Zaz - Recto Verso

 

Recto Verso

 

Zaz

Veröffentlichungsdatum: 13.05.2013

 

Rating: 6.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 13.05.2016


Die Sicherheitsnetze des Pop halten Bruchlandungen, aber auch Großtaten auf Distanz.

 

Wacht auf Verdammte dieser Erde! Ich weiß noch nicht ganz, wo mich diese Eröffnung hinbringen wird, aber sie erscheint einigermaßen universell einsetzbar, da wird sich auch hier entsprechender Nutzen finden. Während das Aufwachen allzu oft eine qualvolle Angelegenheit ist, gilt es zumindest dann als große Tugend, wenn man bisher auf dem Holzweg war. Dann warten große Erkenntnisse. Andererseits wartet, wenn man sich ohnehin schon auf richtigen Pfaden entlangbewegt, nicht viel auf einen außer Bestätigung, man kann es also bleiben lassen. So wie sich Zaz auf ihrem self-titled Debüt präsentiert hat, hat es die Französin nicht nötig aufzuwachen, sie war bereits sehr gut unterwegs. Eine Prolongierung und Konsolidierung dieses starken Erstauftritts stünde an und genau das will "Recto Verso" sein. Allein, die Übung gelingt nicht so ganz.

 

Stilistisch ist allerdings fast alles beim Alten geblieben. Hinter Zaz' Stimme sorgt noch immer ein Gemisch aus Pop, Jazz, Folk und Chanson dafür, dass keine Gedanken an A-Cappella-Übungen verschwendet werden müssen. Auch weiterhin ist das musikalische Fundament eine großteils elektronikfreie Zone und ein Konglomerat aus leichten Akustik-Hooks, markanter Rhythm Section und hellen Klavier-Parts. Während sich also auf den ersten Blick wenig verändert hat, wird bald klar, dass das gewinnende Wesen von "Zaz" nicht so sehr im Was begründet lag, sondern eher im Wie. Natürlich haben J'ai Tant Escamoté oder Déterre auch weiterhin ihren Charme, doch von der leichtfüßigen Lockerheit und spielerischer Abwechslung ist nicht mehr viel zu spüren. Stattdessen ist die LP eher gelungenes Pop-Handwerk. Abgeklärt wirkt Vieles, schon Leadsingle On Ira zeigt relativ deutlich, mit welcher Zielgenauigkeit hier starke Hits produziert wurden. Auch wenn gesanglich und mit der Streicherunterstützung etwas mehr Drama im Spiel ist, als es ihre Up-Tempo-Nummern wirklich vertragen, bleibt ein gelungener Ohrwurm, dessen Beat man sich nur schwer entziehen kann.

 

Man muss trotzdem manchmal die Frage stellen, was die wirkliche Intention hinter einigen Songs hier war. Das Debüt zeigte bereits eine Sängerin von ihren besten Seiten, ab und zu nahe dran am Ungestümen, aber mit großartigen Momenten und zur Schau gestellter stimmlicher Vielseitigkeit. Diesmal scheint Zaz umso mehr darauf zu setzen, dass ihre Stimme für Emotion und Leichtigkeit sorgt. Nur so lässt sich die ausrechenbare Ausgestaltung von La Lessive oder Cette Journée erklären. Ersterer beweist: Reines Akustikgezupfe, das ist zu wenig, um dem gefühlsmäßig so sonnigen Naturell der Französin Auftrieb oder viel eher die benötigte Schwere mitzugeben. Natürlich ist auch ein entspanntes musikalisches Gewand keine Qualitätsgarantie, auch in volleren Arrangements verstecken sich bei Zeiten allzu gewöhnliche Töne, fast Anflüge von Müdigkeit. Immer dann passiert den Songs das, was drei Jahre vorher noch fast vermieden werden konnte: Sie dümpeln in der Durchschnittlichkeit. An Déterre erinnert einen wenig, auch wenn man den Hauch von rockiger Angriffigkeit zum Ende zu schätzen weiß. Auch das von Charles Aznavour mitgeschriebene Oublie Loulou lässt eher einen Zwang zur Lockerheit erkennen, als dass erfrischende Natürlichkeit durchkäme.

 

Aber - diesen Plot Twist konnte man sicher schon riechen - es geht natürlich auch anders. Comme Ci, Comme Ça ist so ein Fall, bei dem plötzlich wieder viel stimmt. Im Doppelpack mit dem ultralockeren Gamine ist es eine direkte Fortsetzung der gemütlich-frischen Treffer des Debüts. Am rauchigen Stimmchen kommt man nicht vorbei und wenn sich einerseits ein luftiges Ganzes aus Top-Gitarrenpart und immer wieder eingestreuten Piano-Spritzern in einen Barflair verirrt, andererseits ein unwiderstehlicher Beat mit Synthies nah an der Nervigkeit vor einem aufbaut. Damit gelingen ihr starke Pop-Momente, die ihre Wurzeln im Jazz oder Blues nur mehr sehr peripher erahnen lassen, dafür aber ohne Umwege ins Ohr finden.

Während sich Toujours in ähnlichen Sphären profiliert, lassen die ruhigeren, gesetzteren Momente schnell erkennen, wo die Stärken der Französin liegen. An ihren gesanglichen Fähigkeiten liegt es nicht, doch die Musik flacht fast immer dann ab, wenn emotionale Schwere ins Spiel kommt. Das Klavier-Stück Si beweist das eindrucksvoll, wird doch Zaz' starke Performance kaum wirklich musikalisch akzentuiert. Aber es gibt Ausnahmen, allen voran das starke Si Je Perds. Leicht hypnotisch muten die glatt gezupften Noten an, verstärkt vom Glockenspiel im Hintergrund. Erst spät wird dieser verlorene, minimalistische Sound kurz von einem Klavierzwischenspiel unterbrochen, es bleibt allerdings beim kargen Gewand, das für ungewohnten Schwermut sorgt.

 

Mit dem verschrobenen Tango-Closer La Lune beweist sie sich und allen anderen aber gleich wieder höchstselbst, dass man vor allem dort mit ihr zu rechnen hat, wo wenig Ballast auf den Arrangements lastet. Das hat auch damit zu tun, dass sich in den oft so einfachen Arrangements durchaus Finessen verstecken, die nicht nur für das harmonische Ganze unglaublich wichtig sind, sondern auch für die nötigen Brüche zum allzu Gewöhnlichen sorgen.

Dem kommt Zaz aber auf ihrem zweiten Album eindeutig einen ordentlichen Schritt näher. "Recto Verso" ist die Bestätigung ihres Talents als Pop-Musikerin, aber den Songs mangelt es nicht selten am nötigen Esprit, um wirklich nachhaltig einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Stattdessen sammelt sich hier einiges, das dem Wesen nach zur netten Nebenbeschallung gereicht, aber beim Intensivtests merkliche Schrammen oder eben gerade das Fehlen jeglicher Kanten offenbart. Es bleibt ein nettes Pop-Album mit vereinzelten tollen Minuten, die man nicht missen möchte. Nach einer verpassten Chance riecht es trotzdem. C'est la vie.

 

Anspiel-Tipps:

- Comme Ci, Comme Ça

- Gamine

- Si Je Perds


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