von Mathias Haden, 10.10.2017
Ambivalente Gefühle und ein Versprechen für die Zukunft am richtungsweisenden Zweitwerk.
In der langen Linie amerikanischer Singer-Songwriter war schon immer ein prominenter Platz für mutige Damen reserviert. Frauen, die gleichzeitig bärenstark und zerbrechlich, dominant und feminin auftraten und in der patriarchalisch gesinnten Gesellschaft um Respekt und Anerkennung kämpften. Quasi als Antithese zu einer Lana Del Rey, die voller Stolz verkündet, sich bis nach oben geschlafen zu haben, stehen da etwa Loretta Lynn und Tammy Wynette, aber auch Dolly Parton, Emmylou Harris oder die junge Generation mit Kacey Musgraves und Whitney Rose. Okay, das den eigenen Pfeilen folgende Trailer-Park-Schönchen Musgraves vielleicht weniger, aber Rose auf jeden Fall. Wie ihre Kollegin arbeitet auch sie mit hervorragenden Musikern aus dem Country & Western-Bereich, steht zumindest auf ihrem zweiten Album Heartbreaker Of The Year mit diesen aber in einem innigeren Singer + Backingband-Verhältnis als das nach Hits dürstende Musgraves-Gespann. Auch steht sie mit überwiegend eigens geschriebenen Kompositionen wesentlich mehr in der Tradition authentischer Singer-Songwriter. Und das als Halbkanadierin!
Dass kein Schwein Whitney Rose kennt, während Kacey Musgraves Millionen absetzt und dabei auch von den Kritikern nicht unerheblichen Zuspruch erhält, steht freilich auf einem anderen Blatt. Das könnte sich unter Umständen aber bald ändern. Zumindest, wenn Rose weiter auf den Pfaden wandelt, die ihr Zweitwerk einschlägt. Sanft dahin schwelende Balladen und ein paar finster twangende Rocker, die entfernt an die frühen Neko-Case-LPs erinnern, als diese noch mit ihren Boyfriends das Genre aufmischte. Neben acht Eigenkompositionen finden sich noch zwei Covers auf der Platte. Eines davon ist von besonderem Interesse, nämlich There's A Tear In My Beer des unsterblichen Troubadours Hank Williams. Einerseits, weil die Nummer von Kindheitsbeinen an der Lieblingssong der Sängerin war und sie hier endlich die Gelegenheit kam, es auf Vinyl zu bannen, andererseits, weil ihre gefühlvolle Darbietung tatsächlich tiefgreifende Emotionen evoziert, die von der langsam durch den Raum gleitenden Begleitung - vor allem brennen sich Streicher, Pedal Steel und das Becken des Schlagzeugs ins Gedächtnis - den nötigen Raum erhält. Das andere ist der Pop-Klassiker Be My Baby der Ronettes, der sich wunderbar in das Country-Arrangement einfügt. Vorwerfen kann man diesem herzerwärmenden Duett aber, dass Kumpel und Produzent der LP, Raul Malo von den Mavericks, nicht annähernd das Niveau seiner Partnerin halten kann, was auch den anderen Stücken mit seiner Beteiligung wie dem schönen The Last Party unnötig Punkte kostet.
Anders Rose, die zwar durchaus noch Steigerungspotenzial offenbart, in gesanglicher Hinsicht aber einen
respektablen Auftritt hinlegt. Das Manko von Heartbreaker Of The Year ist aber ohnehin, dass trotz aller Sympathien für die Protagonistin und Interesse am weiteren Werdegang hier in meinen
Ohren zu wenig pepp und zu wenige Kracher versammelt sind. Lasso und besonders My First Rodeo tun zwar einiges dafür, den autobiographischen Geschichten der Songwriterin Schwung und
Dynamik zu verleihen, auf die gesamte LP betrachtet, ist das aber eine zu risikobefreite, glatte Angelegenheit, die nur allzu selten wirklich kräftig zulangt und nicht mehr loslässt. Bestes
Beispiel dafür sind die Midtempo-Stücke hier, die entweder schön instrumentiert oder formidabel vorgetragen dahin schmelzen, aber gerne mitreißende Melodien oder starke Hooks vermissen lassen. So
gehört auf Only Just A Dream, dessen dichtes Arrangement mit Orgel und hallendem Gitarrensound so produziert ist, dass es gelegentlich den Gesang von Rose und dem überflüssigen Malo fast
unter sich begräbt und auf Ain't It Wise, einem weiteren träumerisch schwelgenden Duett, das alles bereithält, außer dem, was in der Disziplin Singer-Songwriter von essenziellstem Wert
ist: einen griffigen Song.
Einer der großen Pluspunkte der LP ist dafür der erdige Gitarren- und Dobrosound von Nichol Robertson und Burke Carroll, der besonders den verhältnismäßig düsteren Titeltrack mit der coolsten
Bassline weit und breit, aber auch die rockig-twangige Achse um The Devil Borrowed My Shoes und Lasso gehörig aufwertet. Überhaupt darf man gespannt sein, was diese potenziell
fruchtbare Zusammenarbeit in den kommenden Jahren für uns bereithalten könnte.
Immerhin führt uns Heartbreaker Of The Year, die zweite LP der amerikanisch-kanadischen Songschreiberin und Sängerin, eine Künstlerin vor Augen, die vieles richtig macht und schon eine sehr genaue Vorstellung hat, wo sie hin will. Die Stimme ist vielversprechend, die Band spielt souverän und auch die Produktion ist sauber, vielleicht etwas zu sauber. Das einzige, was hier fehlt und damit können wir gleich eine Brücke zu Tanx, dem anderen von mir in dieser Woche rezensierten Album, schlagen, sind große Kompositionen, eingängige und vor allem eindringliche Songs, die Whitney Rose ein eigenständiges Profil verleihen würden. Das Potenzial ist eindeutig vorhanden und wie ich vorher lesen durfte, ist das dritte Studioalbum seit wenigen Tagen im Handel erhältlich, vielleicht ja sogar in unseren Breitengraden. Man darf jedenfalls gespannt sein, wohin der Weg der Sängerin noch führen wird.