Weezer - Pinkerton

 

Pinkerton

 

Weezer

Veröffentlichungsdatum: 24.09.1996

 

Rating: 10 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 15.03.2014


So sieht Perfektion aus: Feinste Gitarren, großartige Produktion und Texte zwischen erdrückender Tiefe und lachhafter Trivialität.

 

Depressive sind die besseren Musiker. Mit Sicherheit nicht immer, aber ein markanter Zusammenhang lässt sich nicht ganz ignorieren. Wie kommt's sonst, dass das Suizid-Trio Nick Drake, Ian Curtis und Kurt Cobain für seine Musik von einer Vielzahl an Musikliebhabern verehrt wird? Könnte ein Zufall sein, doch auch Robert Smith's Depressions-LPs waren ja angeblich seine besten. Weezer-Frontmann Rivers Cuomo in einer Reihe mit diesen legendären Figuren zu nennen, mutet vielleicht übertrieben an, aber die Vorzeichen standen bei seinem Meisterwerk "Pinkerton" alles andere als gut. Das "Blue Album" brachte ihm über Nacht Weltruhm, zeigte ihm das Leben vom einsamen Rockstar und hat eine ordentliche Portion Erfolgsdruck auf ihm abgeladen.

 

Und so wurde Cuomo vor dem Zweitwerk zum asketischen Einzelgänger, studierte nebenbei in Harvard und strich kurzerhand eine geniale Albumidee - nämlich die von der epochalen Rock Opera 'Songs From The Black Hole' -, um sie mit einer noch besseren zu ersetzen. Der polierte, leichtlebige und liebenswerte Geek Rock des Debüts wurde abgelöst von einem dunkleren, härteren, roheren Sound, der nicht wenige Fans zur Verzweiflung brachte. Dabei gehört diese Platte in die ach so kurze Reihe der perfekten Alben. Angefangen mit dem großartigen Tired Of Sex, Cuomos Abrechnung mit sinnlosen One-Night-Stands, über die Lesben-Lovestory Pink Triangle bis zum eindrucksvollen Akustik-Closer Butterfly, dessen karger Klang die emotionale Seite der LP noch einmal unterstreicht.

 

Dabei ist er musikalisch alles andere als der Vorzeige-Song von "Pinkerton". Akustisch ist nämlich wenig, dafür gibt's teilweise röhrende Gitarren mitsamt Top-Solos, unbearbeitetes Getrommel von Patrick Wilson, das Weezer zwischendurch zur Punk-Band werden lässt, und eine außergewöhnliche Gesangsleistung von Cuomo, der den Spagat zwischen dem wütenden Gebrüll in Getchoo und den dezenten Harmonien in Across The Sea ohne Fehler meistert. Dabei kann man der Band tatsächlich einen Sieg auf ganzer Linie bescheinigen. Denn bei aller Eingewöhnungszeit, die der störrische Rhythmus von Leadsingle El Scorcho, die verzerrten Riffs von Getchoo und letztlich auch die mit ordentlich Galgenhumor ausgestatteten Texte möglicherweise brauchen, irgendwann kommt der Punkt, an dem man merkt, das alle Zahnräder perfekt ineinander greifen.

 

Zu verdanken ist das aber nicht nur der musikalischen Leistung des Quartetts, sondern auch der perfekt umgesetzten Produktion, die die Band selbst übernommen und nicht einmal auch nur annähernd verpatzt hat. Die Entscheidung für 'weniger ist mehr' war die richtige, brachte dem Album einen großartigen Live-Sound, der aber trotz allem klangliche Perfektion zulässt. Dazu kommt Cuomos Songwriting, das seit den einfallsreichen Rhythmen des Debüts noch ein Eck besser geworden ist, vor allem mit der unkonventionellen Umsetzung glänzend dasteht. Denn "Pinkerton" wäre nicht "Pinkerton", würden nicht an sich kitschige Balladen wie Across The Sea, ihrerseits eine Ode an einen japanischen Fan, in den sich Cuomo nur dank eines Briefes verliebt hat, oder Falling For You mit durchaus harten Riffs und den trockenen Drums genug Charakter mitbekommen, um skurrilen Charme und gleichzeitig Emotion zu vermitteln.

 

Und da helfen natürlich auch die Lyrics tatkräftig mit. Die verbinden Verzweiflung mit nötigem schwarzem Humor, liefern einem Zeilen à la: "I'm dumb, she's a lesbian / I thought I had found the one / We were good as married in my mind / But married in my mind's no good [...] If everyone's a little queer / Can't she be a little straight?" oder "When I look in the mirror I can't believe what I see / Tell me, who's that funky dude starin' back at me?" Und so klingt Cuomo dann gleich weniger weinerlich, beweist neben all seinen offensichtlichen Problemen mit der Liebe wenigstens das nötige Gefühl dafür, wie viel Witz in denen eigentlich steckt.

 

Vielleicht wird hier auch deswegen fast alles zu Gold, was der Mann anfasst. Die Platte brilliert nämlich nicht nur mit der Stärke einzelner Songs - aus deren Reihe scheint einzig El Scorcho mit seinem schwierigen Tempo etwas abzurutschen -, sondern auch mit deren Zusammenspiel. Dass das Projekt 'Songs From A Black Hole', ein Album mit fließend ineinander übergehenden Songs, nicht ganz verloren ging, merkt man nämlich auch an der starken Aufteilung der Songs, den bestens eingestreuten Tempo- und Stimmungswechseln. Nicht zuletzt aber auch deren geschlossener Story, inspiriert von japanischer Kultur und der Oper 'Madama Butterfly', die den ewigen Kampf mit der Liebe und im Zuge dessen mit sich selbst allumfassend beleuchtet.

 

So kommt's dann, dass die Songwahl eine äußerst schwierige wird. Was wählen, wenn die Schwächen doch beinahe mit der Lupe zu suchen sind. Rivers Cuomo, der seine Meinung zu den von ihm geschaffenen Alben ja fast jährlich wechselt, darf sich zumindest für "Pinkerton" kräftigst auf die Schulter klopfen. So sieht Perfektion aus, ein Bündel an absoluten Top-Songs, deren Sound gerade durch fehlende Feinarbeit besticht und deren Emotionalität erfolgreich die Brücke zwischen erdrückender Tiefe und lachhafter Trivialität schlägt. Nach Jahren des Lobes von allen Seiten kein Geheimtipp mehr, dafür allemal ein dringender Vorschlag an alle, die es nicht kennen: "Pinkerton" gehört gehört.

 

Anspiel-Tipps:

- Tired Of Sex

- Getchoo

- Pink Triangle

- Butterfly


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