Mit denselben Zutaten kochen die Briten ein frischeres Süppchen als noch zwei Jahre zuvor.
Back to the roots, zurück auf Anfang! Na endlich! Wie sagt man denn so schön? Man sollte stets bei dem bleiben, was man am besten kann? Oder so ähnlich jedenfalls. Freilich tut ein wenig Veränderung und Abwechslung dem kreativen Künstlerherz mit jeder Kontraktion gut, daheim ist es aber doch immer am schönsten. Was diese unglücklich gewählte Verkettung altbackener Lebensweisheiten an dieser Stelle soll? Let’s do the time warp again!
Nach dem mäßigen Ritual, das auf das starke To Lose My Life… folgte, war es wieder Zeit, sich mit Produzent Ed Buller, der neben seiner Arbeit am Debüt vor allem für seinen Zutun bei Bands wie Pulp oder Suede Bekanntheit erlangen konnte, zusammen zu tun. Das Ergebnis dieser Sessions, die dritte LP Big TV, geht unter Anbetracht dessen auch wenig überraschend wieder vermehrt in Richtung Erstling, ohne allerdings erneut den wohldosierten Mix aus düsterer Melancholie und unaufdringlichem Kitsch zu treffen. Gebracht hat’s wenig, die Kritiken waren im Vergleich mit den beiden Vorgängern nur marginal euphorischer, dafür konnte man zum dritten Mal in Serie kommerziell am Ball bleiben. Aber verschaffen wir uns selbst mal ein Bild.
Der Titeltrack ist klassischer - sofern man das nach zwei LPs schon sagen kann - White Lies-Sound, lehnt sich mit seinen schwungvollen Gitarren, den hallenden Drums und wohlplatzierten Synthesizern weiter an die geliebten Achtziger an, klingt außerdem noch wesentlich befreiter und frischer, als es beinahe die gesamte Tracklist des Vorgängers getan hatte. Ein Faktor, der auch dem gesamten Album gut tut. Leadsingle There Goes Our Love Again verbindet elektrisierendes Mitschunkel-Popgefühl mit atmosphärischen Wave-Klängen, ist den Vorbildern von Joy Division - wenn überhaupt noch - gerade mal bei Love Will Tear Us Apart nahe und liefert ähnlich jener Kultband ihren eingängigsten Song ab, auf dem sphärischen Change kulminiert die prominente Gegenbewegung zum poppigen Hitpotenzial, die gefühlvolle Ballade in schönster Produktion, leider mit einem zu seichten Song. Die Geschichte, die dieses von der Band als Konzeptalbum beschriebene Werk trägt, läuft relativ unspektakulär im Hintergrund vorüber und würde ohne die entsprechenden Hintergrundinfos als solche kaum erkannt werden. Wie auch immer: die Story vom Pärchen, das aus der Provinz in die Großstadt zieht und von der desillusionierten Protagonistin, das hat doch eigentlich was. Zumindest in der Theorie.
Immer wieder musste sich die Band die Vorwürfe gefallen lassen, sich in ziemlich beschränkten Dimensionen zu bewegen. Die bösen Zungen werden auch bei dieser LP nicht verstummen, dafür funktionieren Harry McVeighs mitschwingender Tenor und sein tiefer Bariton einfach zu gut. Der ist es auch, der eine kitschige Ballade mit künstlichen Streichern wie First Time Caller trägt und ihr über textliche Makel, von der Big TV leider nicht befreit bleibt, hinweghilft: "I want you to love me / More than I love you / Tell me if that's something you can do".
Leider bleibt das Trio aber immer wieder an den Ansätzen hängen. Das balladeske Tricky To Love wird mit seinem Ausbund an Berechenbarkeit und Monotonie zur echten Geduldsprobe, auch das zahnlose Heaven Wait wirft kein neues Licht auf die Band, zeigt höchstens, dass man tatsächlich den Vorwurf, sie könne nur über das Thema 'Tod' schreiben, endlich endgültig ad acta legen könnte. Denn der ist auf der ganzen LP nicht im Fokus, auch wenn man sich bei der lauwarmen Romanz- und Emanzipationsgeschichte, die im Hintergrund ihre Kreise zieht, zu den unheilvollen Tagen von Death oder Unfinished Business zurücksehnt.
Dafür punkten die Londoner mit neuer Frische, lassen trotz der weiteren Vertiefung ins anvisierte 80s-Popterrain eine Entwicklung erkennen. Das hymnische Getting Even schafft mit starkem Refrain und Killer-Bassline Kinofeeling und zelebriert die großen Zeiten der Achtzigerproduktionen, Be Your Man führt diesen Gedanken bis zum Exzess und liefert mit seinen Discosounds eine erfreuliche Abwechslung. Dazu kommen noch die beiden Highlights, das ungestüme Mother Tongue und der ebenfalls sehr zügige Closer Goldmine, auf denen die Band ihrem typischen Klanggewand am nächsten tritt und mit letzterem noch ein paar Reminiszenzen an alte Songwritertage parat hält:
"This killing time
Is gonna bruise forever
So turn it back
better late than never"
Mit Ed Suller finden die White Lies wieder raus aus dem Morast des unbeweglichen Bombast-Pop vom Vorgänger, erfinden sich zwar nicht gerade neu, kochen mit denselben Zutaten aber ein frischeres Süppchen als zwei Jahre zuvor. Und auch wenn viel Luft nach oben besteht, beweist das Londoner Trio, dass man einen richtigen und wichtigen Schritt in der Entwicklung nehmen konnte und man die Hoffnungen, die Band nicht als One-Album-Geschichte abtun zu müssen, nicht voreilig begraben sollte.