von Kristoffer Leitgeb, 21.02.2018
Todesschwärze, Gulasch und a G'söchta - der Stoff, aus dem ein österreichischer Klassiker gemacht ist.
Man kann beim Begriff Austropop an so manches denken. Zuallererst vielleicht wirklich daran, wie lächerlich er als ummantelndes Gebilde fast aller musikalischen Erzeugnisse eines ganzen Landes ist. Zumindest damals, als der Kreisky noch im Kanzleramt gesessen ist. Man kann auch an so manchen Musiker denken und wird trotz vieler Figuren, die ihren bedeutenden Abdruck in der Geschichte der heimischen Musik hinterlassen haben, nur schwer daran vorbeikommen, einen Wolfgang Ambros gleichermaßen als passendste und klischeehafteste Gestalt des Austropop zu erkennen. Ein Mann, dem dazumal die jugendliche Kritik an den bestehenden Normen genauso anzumerken war wie der düstere Schmäh und die Weinseligkeit. Geblieben ist bis heute vor allem letzteres, aber es sind die alten Zeiten, die interessieren. Die, als der Zentralfriedhof zum Leben erwachte und ein untypischer Triumph im LP-Format geboren wurde.
Untypisch, weil der Liedersammlung des Wolfgang A., seines Zeichens auf ewig weniger Sänger als Jauler, nichts genuin Bahnbrechendes oder Überraschendes anhaftet. Wie das relativ einsame Singer-Songwriter so machen, spielen sie das meiste auf Klavier und Gitarre herunter, lassen sich eher zaghaft von einer klassisch rockigen Rhythm Section begleiten. Ambros ist nicht anders, auch wenn er sich von Christian Kolonovits albumumspannend ein halbes Orchester arrangieren hat lassen, mit Streichern, Bläsern und manch Tasteninstrument liebäugelt. Trotzdem ist an "Es Lebe Der Zentralfriedhof" nichts weiter ausschweifend, die Schritte weg vom beinahe komplett an der Akustischen eingespielten Debüt sind nichtsdestoweniger überdeutlich. Volle Arrangements gibt's überall, nicht nur im düster trommelnd eingeläuteten Titeltrack und Opener. Der ist ohnehin legendär, nimmt atmosphärisch zu Anfang Hells Bells vorweg, entwickelt sich aber nichtsdestoweniger zu einer Art heimeligem Wienerlied, dem man die egalitäre Botschaft kaum noch anhört dank des makaberen Humors. Genau der stempelt Ambros schnellstmöglich als Wiener ab, wobei man sich bei der ungenierten Wortwahl und reibungslosen Mischung aus todessehnsüchtigen Anwandlungen, sozialkritischem Grant und genießerischer Gemütlichkeit kein größeres Lob vorstellen könnte. Vielleicht vertrüge der Opener ein bisschen von alledem, denn die cineastische Aufmachung des Songs knabbert - nicht substanziell, aber dann doch merklich - an der Strahlkraft. Die eher billigen, synthie-befeuerten Disco-Anfälle im Post-Chorus tun das Ihrige zum nicht makellosen Anfang.
Aber es ist ein starker, ein überzeugender und einer, der entschlossen die Richtung vorgibt. Ins Schwarzhumorige und Meinungsschwangere, ins Lebenslustige und urig Natürliche. Alles davon ist in Wahrheit ein Geniestreich wie Wem Heut Net Schlecht Is, zur Abwechslung komplett in Eigenregie von Ambros komponiert. Jetzt ist das eigentlich ein klassisches G'stanzl, der Alkoholsehnsucht verpflichtet und doch ist es ein so offensichtlicher Seitenhieb gegen die illuminierte Selbstverständlichkeit der Heurigenkultur. Wider das Pflichtsaufen und die gedankenlose Schunkelei, ohne dabei der gemächlichen Gangart lockerer Klavierakkorde und bedächtiger Akkordeon-Begleitung zu entsagen. Authentisch eben, als würde man selbst in der Buschenschank sitzen; und trotzdem mit dem wunderbaren Hauch des Unbequemen, weil doch ein bisschen gekratzt wird an der idyllischen Fassade, ohne sich offensichtlicher Angriffe zu bedienen.
Die finden ohnehin an anderer Stelle Platz, dominieren eigentlich gar nicht so selten das Bild. Sicherlich seltener als auf dem mutigen Debüt, aber der ins Mikro gebellte Blues Familie Pingitzer zeichnet ein wenig sympathisches Bild von der Nachbarschaftspflege, nicht zu vergessen die unzähligen archetypischen, schwierigen Züge einer Familie, die man nicht einmal unbedingt in der gleichen Stadt wissen will, so häufig man sie auch finden könnte. Wie unsubtil das mit dem Finger in der Wunde bei Ambros aber auch sein kann, beweist die Erfolgssingle Zwickt's Mi, deren Zustandsbericht vom Wiener Alltag genau die gleichermaßen gelassene wie schwelende Antipathie für die Mitmenschen mitbringt, die es für Beobachtungen der unfeinen Art braucht. Dass die unverhüllt daherkommen, merkt man dann spätestens in der unübertroffenen Strophe 3:
"Die Jugend hat kein Ideal, kan Sinn für wahre Werte
Den jungen Leutn geht's zu gut, sie kennen keine Härte
So redn de, de nur in Oasch kräun, Schmiergöd nehman, packln tan,
Noch an Skandal daun pensioniert werdn, kurz, a echtes Vuabüd san"
Ein bissi bissig bisweilen, der echte Wiener mit dem Reibeisenstimmchen. Dass er ganz anders auch kann, beweist er gekonnt, wenn auch eigentlich nie ohne Hilfe von außen. Georg Danzer war damals ein gern gesehener Komponist in den Studios dieses Landes und weil er damals schon all sein Talent hatte, steuert er auch gleich für Wolfgang Ambros zwei sofortige Klassiker bei. Dass die unterschiedlicher nicht sein könnten, spricht wiederum für Danzer, wobei man vielleicht anmerken muss, dass die dadurch zu Tage tretende Bipolarität als Liedautor auch bedenkliche Züge aufweist. Naja, auf jeden Fall heißt einer der beiden A Gulasch & A Seidl Bier und entspricht inhaltlich so ziemlich dem Titel. Es ist veritable Substanzlosigkeit, die sich in der genüßlichen Aufzählung kulinarischer Köstlichkeiten der einfachen Art widerspiegelt. Aber so verdammt gut musikalisch untermalt, dass man sie nur mögen kann. Ob sich Danzer selbst am Klavier vergreift oder doch Kolonovits auf so virtuose Art schäbig dahinklimpert, ist nicht ganz klar. So oder so bleibt es ein denkwürdiges Duett ohne jede musikalische Finesse, dafür mit begnadeter Ohrwurm-Melodie und allen verfügbaren Sympathiepunkten auf seiner Seite. Auch wenn die Kombination von Kracherl und Burenhaut nie und nimmer zu verteidigen ist. Mit der Verteidigung schwieriger war es damals allerdings bei Heit Drah I Mi Ham. Die tragische Ballade entspricht auch ihrem Titel, ist allerdings als Suizidhymne so dermaßen direkt und bildhaft, dass man den gequälten Ton in Ambros' Stimme mehr als ein bisschen unheimlich und jede Zeile zunehmend beklemmend findet. Da hilft auch das karge musikalische Setting wenig, mögen die Streicher und Bläser auch darum bemüht sein, ein bisschen die Tristesse auszufüllen. Sowieso sinnlos, das Lied lässt Ludwig Hirschs boykottiertes Komm, Großer Schwarzer Vogel bedenklich harmlos erscheinen, bezieht aber auch daraus den Großteil der unglaublichen Qualität.
Schwachstellen? Ja, Espresso, eine songförmiger Schnarchsack, den Stärken von Ambros' Gesang diametral entgegenlaufend und ineffektiv ausstaffiert mit lahmenden Background-Stimmen, Violinen und Gitarrenzupfern. Funktionieren will da gar nichts, nicht einmal irgendwie.
Aber es bleibt ein einsamer kleiner Schandfleck, umringt von einigen der besten Songs, die die hohe Zeit des österreichischen Pop zu bieten hat. In Wahrheit ist "Es Lebe Der Zentralfriedhof" wohl der Klassiker aller Klassiker, geht es um das, was man gemeinhin als Austropop bezeichnet. Hauptsächlich hat das damit zu tun, dass zwei der erfolgreichsten und prägendsten Hits der 70er darauf zu finden sind. In Wahrheit ist die LP aber so beeindruckend konstant - und das auch dank tatkräftiger songwriterischer Unterstützung der Herren Prokopetz und Danzer -, dass Wolfgang Ambros eines der stärksten österreichischen Alben aller Zeiten abgeliefert hat. Wahrscheinlich ohne es zu wissen, ziemlich sicher, ohne sich wahnsinnig darum zu scheren. Wie es sich eben für einen Wiener gehört.
Anspiel-Tipps: