus diesem Anlass bietet es sich natürlich an, etwas verfrüht mal einen prüfenden Blick auf die vergangenen beinahe fünf Jahre zu werfen. Letztendlich haben wir uns nach heftigen Debatten auf zehn definitive Werke geeinigt, die uns beiden den einen oder anderen Lichtblick in diesen tristen Zeiten bescherten. Mit dem Ergebnis sind wir jedenfalls ziemlich zufrieden, und das heißt bei solchen Unterfangen bekanntlich einiges. Nun ja, genug gequatscht. Seht selbst und kommentiert bestenfalls! Eigene Bestenlisten wie immer in höchstem Maß erwünscht.
10.
Als eine der wohl letzten 'echten' Rockbands im Geschäft markieren die Foo Fighters mit ihrem 7. Studiowerk vor allem eine großangelegte Reunion ehemaliger Nirvana-Akteure. Neben dem Offensichtlichen, Bandleader Dave Grohl, finden sich auch Kurt Cobains Jugendfreund und Nirvana-Bassist Krist Novoselic - zumindest einmalig auf I Should Have Known - sowie Butch Vig, der Produzent eines Albums namens Nevermind, ein. Zusätzlich gesellt sich klarerweise auch das davor bereits fixe und vollwertige Foo Fighters-Mitglied Pat Smear, ehemaliger Live-Gitarrist der Grunge-Pioniere, dazu. Unter diesen Voraussetzungen vielleicht wenig verwunderlich erinnert der Sound einiger Stücke mit den cleveren, lauter und leiser werdenden Melodien und der back-to-the-roots Produktion an die frühen 90er. Als Folge sahnte Wasting Light auch bei den Grammys in 4 der 5 nominierten Kategorien ab.
Überragender Track: Arlandria
D: Wunderbar qualitativer und konstanter Rocker, der der beeindruckenden 90er-Bio von Dave Grohl erstmals seit dem Jahrtausendwechsel gerecht wird und sich zukünftig womöglich sogar als der würdige Höhepunkt seiner Schaffenszeit mit den 'Foos' herauskristallisiert.
M: Hatte ehrlich gesagt nicht mehr damit gerechnet, von Dave Grohl und seinen Handlangern ein Album dieser Güte aufgedrückt zu bekommen. Plötzlich ist da neben dem einen oder anderen starken Ausbruch eine ungekannte Konstanz. Besser spät als nie!
9.
Pink Friday
Nicki Minaj
2010
Es musste schon eine begabte junge Frau aus Trinidad & Tobago herhalten, um den amerikanischen Hip-Hop mit einer weiteren Diva zu bereichern. Mit ihrer extrovertierten Art polarisierte der Sonderling mit dem üppigen Hinterteil von Anfang an. Im November 2010 erschien dann ihr erwartetes Debütalbum, das den großen Worten des Young Money-Mitglieds auch Taten folgen ließ. Mit einer wohldosierten Mischung aus Rap, R&B und viel Pop steht Pink Friday immer noch für viel Spaß und gute Laune.
Überragender Track: Moment 4 Life (feat. Drake)
M: Das Aufstöhnen beim Namen Nicki Minaj hört man jetzt schon bis hier her. Dabei ist das Debüt des verrückten Großmauls wirklich nicht von schlechten Eltern. Die Tracks sind durchdacht angeordnet, die Features stimmen und Miss Minaj macht gehörig Feuer unterm Hintern. Lil' Weezy lässt grüßen.
D: Moderner Pop bestehend aus R&B- sowie Hip Hip-Elementen at its finest. Zugute kommt Pink Friday auch der große Wiedererkennungswert, der Nicki Minaj bereits nach dem ersten Soloversuch zu Recht aus dem Schatten von Young Money-Kollegen Lil‘ Wayne und Drake treten lässt.
8.
Auf dem jüngsten unter den Teilnehmern erfindet sich die New Yorker Band neu und spielt geschickt ihr Verständnis für große Melodien und modernsten Pop aus. Wie der Vorgänger erreichte auch dieses Album die Poleposition der US-Billboardcharts. Von Fans und Kritikern, die das Album neben Kanyes Yeezus als bestes Werk des Jahres feierten, wurde es wohlwollend aufgenommen, der Schritt von den intellektuellen Indie-Nerds zu Pop-Perfektionisten war getan und Vampire Weekend lieferten mit diesem nunmehr dritten Werk ihr bislang bestes ab.
Überragender Track: Step
M: Der hellste Lichtblick des letzten Jahres, mehr muss dazu eigentlich nicht gesagt sein. Kein Album berührte mehr, keines 'quälte' mich mit mehr Ohrwürmern und keines förderte einen perfekten Pop-Song a la Step zutage, Thanks young vamps!
D: Sanfte Melodien tragen zum positiven Gesamteindruck bei und lassen mich mit einem rundum zufriedenen Grinser zurück.
7.
Undun
The Roots
2011
Das Konzeptalbum aus dem Hause 'Roots' erzählt rückwärts chronologisch die Geschichte von Redford Stevens, einem 'prototypischen' städtischen Jugendlichen, der umringt von Armut sowie Aussichtslosigkeit aufwächst und schließlich daran zu Grunde geht. Das Pseudonym des Protagonisten stammt aus Sufjan Stevens' gleichnamigem Titel, welcher wie die drei folgenden reinen Instrumentals das Finale von Undun bildet. Mit ihrem insgesamt zehnten Studiowerk huldigt die Band einer Handvoll Freunde aus Philadelphia, auf welche Redfords Erlebnisse zurückzuführen sind, und eine Zeit in der Rapper Black Thought und Drummer Questlove nicht dachten, jemals 30 Jahre alt zu werden. Musikalisch wird Undun durch dominierende Snare Beats, aufwendige Keyboard-Arrangements und subsidiäre Chöre untermalt.
Überragender Track: Make My (feat. Big K.R.I.T., Dice Raw)
D: Ein sehr düsteres Album - sowohl textlich als auch musikalisch -, das mit vergleichsweise knapp bemessenen 40 Minuten Laufzeit die ideale Länge findet, um die elektrisierende Spannung und Vehemenz aufrechtzuerhalten. Die 4-teiligen instrumentalen 'Movements' zum Schluss, die mich jedes Mal aufs Neue bis zur Gänsehaut verblüffen, habe ich dabei besonders fest ins Herz geschlossen und setzen Unduns emotionaler Wucht noch die Krone auf.
M: Nicht umsonst zählen die Roots zu den heißesten Aktien in ihrem Terrain. Undun vereint soviel, was man im Hip-Hop gar nicht hören wollte, und doch klingt es so unglaublich einnehmend und original, nicht nur originell.
6.
Das erste 'Indie'-Album, das den begehrten Grammy als 'Album of the Year' einheimsen konnte, 'Nuff said? Nach zwei umjubelten Studioalben legten die Kanadier mit diesem Stück ihr bislang erfolgreichstes nach, machten den ungeliebten Indiebegriff zum Mainstream und arbeiteten weiter an ihrem Status als einer der wichtigsten Acts der letzten Jahre. Die Arrangements sitzen wie immer vorzüglich, Win Butler gibt natürlich alles und die Band erschafft eine unglaubliche Atmosphäre.
Überragender Track: Suburban War
M: Kommt mir persönlich sogar ein wenig zu gut weg. Feines Stück eines tollen Ensembles, nichtsdestotrotz! Für eine schönere Beschreibung bitte weiterlesen!
D: Suburbs offenbart eine Vielzahl großartiger und abwechslungsreicher Lieder, die das klischeebehaftete amerikanische Vorstadtdasein jedoch alles andere als romantisieren oder schlechtreden, sondern eher um eine gewisse persönliche Note der Protagonisten von Arcade Fire eindrucksvoll erweitern.
5.
Eine absolute Entscheidung und Schnitt ging dem Projekt von Port of Morrow voraus. Bandleader James Mercer entschied sich dafür, beeinflusst durch die positive Erfahrung der Kollaboration mit Danger Mouse und dem resultierenden Broken Bells, um jeden Preis neue Erfahrungen machen zu wollen und sah sich dafür gezwungen, seine Band komplett umzuformieren. Dabei fanden die frisch angestrichenen Shins kompositorische Inspirationen in den späten 70ern sowie 80ern und behandeln in ihren Texten nach eigenen Angaben "Liebe und die zweischneidige Natur des Lebens – das Schöne und das Groteske".
Überragender Track: The Rifle's Spiral
D: Abgespaceter Trip durch meist poppigere Neuinterpretationen vergangener Stile, der von der ersten bis zur letzten Minute eigentlich alles richtig macht und so gut wie keine Schwächen aufweist.
M: Lange Jahre nachdem die Shins unter Hipstern angesagt waren und Fans von Scrubs und diversen anderen Sendungen die Plattenläden stürmten, erreichte auch mich das hohe Stimmchen von James Mercer. Seitdem bin ich am Ball geblieben, schätze das Machwerk der Gruppe und komme zum Fazit: diese LP hält den hohen Standard der Band!
4.
Thank Me Later
Drake
2010
Von einem zum anderen Young Money-Mitglied. Mit seinem Talent sowohl als Rapper als auch als Sänger wurde Aubrey Drake Graham zu einem der Shooting Stars am amerikanischen Musikmarkt. Neben seiner wenig prätentiösen Stimme, die ihn vom Rest der Rapszene abhebt, ist es vor allem sein Flow bzw. sein Umgang mit Worten und Rhythmen, der von den Leuten geschätzt wird. Sein Debüt vereint diese Stärken und machte ihn über Nacht zur Hoffnung einer Nation.
Überragender Track: Karaoke
M: Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Kontakt mit TML. Seit damals wundere ich mich immer wieder, wie kurzweilig die dargebrachte Stunde verläuft und wie wenig sie sich bis heute abgenutzt hat. Ich denke, mittlerweile kann man sich bedanken!
D: Und wie gern ich dem selbstsicheren Alleskönner für eines meiner absolut liebsten Hip-Hop-Alben danken möchte. Der Rapper/Sänger wechselt zwischen introvertierten Reflexionen sowie überschwänglichen Hymnen handelnd von der Liebe sowie dem Aufstieg zum Ruhm quasi von Track zu Track und weiß eine außergewöhnliche Produktion hinter sich.
3.
Nach fünf abwechslungsreichen Alben, die die Amerikaner durch verschiedenste Genres gespült hatten, machte sich die Band daran, tiefer in die Musikgeschichte ihrer Heimat einzudringen. Das Ergebnis ist ein sommerliches Album, das sich an Folk und Country orientiert und zum ersten Mal die Spitze der US-Charts erklimmen konnte. Aufgenommen in einer Scheune, profitiert die LP neben dem harmonischen Zusammenspiel seiner Mitglieder auch von der Anwesenheit von R.E.M.-Gitarrist Peter Buck, der sich auf drei Tracks die Ehre gibt. Man munkelt übrigens, dass der Titel eine Anspielung auf The Smiths' The Queen Is Dead, einem von Colin Meloys Lieblingswerken, ist.
Überragender Track: January Hymn
M: Ich hab es ja an anderer Stelle bereits erwähnt, aber diese Truppe bringt mein Herz mit jeder LP aufs neue zum Lachen, so auch mit dieser. Wunderbar, bitte weitermachen!
D: Fantastischer Americana-Hybrid, der sein El Dorado instrumentaler Gewalt sowohl bei umgarnenden Melodien als auch dynamischen Rockern voll ausspielen kann.
2.
Helplessness Blues
Fleet Foxes
2011
Mit allerhand Verspätung erschien das neue Album der Folkies aus Seattle, die sich scheinbar jedes Instrument für ihr zweites Werk zu Eigen gemacht haben, das nicht bei drei auf den Bäumen war. Robin Pecknold, Sänger und Perfektionist aus Leidenschaft, gestand nach Veröffentlichung, dass das Album, wenn es bloß nach ihm gehe und keine Fans oder Plattenfirma warten würden, "wohl niemals zum Ende kommen würde, da es schwer fällt einen Song in endgültiger Form akzeptieren zu können". Die akribische Arbeit hat sich ausgezahlt, wurde ihr zweites Studiowerk doch sogar für einen Grammy-Award nominiert und in einigen Jahres-Bestenlisten berücksichtigt.
Überragender Track: Lorelai
D: Neben weitaus vielfältigeren und stimmigeren Kompositionen als noch beim Vorgänger präsentieren die Füchse abermals faszinierend obskure Texte sowie traumhafte Harmoniechöre und katapultieren hochwertigsten traditionellen Folk Rock in Mitten der Lady Gagas und Justin Biebers der Moderne.
M: Wow, die beherrschen ihr Handwerk! Scheint wirklich nicht viel zu geben, worauf Robin Pecknold und co. nicht musizieren können. Mit Krachern wie Lorelai oder Someone You'd Admire eroberten die Füchschen jedenfalls in Windeseile mein Herz. Prachtvoller Folkbuster, der auch den starken Vorgänger im Regen stehen lässt.
1.
My Beautiful Dark Twisted Fantasy
Kanye West
2010
Der momentan wohl einflussreichste Mensch im Musikgeschäft des 21. Jahrhunderts will mit seinem fünften Studioalbum hoch hinaus. Noch höher als mit seinen bereits unverschämt oft lobgepreisten Werken zuvor. Dafür holte er sich einen Berg aus Mitstreitern wie Kollegen ins Boot und schafft im Vorfeld den Spagat mit vier Single-Auskoppelungen sowohl Kritikern als auch dem weltweiten Publikum den Mund wässrig zu machen wie nur er es kann. Daraus resultierte eine relativ moderate kommerzielle Ausbeute, vergleicht man die Verkaufszahlen mit den überwältigenden Kritikerresonanzen. Grammy-Awards und Platinum-Zertifikat für über eine Millionen angebrachte Tonträger folgten. Stilistisch bedient sich West an den herausragendsten Eigenschaften seiner vier bisherigen Alben: The College Dropouts luxuriöser Soul, Late Registrations symphonische Baroque-Instrumentation, Graduations Hochglanz und 808’s & Heartbreaks Hang zur Elektronik kombiniert mit der Vorliebe, Samplers gekonnt in Szene zu setzen.
Überragender Track: Runaway (feat. Pusha T)
D: Schwer Worte zu finden, bei einem so in Stein gemeißelten Kunstwerk wie wir es hier erleben. Die zahlreichen Pop-Kultur-Referenzen, die unschlagbare Produktion, die unvergleichbare Leistung der Featurings und der unnachahmliche 'West-Style' sind nur einige der herauszustreichenden Merkmale, die in die Musikgeschichte eingehen, den Zahn der Zeit überdauern und als Monument des Jahrzehnts den Rest überschatten werden.
M: Der würdige Sieger, über den in beiderseitigem Einvernehmen kein Sterbenswörtchen verloren werden musste. Schwer Worte zu finden, indeed! Darum auch nur eine kleine mathematische Lösungsformel: 1+1=1. "Yeezy taught you well..."
Schlusswort:
Nach überraschend produktiven Brainstorming-Sessions konnten wir uns also tatsächlich auf die 10 Alben begrenzen, die unterm Strich beiden Parteien am sinnvollsten erschienen. Natürlich musste jede Seiten herbe Verluste einstecken und den einen oder anderen unter Tränen zurücklassen. Unter anderem fielen so Beach House, The Vaccines, Angels & Airwaves, Rise Against, Lana Del Rey, Gotye, Bon Iver etc. trotz guter Bewerbungen im Endspurt durch. Es half alles nichts, wir mussten hart bleiben und den gemeinsamen Nenner finden. Wie eingangs erwähnt, sind wir aber mit der finalen Selektion durchaus zufrieden und hoffen, ihr hattet ebenfalls euren Spaß beim Mustern und ggf. selbst refklektieren. Danke fürs Lesen und auf eine großartige zweite Hälfte der Dekade!
Daniel Krislaty & Mathias Haden