von Mathias Haden & Kristoffer Leitgeb, 15.10.2016
Another sunny day in California - die Geschichte nimmt ihren Lauf.
Auf einen einzigen Aspekt reduziert zu werden, kann weh tun. Jeder sollte das nachvollziehen können. Manche besser, manche weniger gut. Ottfried Fischer a.k.a. der Bulle von Tölz weiß, wovon ich spreche, und damit meine ich gar nicht seine beeindruckende Wampe, ebenso wusste Columbo Peter Falk Bescheid. Um Abstand von der Glotze zu gewinnen, sei gesagt, die Liste der Interpreten, die wiederholt auf ihren Song oder ihr Album herunter gebrochen werden, ist lang. Zu lang. Und sei es auch nur vom unwissenden Pöbel, der von Deep Purple lediglich den Riff von Smoke On The Water kennt oder die brillante Diskographie von Hanson ausblendet, um heute noch zu Mmmbop am Dancefloor zu raven. Vielleicht ist es der eindimensionalen Natur des Menschen geschuldet, alles auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunter zu brechen, aber auch Ocean Avenue kommt dieses Schicksal als Aushängeschild der Amerikaner von Yellowcard zu.
Hängt natürlich alles mit der kommerziellen Komponente zusammen und dem Umstand, dass Pop-Punk im Jahr 2003 ein
weitaus heißeres Eisen war als in den Jahren danach, als die Band zudem einen breiteren Sound ansteuerte, mitunter auch bessere Werke ablieferte. Und selbstverständlich auch, weil die Mischung
aus spätsommerlicher Stimmung, pubertärer Emotionalität und eingängigen Melodien, die die dreizehn Stücke der LP offenbaren, unzähligen Teenagern dies-, vor allem aber jenseits des Atlantiks die
Augen öffneten. Und tatsächlich macht die vierte LP (bzw. zweite auf poppigerem Terrain und mit Sänger und Gitarrist Ryan Key samt genrekompatiblem, weinerlichem Organ) auf diesen Ebenen einiges
sehr richtig. Melodien wie jene des tollen Titeltracks finden sich zuhauf, von den beiden Gitarren, rollenden Drums und Sean Mackins charakteristischen Violineinlagen getragen. Letzterer kommt ohnehin die Rolle des Erkennungsmerkmals zu, das Yellowcard im Pop-Punk-Kosmos eine eigenständige Note verleiht.
Zusammen erzeugen diese Herrschaften lange Zeit eine angenehme Dynamik, die sich durch Stücke wie den Titeltrack, Life Of A Salesman, Miles Apart oder Breathing zieht und nur selten Spielraum für Fadesse aufkommen lässt. Geschichten werden erzählt.
Die üblichen eigentlich. Von Einsamkeit, von Liebe, von Vertrauen. Und obwohl Key nicht das schlechteste Händchen für Texte hat, ist er für Anleihen von Kitsch und Pathos auch gerne zu haben.
Nicht umsonst lastet der Durchhalteparole Believe, dem eigentlich liebevoll arrangierten One Year, Six
Months und dem arg schmalzigen View From Heaven ein ganz und gar öliger Beigeschmack an.
Zu diesem Zeitpunkt der LP ist die Luft allerdings ohnehin schon draußen. Ein Umstand, dem bei knapp 50 Minuten in einem nicht besonders facettenreichen Genre wie dem Pop-Punk ohnedies nur die wenigsten entrinnen könnten und der mit dem, die Albumstimmung zusammenfassenden, Back Home zumindest ein wenig kaschiert werden kann. Ocean Avenue ist im Prinzip wohl genau das Album, auf das die jugendliche Welt von einer Pop-Band aus Los Angeles im Juli 2003 gewartet hatte. Sommerlich romantische Texte, reuevolle Nostalgie, melancholische Violine und genug Energie, um über eine schwächelnde zweite Hälfte einigermaßen hinwegblicken zu können. Es sollten zweifellos bessere Alben von Yellowcard folgen, hier nahm die Geschichte allerdings ihren Lauf.
M-Rating: 7 / 10
Die Leiden des jungen Ryan. Eine kurze Geschichte über die Bedeutung von Kitsch im Pop-Punk.
Kurze Kritik an des Kollegen Review: Der Satz "Und obwohl Key nicht das schlechteste Händchen für Texte hat, ist er
für Anleihen von Kitsch und Pathos auch gerne zu haben." vergisst ein bisschen zu erwähnen, dass hier im Endeffekt alles kitschig ist. Die Violine, die Melodien, die hemmungslos auf Hochglanz
polierten Akustikgitarren, die Stimme und die Texte, ja, diese Texte. Was weiterhin nicht stören muss und soll, denn die hormonschwangere Aura des Pop-Punk kennt wenig anderes. Man muss
solcherlei Auswüchse also auch Yellowcard erlauben, umso mehr, als sie 2003 endgültig dem missglückten Experiment Punk entflohen sind und einen Koloss-von-Rhodos-Schritt in Richtung Pop gemacht
haben.
Außerdem ist anzunehmen, dass gerade die Zeit reif war für ein Pop-Punk-Album, weil zwei Monate lang keine der 25 anderen bekannten Genrevertreter dieser Ära etwas veröffentlicht haben. So war die Stunde da, in der man, obwohl man den 30er noch nicht einmal kommen sieht, bereits allzu nostalgisch auf die Vergangenheit im sonnigen Florida zurückblickt. Ocean Avenue eben. Und während das in Worten dargelegt die Mundwinkel unbequeme Verrenkungen anstellen lässt, hört es sich merkwürdigerweise trotzdem verdammt gut. Also Pop können die, soviel schreien einem die Hooks in die Ohren. Insbesondere können sie das, wenn doch noch Härte mitschwingt und also das frenetische hohe Tempo von Breathing oder Way Away sich mit aggressiven Riffs paart, die einen schon mal unbequem aus dem Schlaf wecken könnten. Da stimmt die Harmonie auch so überzeugend, dass man darüber komplett vergisst, dass Ryan Key mit seiner Mischung aus Nostalgie, Sehnsucht und im gleichen Atemzug etwas schizophren anmutender Versöhnlichkeit nicht unbedingt den richtigen Tonfall erwischt. Also zumindest nicht den, der einem nicht doch etwas platt vorkommt. Kitschig darf sein. Sehr sogar, wenn es der Band gelingt, das einer in den Fahrwässern von Adam's Song schwimmenden Ballade wie Empty Apartment einzuimpfen. Dort generieren dann nicht nur die Zeilen plötzlich wirkliche Emotionen, auch Mackins Violine ist für einmal mehr als ein eingestreutes Gimmick.
Ansonsten darf's aber gerne schneller sein, auch wenn sich die Tempobolzerei bald nicht mehr so bezahlt macht.
Nichtsdestotrotz sprühen Life Of A Salesman oder Twentythree noch vor Energie und Kraft, zeigen, dass das Quintett im speedigen Terrain eher Erfahrung und deswegen
Feinabstimmung mitbringt. Deswegen gerät die zweite Hälfte auch zunehmend zu einer zähen Angelegenheit, dort mangelt es nämlich an ebensolchen Minuten. Inside Out oder Believe
lassen dann nicht nur das Tempo vermissen, sondern bringen auch nicht die Atmosphäre zusammen, um das zu rechtfertigen. Da hilft es auch nicht, endlos "Everything is gonna be alright" zu
wiederholen oder mit dem Closer eine ungut süßliche Heimathymne zu fabrizieren. Ausgerechnet das ziemlich billige Emotionshaschen des countryartigen The View From Heaven überzeugt da
noch eher, mag es auch nur an der weiblichen Gaststimme und den starken Streicherparts liegen.
So passt das dann schon wieder ziemlich. Der richtigen Bemerkung des Kollegen folgend, darf auch "Ocean Avenue" als
Beispiel für die Theorie herhalten, dass im Pop-Punk jede Minute über der vierzigsten eine zu viel ist. Aber die Dreiviertelstunde bekommen Yellowcard auch dank des zunehmend wirksam werdenden
Pop-Verständnisses schon ganz ordentlich voll, sporadischer Besinnung auf punkige Grundtugenden sei Dank. Das reicht als Daseinsberechtigung für Album und Review, außerdem ist, nachdem sich die
Band vor kurzem ins Nirvana verabschiedet hat, eine kurze, stille Würdigung erlaubt.......ok, das genügt.
K-Rating: 6.5 / 10