von Kristoffer Leitgeb, 05.03.2015
Auf dem Zenit von NDW Part II frönt man beinahe den gleichen Stärken und Schwächen wie damals.
Eine ganze Dekade liegt nun zwischen dem hier und jetzt und dem besprochenen Album. Und was haben wir seit damals weiter gebracht? Genau, nichts. Eine Wirtschaftskrise, super. Deutschland Weltmeister werden lassen, na toll. Und die Grünen in der Wiener Regierung, also wirklich. Früher war alles besser, immer, überall und sowieso. Weil Österreich von Wolfgang Schüssel regiert wurde, zusammen mit Haider. Weil alle mit iPods in der Größe von Ziegelsteinen in der Gegend herumgelaufen sind. Und weil unsere Fußballnationalmannschaft noch große Erfolge wie ein beachtliches 0:2 gegen Kanada feiern konnte. Und natürlich weil die Musik um Vieles besser...äh...naja. Kann man wohl so oder so sehen. Ok, Arcade Fire holten gerade einen Grammy, Avril Lavigne konnte man fast noch genießen, aber in Deutschland war eben auch grad Silbermond und Tokio Hotel und bald auch ein Xavier Naidoo, der uns allen beibrachte, dass kein Weg jemals irgendwie auch nur annähernd leicht sein kann. Und natürlich die hier, Wir Sind Helden.
Die waren auch immer schon gut darin, einem gehörig auf den Wecker zu gehen und dabei trotzdem noch ein ordentliches Album abzuliefern. So auch diesmal. Denn Hits waren da dabei, die es so wohl nicht hätte geben dürfen. Nach dem Wertvollen musste man erst auf dem traurigen Rest suchen. Der gewöhnliche Musik-Gourmant wird wohl auch damit seine Probleme haben, gewinnt die abseits der Kunst nicht ganz unsympathische Band doch mit einem in Textform eher grausigen Rezept: Synth-Pop trifft simples Songwriting und triviale Botschaften. Da kommt Freude auf! Man will es auch kaum glauben, dass sich etwas Gutes finden könnte, hört man nur einmal die Leadsingle Gekommen Um Zu Bleiben. Ein Nickel für den, der sie sich dreimal hintereinander anhören kann und nicht einem Tobsuchtsanfall erliegt. Natürlich, so einbisschen 50er-Big-Band-Charme, das kann schon Wunder wirken. Aber dann doch nur, wenn einem Sängerin Judith Holofernes nicht an vordester Front hingehaut und gleichsam lahme wie nervige Rhythmen malträtiert werden, die ursprüngliche Inspiration auch noch in der Produktion der trockenen frühen Noughties verloren geht.
Wo das abgehandelt wäre, bleibt Platz für den nicht ganz zu erwartenden Siegeszug einer anderen musikalischen Spezies. Die Band findet sich nämlich viel besser mit ihren ruhigeren, bedachteren und vor allem weniger reißerischen Momente zurecht. Schon der Opener Wenn Es Passiert gelingt so einerseits als perfekt anheizender Einstieg in die LP, andererseits als Mid-Tempo-Nummer rund um Gitarren in der Nähe des 'Jangligen' und Holofernes' in der Ruhe weit weniger nervigem Organ. So knallt man einen hymnisch-lockeren Refrain hin und beginnt den ausgekoppelten Ersteindruck wettzumachen. In diese Kerbe schlägt auch das atmosphärische Echolot, das sich mit seinen markanten Drums und den dezent eingesetzten Soundspritzern von der Gitarre, Keyboard oder dem Computer unaufdringlich gibt und dankenswerterweise mit textlich ordentlicher Umsetzung auch dem möglichen romantischen Kitsch weitgehend ausweicht. Ähnlich wie das minimalistische - und großartig betitelte - Ich Werde Mein Leben Lang Üben, Dich So Zu Lieben, Wie Ich Dich Lieben Werde, Wenn Du Gehst. Manchmal korrelieren eben doch Einfachheit und Effektivität, hier scheint es der Fall zu sein. Als Höhepunkt erweist sich aber die Trauerballade Darf Ich Das Behalten, die mit den tiefen Akkorden in der Strophe und der sonst nur im Refrain lauter werdenden Musik gewinnt, sich zudem in bester Manier der selbstauferlegten lyrischen Kindlichkeit hingibt. Die fördert eine merkwürdige Art der Emotion zu Tage, irgendwo zwischen eindeutiger Trivialität und uneindeutiger, vielsagender Nachdenklichkeit. Was immer es auch sein mag, es wirkt.
Das tun natürlich andere auch noch, vielleicht nur nicht ganz so, wie man es gern hätte. Gut, der Track Zuhälter macht sich wenigstens noch ordentlich in der Wiederaufnahme der Sozialkritik vom Debüt "Die Reklamation". Vor allem, weil man sich mit sonnig-lockerem Pop mitsamt Maultrommel nicht zu ernst nimmt. Andernorts wird die Sache schwieriger. Wütend Genug weiß trotz seiner kurz anheimelnden Rhythmen nicht wohin, leidet in seiner Überlange vor allem an der fehlenden Energie, die hier allem, den Bläsern, Keyboard und auch dem Gesang, anzumerken ist. So scheint die Band zu oft das Mittelmaß gepachtet zu haben, auch Single Nur Ein Wort bleibt dort hängen, mag zwar für das ein oder andere Mal nicht so schlecht sein, kann aber weder textlich noch musikalisch so etwas wie Substanz vorweisen. Schlimm erwischt es sie dann nochmal mit Zieh Dir Was An, dessen Plädoyer gegen die mediale, weibliche Nacktheit in aller Kürze einfach nur nervt. Unorthodoxe Rhythmen sind nicht immer heilsam.
Deswegen: Doch lieber trivial. Wie ließe es sich sonst erklären, dass der Titeltrack zum Retter der Up-Tempo-Fraktion werden kann. Nichts Spezielles, kaum erfinderisch und doch äußerst wohlklingend und mit starken Ausdauerwerten gesegnet. Gepaart mit dem Tim & Struppi-Gedenkvideo und der finalisierten erfinderischen Reimkunst von Holofernes wird aus dem Gute-Laune-Pop ein Lichtblick das oft ziemlich düsteren Genres. Trotzdem gehört der Schlusspunkt wieder den ruhigen Minuten, diesmal in Form des bassgetriebenen Bist Du Nicht Müde. Melancholische Zeilen vor dezentem Arrangement, die bestenfalls von den nicht gerade lupenreinen Vocals gestört werden. Trotzdem ein äußerst wohlwollendes Ende.
Was nicht bedeutet, dass man so einfach den zwischenzeitlichen Tiefflug vergisst. Wobei, allzu streng muss man dann auch nicht sein. In Wahrheit wird die Band in ihren Schwächephasen dem Klischee des mühsamen Quotenpop gerecht, ist also dort, wo man sie von vornherein ansiedeln könnte. Dass das nur eine Seite der Medaille ist, wird aber bei offenen Ohren schnell deutlich. Zwischen schrägen Reimen, weicher Stimme und Gefühl für musikalische Zurückhaltung formt sich eben doch Qualität.