Yellowcard - Lift A Sail

 

Lift A Sail

 

Yellowcard

Veröffentlichungsdatum: 07.10.2014

 

Rating: 4 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 24.04.2020


Die Segel gesetzt und mit bieder-pompösem Stadion-Rock ins emotionslose Abseits geschippert.

 

In diesen hypermedialen Zeiten, in denen man fast zwangsläufig alles noch irgendwie mitbekommen kann und wird, ist es zunehmend schwieriger, genau festzustellen, wann jemandes 15 Minuten Ruhm denn nun wirklich vorbei sind. Selbst wenn die nämlich vorbei sind, hört man immer noch jahrelang etwas von denen, wenn auch auf zunehmenden kleineren, der Nische verhafteten Kanälen, findet sie für zunehmend kürzere Zeit trotzdem noch vorne in den Charts. Früher ging das alles etwas schneller und einfacher, sodass man ein One-Hit-Wonder meist sehr schnell erkennen konnte. Yellowcard gehören eigentlich in genau diese Kategorie, besinnt man sich erst darauf, dass ihr großer Durchbruch eigentlich auch schon wieder so ziemlich das Ende des großen Erfolgs war. Ocean Avenue kam, sah, holte Doppel-Platin, ging dann aber auch mit seinem dazugehörigen, ebenfalls platingekrönten Album bald einmal wieder. Mit den nachfolgenden LPs suchte man auch Hitsingles und fand dann doch nie mehr etwas, das ähnlich zündete, sodass es stetig ein bisschen bergab ging, perfekt illustriert dadurch, dass die Zeit beim Major Label Capitol keine fünf Jahre überdauerte, dann Hopeless folgte und irgendwann selbst das fast schon zu groß war. Dieser Zeitpunkt war ausgerechnet mit "Lift A Sail" gekommen, das zwar größer klingen will als jedes vorangegangene Werk der Band, dabei aber weniger denn je zusammenbringt.

 

Die Ursachen dafür sind schnell erklärt. War man den eindeutig effektiven, aber doch etwas banalen Anwandlungen von "Ocean Avenue" ohnehin schon etwas entwachsen, sollte das neunte Studioalbum wohl so etwas wie den endgültigen Abschied vom Pop-Punk und dem angestammten, geradlinig simplen Alt Rock bedeuten. An und für sich kann das einiges bringen, sind doch die künstlerischen Grenzen gerade des Pop-Punk nicht die allerweitesten und damit ein Ausbruch daraus durchaus günstig, um sich etwas weitläufiger zu entfalten. Problematisch wird das im Falle dieser LP deswegen, weil die Schritte, die die Band macht, in eine höchst merkwürdige und denkbar ineffektive Richtung gehen. Man lässt die vermeintliche Einfachheit der hurtigen Drei-Akkord-Songs im entfernt blink'schen Stile hinter sich, nur um noch eindimensionaler klingen zu können, indem man urplötzlich - um bei der blink-182-Analogie zu bleiben - Tom DeLonges Späße mit Angels & Airwaves imitiert. Höchstwahrscheinlich passiert das nicht bewusst, die grausam hohlen Übungen in voluminöser Stadion-Wucht mit vermeintlich atmosphärischem, oft synthetischem Beiwerk sind jedoch eine so ungelenke Mischung aus emotionaler Leere und trotzdem bedeutungsschwangerer Übersteigerung, dass keine andere Band in den Sinn kommt als die des blink-Abtrünnigen. Und das ist bitter, weil das nie wirklich funktioniert hat.

 

Yellowcard scheitern dementsprechend genauso daran, nach einem rückblickend irritierend vielversprechenden Violinintro auch direkt mit dem eigentlichen Opener. Transmission Home startet mit nicht mehr als wuchtig im Nichts verhallendem, abgehacktem Getrommel, behält allerdings auch mit Gitarren und Ryan Key diese undynamische Gangart bei. Ergo hat man es mit trägen Soundwänden zu tun, deren kitschig-epischer Refrain mit den dröhnenden Riffs, kaum spürbaren Synthschwaden und Keys offensichtlichst im Studio zurechtgebogenem Gesang genau nichts an Emotion in sich trägt. Begünstigt wird das dadurch, dass textlich mit ähnlich diffusem, pseudo-spacigem Lamentieren nichts zusammenkommt, das wirklich irgendetwas bedeuten oder transportieren würde:

 

"Life comes at the speed of light

But there's a place in time for me when

Love runs into every day,

Over every place that I've been

 

Oh, I wanna wipe these stars from my eyes,

Oh, I wanna search and see what I find"

 

Oookayyy, nehmen wir das mal so hin. Die Songs ergeben sich in der Folge dieser latenten Wirksamkeit, sofern sie wie der Opener in die Kategorie der aufdringlich pompösen, aber eben doch unpackbar trägen und unspezifischen Kompositionen fallen oder aber trotz konventionellerer, zurückhaltender Machart schlicht fad und bestenfalls schmalzig wirken. Crash The Gates gehört eindeutig zu ersterem, zerbricht an den endlosen, statischen Gitarrenwänden ohne Sinn und Nachdruck. Madrid landet dagegen im zweiten Topf, sollte als akustische Ballade und damit Antithese zum aufgeblasenen Beginn des Albums eigentlich durchaus zünden, leidet aber unter Keys melodramatischem Gesang, der seinen limitierten Fähigkeiten nicht gerecht wird. Das, in Verbindung mit selbst für Liebhaber des dezenten Liedguts ein bisschen gar wenig Bewegung im Song, macht nicht viel her. Dementsprechend sucht man meist vergeblich nach etwas, das wirklich funktioniert. Single One Bedroom wäre dazu geeignet, ruft es doch trotz des zu harten, synthetischen Beats und damit weniger sympathischer Machart starke Minuten wie One Year Six Months oder gar Dear Bobbie leise in Erinnerung. Bombardiert wird das durch einen einmal mehr kitschig intonierten Refrain und noch einmal umso mehr durch die jeder Erklärung entfliehende Idee, in der zweiten Songhälfte plötzlich wieder die dröhnenden, akzentlosen Gitarrenwände aufzufahren. Und weil auch das in alter Machart gestaltete My Mountain ziemlich blass daherkommt, Fragile And Dear trotz für einmal gelungener Kombination aus schwergewichtigen Rocktendenzen und elektronischer Basis im Drumbereich den Refrain versaut und die abschließende Klavierballade California zwar alle Merkmale eines gefühlvollen Lichtblicks in sich trägt, Key aber wiederum neben der Spur klingt, bleibt irgendwann nicht viel übrig.

 

Folgerichtig zieht man sich als Hörer zurück auf die wenigen Erinnerungsstücke an die guten Seiten früherer Auftritte der Band. Bei weitem eindringlichste Darbietung dahingehend ist The Deepest Well, das es für einmal schafft, die wuchtige Härte der Gitarren weder klanglich übermäßig zu verunstalten noch sie völliger Trägheit zu opfern. Stattdessen bekommt man druckvolle Strophen, die in einem zur Abwechslung gelungenen, hymnischen Refrain kulminieren und dort durch die wenig grazilen, aber eindringlichen Performances von Ryan Key und den Sänger von Memphis May Fire, Matty Mullins, als Gast definitiv beflügelt statt runtergezogen werden. Zwar umgibt diese Minuten etwas zu sehr der angestaubte Charme der frühen 00er-Jahre und der damaligen Emo-Pop-Punker, das ist aber immer noch um viele Längen besser als das, was Yellowcard hier als Entwicklung verkaufen wollen. Im Sinne dessen ist man sogar zufrieden mit Make Me So, das zwar nichts von Subtilität oder sonderlicher textlicher Tiefe hält, dafür aber musikalisch dynamischer als der Rest des Albums wirkt und dahingehend im positiven an +44 - den anderen blink-182-Ableger - und deren Make You Smile erinnert. Abgesehen von der wohl notwendigen Erwähnung des Titeltracks als sicherlich stimmigste Umsetzung der melodramatischeren Seite des Albums, war es das dann aber auch.

 

Yellowcard haben sich also ein bisschen in eine Sackgasse bugsiert und das ausgerechnet mit einem Album, das wohl auch ein bisschen eine nötige Neuerfindung sein sollte, nachdem auch die kritisch wohlwollend angenommenen Vorgänger so ziemlich an der Welt vorbeigegangen sind. Was auch immer jetzt das Ziel von "Lift A Sail" sein sollte, klar ist sehr schnell, dass dieses Ziel nicht wirklich erreicht worden sein dürfte und dass sich vor allem durch so etwas nichts am schleichenden Abschied der US-Amerikaner von der Bildfläche ändert. Hört man sich diese LP an, wird es einem aber auch ziemlich leicht gemacht, das nicht allzu schlimm zu finden. Nicht nur, dass die Band einem das Gefühl gibt, sie wäre außerhalb ihrer angestammten Komfortzone nicht allzu beschlagen, es scheint auch jegliches Gespür dafür abhandengekommen zu sein, was sie denn nun gut können und wovon man tunlichst Abstand nehmen sollte. Dieser Art des mühsamen und leeren Stadion-Rock gilt es nämlich generell nie zu nahe zu kommen. Stattdessen kann man ihm aus der Ferne beim Scheitern zusehen.

 

Anspiel-Tipps:

- Make Me So

- The Deepest Well

- Lift A Sail


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