von Kristoffer Leitgeb, 01.03.2021
Mit der musikalischen Wandlungsfähigkeit kommen auch die qualitativen Aussetzer.
Wiewohl Wolfgang Ambros ja doch insbesondere aufgrund seiner Großtaten der 70er - vom Hofa bis zur Blume ausm Gemeindebau - im allgemeinen Gedächtnis des Landes geblieben ist, sollten in Wahrheit kommerziell eher die 80er zu seinem großen Jahrzehnt werden. Bereits mit dem Status als Platzhirsch des Austropop und nunmehr mit der No. 1 vom Wienerwald als Backing Band auch dem Ruf als Livegarant ausgestattet, ist sich da zwar keine Nr.-1-Single wie Zwickt's Mi mehr ausgegangen, dafür wurde mit den LPs nicht nur die Spitze der heimischen Charts nach mehreren erfolglosen Versuchen zurückerobert, sie wurde zum Stammplatz des Wieners, genauso wie plötzlich auch die deutschen Charts. Monatelang war er drinnen in Österreich, mit "A Mensch Möcht I Bleibn" und "No. 13" überhaupt gleich fast ein ganzes Jahr. Der Startschuss dafür kam gleich zu Beginn des Jahrzehnts mit "Weiß Wie Schnee" und so sehr man dem Woiferl jeden Erfolg gönnt, drängt sich auch die Feststellung auf, dass dieser nichts daran ändert, dass der künstlerische Höhepunkt auch 1980 bereits hinter ihm lag.
Um dieses Urteil richtig einordnen zu können, muss man bitte im Hinterkopf behalten, dass dieser Gipfel den klangvollen Titel "Es Lebe Der Zentralfriedhof" trägt und als solcher nicht nur ein unumstößlicher Klassiker des Austropop ist, sondern schlicht auch eine seiner erstklassigsten qualitativen Ausnahmeerscheinungen. Da geht wenig drüber. Auch die achte Studio-LP schafft das nicht. Nie und nimmer eigentlich. Das soll gleichzeitig nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ambros auch da noch ein Händchen für kantige Texte, für durchdringende Kompositionen und jedenfalls keinen Sinn für gedankliche oder emotionale Zurückhaltung hatte. Insofern kann man schon Lobeshymnen anstimmen, wenn man sich auf diese neun Songs stürzt, weil man immer noch herausragende Höhepunkte finden wird, die einem im Ohr bleiben und dabei noch dazu so einiges auszulösen im Stande sind. Und die kommen noch dazu musikalisch vielseitiger denn je daher. Das relaxte und doch eindringliche Reggae-Ständchen I Wü Frei Sein bringt das entspannte, von der lockeren Rhythm Section und dem spannungsfreien Keyboardpart getragene, musikalische Setting perfekt mit Ambros' leidenschaftlichem Gesang und dem emotionalen Text in Einklang:
"I scheiß auf wos do woa und wos no kummt
Hauptsoch is fia mi, es geht ma guat
I wü frei sein, I wü leb'n
Und wann's drauf ankommt, dann zoi I a mit Bluat"
Hat man diese Minuten genossen, wird man aber direkt dem musikalischen Gegenteil ausgesetzt. Man landet im drückenden, atmosphärischen Guten Morgen, das nur mit hellem Klavier, brodelndem Bass und sich langsam dazugesellenden, wuchtigen Drums startet, bis sich irgendwann kernig tiefe Riffs einmischen und den Song in Richtung Rock tragen. Mit diesem stilistischen Wandel gerät auch Ambros in Fahrt, macht seiner Unzufriedenheit Luft und beschwört den sprichwörtlichen Sturm, der sich kurz akustisch breit macht, dann aber erst wieder der voll aufdrehenden Band Platz machen muss. Unerbittlicher musikalischer Drive mitsamt ungewohnt ausgedehntem Gitarrensolo und militanten Marching Drums trifft da auf textliche Kompromisslosigkeit bis hin zum Gewaltaufruf gegen die Reichen und Mächtigen. Erst spät kommt die
kritische, nicht minder wütende Selbsterkenntnis, mit der der davor losgetretene Sturm als falsch entlarvt wird:
"Wo ma hinschaut, nix wia Scheiße
Und söba is ma mitt'n drin
I kennt mi in di Gosch'n hau'n
Weu i so a Trott'l bin"
Und dass Ambros auch ganz anderes, nämlich in beinahe philosophischer Nachdenklichkeit ruhig, melancholisch und romantisch kann, bekommt man nicht nur mit dem soliden, aber nicht den idealen Ton treffenden Titeltrack, sondern vor
akustische Gitarre, leichte, helle Klavieranschläge und Ambros' ungewohnt zahme, aber weise Worte.
So sehr man diese Momente genießen oder in ihrer Eindringlichkeit spüren kann und so deutlich diese nachhallen, muss man aber auch feststellen, dass das nur eine Seite der Medaille auf diesem Album ist. Die andere ist beinahe ähnlich ausgeprägt
mit einem schrillen stimmlichen Ausrutscher gesanglich behaupten kann, folgt ein bewusst kitschiger, dem tänzelnden Klavier und luftig-leichtem, mehrstimmigem Singsang im gestelzten Hochdeutsch überlassenen Part. Beide sind dem Wiener nicht gerade auf den Leib geschneidert, sondern lassen ihn latent deplatziert wirken.
Nun halten sich hier Gut und Böse hier die Waage, wobei man einschränkend festhalten darf, dass Böse hier eigentlich nie wirklich schlecht bedeutet. Aber die LP ist zu oft unterwältigend, mäßig, fehlgeleitet oder einfach uninteressant, als dass das bei nur neun Songs nicht deutliche Spuren hinterlassen würde. Da die knappe Mehrheit der Songs Wolfgang Ambros aber immer noch in Bestform oder zumindest nahe an dieser zeigen, sind diese Verwerfungen erst einmal kein großes Drama, sondern lediglich schmerzhafte Lücken in einem Album, das sicherlich das Zeug dazu gehabt hätte, sich da ganz oben zu Zwickt's Mi und dem Zentralfriedhof zu gesellen. Denn der zunehmende musikalische Variantenreichtum imponiert hier trotz mitunter sehr suboptimalem Einsatz des dominanter werdenden Keyboards genauso, wie Ambros' ungebrochene textliche Direktheit und Authentizität, die sich gleichzeitig hier und da nachdenklicher denn je zeigt. Insofern ist "Weiß Wie Schnee" Sieg und Niederlage gleichzeitig, erschließt erfolgreich neues stilistisches Terrain, reißt dabei aber große Löcher auf, die einem das Genießen und Hineinfühlen deutlich erschweren.