von Mathias Haden, 26.05.2019
Ein Mantel des Schweigens über den biederen Hardcore-Punk aus grauer Vorzeit.
In der Laufbahn jeder jungen Band stellt sich (hoffentlich) irgendwann unweigerlich die Frage: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Manche erreichen diese vermeintliche Weggabelung bereits in jungen Jahren und haben konkrete Vorstellungen, in welche Richtung die ersten Veröffentlichungen ausscheren sollen. Andere wiederum erfinden sich in teils sehr regelmäßigen Abständen immer wieder neu wie Kanye West oder David Bowie und wiederum andere merken erst nach dem zweiten Studioalbum, dass sie ziemlich beschissen sind und mit ihrem muckerhaften und höchst unmelodischen Hardcore-Punk (in meinen Augen kein zwangsläufiger Widerspruch per se) keinen Pfifferling verkaufen werden. Ob den Jungs von Yellowcard, namentlich Sean Mackin (Violine), Longineu W. Parsons III (Drums), Ben Harper (Lead-Gitarre), Todd Clary (Rhythmusgitarre), Warren Cooke (Bass) und Ben Dobson (Vocals), ihr eigenes Unvermögen überhaupt zur Gänze bewusst war, kann ich bei meinem derzeitigen Kenntnisstand und der Unlust zu weiterer Recherche gar nicht sagen. Die Grundlage dieser Vermutung beruht tatsächlich nur darauf, dass die Band nach besagtem zweiten Longplayer, passend Where We Stand betitelt, mit ihrem Kumpel Ryan Key statt dem vollkommen indisponierten Dobson hinterm Mikro zu neuen Ufern aufbrechen sollte und natürlich darauf, dass ich dieses, ja wegweisende Album selbst auch kenne und an den gesunden Menschenverstand der beteiligten Musiker appellieren möchte. Ein Machwerk dieser Sorte hätte ja eigentlich ausreichen müssen.
Damit scheint zwar alles zur zweiten LP des späteren Pop-Miniphänomens gesagt, wie es zu dem harschen Urteil kommt, sollte der Fairness bzw. der internationalen Verordnung zur strukturell und politisch korrekten Rezensionsbewältigung (kurz: IVzSuPKR) halber allerdings näher ausgeleuchtet werden. Tatsächlich spielt das Sextett, das zur Zeit der Aufnahmen durchschnittlich keine zwanzig Lenzen pro Kopf schwer war, auf Where We Stand eine Form des Punk, der in seiner wuchtigeren und schnelleren Natur mit den einladenden Pop-Melodien der späteren Inkarnation wenig bis keine Anknüpfungspunkte hat. Wenig, weil mit Longineu W. Parsons III, dessen Name einfach zu würdevoll klingt, um ihn nicht jedes Mal aufs Neue auszuschreiben, ja doch so etwas wie eine kleine Koryphäe an den Drums sitzt und durch Mackin jene Violine bereits - wenn auch noch sehr sporadisch - im Soundmix untergebracht ist, die Yellowcard stets von anderen verträumten Pop-Punkern abheben sollte. Im Prinzip sind damit auch schon wieder die Hauptelemente aufgezählt, die das Album einigermaßen am Leben erhalten und damit einhergehend auch als Rechtfertigung herhalten dürfen, warum man den zwei Prä-Key-Yellowcard-Alben überhaupt Gehör schenken sollte. Ben Harper ist nämlich durchaus ein brauchbarer Gitarrist, wie seine Beiträge auf Ocean Avenue und Lights And Sounds gelegentlich preisgeben, am Sophomore-Album der Band von der East Coast fallen seine Akzente aber unter die Rubrik "nicht der Rede wert" - wogegen sein Gitarren-Kollege Clary zumindest gelegentlich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann.
So kommt es, dass sich die Band durch die zehn Stücke prügelt, zwischendurch auch halbwegs Fahrt aufnimmt, dabei aber praktisch keine erinnerungswürdige Melodie hinterlässt und gleichbedeutend damit fast schon als Antithese zum kurzzeitigen Ocean Avenue-Stardom herhalten muss. Das Zusammenspiel ist zwar überaus schmeichelhaft, erlangt aber wie auf Opener Lesson Learned, Time Will Tell oder Up Hill Both Ways eine Dynamik, die letztlich doch einen gewissen jugendlichen Charme nicht entbehrt. Jugendlich ist vielleicht auch das richtige Attribut, um die songschreiberische Güte von Where We Stand bestmöglich zu beschreiben:
"Well, we're the ones that'll rule the world
That's how it will be!
Yeah that's us! We're the kids
Living in the USA"
Wer so zum Auftakt in einen Track reingrätscht, kann nicht hoffen, ernstgenommen zu werden. Dennoch ist das besagte Stück, namentlich Kids, vielleicht sogar das beste der LP, da sich hier das eindimensionale Spiel der einzelnen Musiker zu einem organischen Ganzen zusammenfügt und dabei zumindest ein wenig von dem Potenzial offenbart, das Longineu W. Parsons III, Harper und Mackin nur wenig später zu TRL-Helden werden ließ. An anderer Stelle moniert Dobson: "Will we be inferior / Surpassed by the machines we build / Will there be a Judgment Day / All I can say is time will tell" und man kann ihm zu diesem geistreichen Fazit nur von ganzem Herzen gratulieren.
Die anderen erfreulichen Meriten haben mit der musikalischen Darbietung auf Where We Stand zwar nicht viel zu tun, umso mehr aber mit besagtem Frontmann Dobson. Denn einerseits ist ein großer Pluspunkt der LP, dass sie nach einer knappen halben Stunde schon wieder rum ist, was insbesondere dem Publikumsliebling Ocean Avenue ganz gut getan hat, das größte Kunstwerk muss aber sein, dass Dobson und das Album es in freundlicher Allianz mustergültig zuwege bringen, dass man einen soliden, aber ungut kitschigen Typen wie Ryan Key von der ersten bis zur letzten Hundertstelsekunde an allen Ecken und Enden vermisst. Denn obwohl die anderen fünf Musiker mit sehr überschaubarer Muse herumklampfen und die Songs einer Punk-Studententruppe alle Ehre machen, ist es am Ende doch Dobson, dessen unmusikalische Gebärden und Rumgegröle zum Sargnagel einer ohnehin zum Scheitern verurteilen Platte werden. Bleibt am Ende noch ein nettes Artwork und die erfreuliche Erkenntnis, dass die Band letztlich doch ihren damaligen Standpunkt evaluiert und die richtigen Schlüsse gezogen hat. Time sure did tell!