Vier Frauen und ein kreatives Feuerwerk zwischen verträumter Ästhetik und kollektiver Leistungsbereitschaft.
Geballte Frauenpower, dafür stehen diese vier Damen. Nun sind wir endgültig im einundzwanzigsten Jahrhundert angekommen, wo Frauen im Musikbusiness mittlerweile nicht mehr ausschließlich als hübsche Gallionsfiguren auf Plattencovern eingesetzt über dünne Stimmchen hinwegtäuschen sollen. Was nicht heißt, dass dieses emanzipierte Quartett, bestehend aus Emily Kokal, Theresa Wayman, Jenny Lee Lindberg und Stella Mozgawa, aus Kalifornien auf der Bühne keine Augenweide darstellt, aber wie abgeklärt und souverän die im Studio und auch live agieren, dafür gebührt Respekt. Dass man heute über Warpaint spricht - und ich hoffe, das tut ihr -, ist aber nicht nur dem musikalischen Output geschuldet, da darf man schon Frank Stronachs Lieblingsausdruck 'Freunderlwirtschaft' bemühen. Die 2008 erschienene Debüt-EP wurde nämlich unter der kräftigen Unterstützung von Kokals damaligem Boyfriend John Frusciante, dem Ex-Red Hot Chili Peppers-Gitarristen, produziert und fand im zweiten Anlauf beim weltweiten Re-Release ein Jahr später Anklang bei Kritikern.
Seit dem sind fünf Jährchen vergangen, auf die EP folgte ein Plattenvertrag bei Rough Trade, auf diesen wiederum folgte 2012 das ebenfalls positiv aufgenommene Debüt The Fool. Bereits schon da war klar: Warpaint passen nicht in das weitreichende, von Gitarren dominierte Spektrum der Indie Rock- und/oder Post-Punk/New Wave-Masse, das ja eigentlich immer noch brandaktuell ist. Die zweite, selbstbetitelte LP untermauert diese These jedenfalls. Denn was es auch ist, das die Girls hier aus dem Hut zaubern, es klingt undefinierbar und unverbraucht.
Wie eigenwillig sich die Band präsentiert, wird besonders beim fließend schönen Go In ersichtlich, das sich mit sanftem Groove und toller Gesangsperformance Kokals über jegliche Songstruktur erhebt und mit all seinen dezenten Details zu einem echten Gewinner heranwächst, den Otto-Normalpopper aber ratlos zurücklässt. Auch sonst tut sich musikalisch einiges, wurde ein weiterer Schritt in der Entwicklung genommen. Neben Kokals glockenhellem Gesang sind auch die anderen drei Ladies voll im Fokus, man höre nur Mozgawas treibende Beats im formidablen Keep It Healthy, eine der wenigen konventionelleren Nummern, die sich auf Warpaint entdecken lassen und die Kriterien für einen Rocksong erfüllen oder bereits im perfekten Intro, welches das grandiose Zusammenspiel zwischen Mozgawa und Bassistin Lindberg früh zeigt.
Fünfzig Minuten zelebriert das Quartett so herrlich fantasievolle Musik. Biggy ist eines der Highlights dieser Odyssee durch schimmernde Ästhetik und flimmernde Klangwolken, zieht mit der wohl mächtigsten Bassline der 2010er-Jahre auf wie ein gemäßigter Taifun und schafft das Kunststück, in knapp sechs Minuten stets das Spannungsmoment aufrecht zu erhalten. Mit Disco//Very geht es ab in den Club, der hypnotische Elektrobeat schmiegt sich bravourös an den unheilvollsten, aber unglaublich fesselnden Gesang und erweitert den bedrohlichen Text noch um eine Dimension:
"I've got a friend with a melody that will kill
She will eat you alive
Like cyanide it's poison"
Diese beiden dynamischen Killerstücke (im wahrsten Sinne des Wortes) trennt das lasziv verträumte Teese, auf dem die vier Sirenen Odysseus endgültig aus dem sicheren Schiff locken könnten. Single Love Is To Die gibt sich als veritabler Pop-Song mit schöner Melodie und - wie beim Rest des Albums - generell großartiger Produktion, lässt mit einem Refrain wie "Love is to die, love is to not die, love is to dance" die Herzen alter und neuer Fans hoch schlagen. Das größte Meisterwerk auf LP 2 erwartet uns knapp vor dem Ende mit dem traumhaft schön aufgebauten Drive, auf dem sich Stimmung und Tempo überschlagen, behutsam Spannung aufgebaut wird und in all seiner produktionstechnischen Pracht mit wohldosierten Synthesizern und schönster Gesangsperformance nur Freude aufkommen kann.
Bei all dem Enthusiasmus, den das von Mal zu Mal besser werdende Album hervorruft, muss man allerdings auch realistisch bleiben und auf die weniger funktionierenden Zahnräder der Warpaint-Maschine hinweisen. Denn so großartig die LP den Einstieg und den Übergang in den Mittelteil bewältigt, so unbeständig verläuft das letzte Drittel. Neben dem oben schon erwähnten, meisterlichen Drive gibt es zwar keinen schwachen Track, verhältnismäßig unspektakulär verläuft Warpaint aber in seinen finalen Takten und verpasst es somit, den so wichtigen letzten Eindruck ebenso grandios zu gestalten wie den ersten. Feeling Alright zeigt mit starkem Basseinsatz auf, braucht ansonsten aber einige Durchläufe, um sich endlich ins Gedächtnis zu brennen. CC hat eigentlich alles, was es für einen großen Track benötigt: düstere Atmosphäre, packende Vocals und spannende, klangliche Spielereien; als Gesamtpaket kommt aber vergleichsweise wenig beim Hörer an, auch dem abschließenden, träumerischen Son fehlt etwas um restlos zu überzeugen.
'Vier Frauen und ein Todesfall', kennt man ja bereits. 'Vier Frauen und ein kreatives Feuerwerk', so sollte dieser Review betitelt sein. Denn was Mozgawa, Lindberg, Wayman und Kokal hier geschaffen haben, hat die Substanz, in vielen Jahren als großer Klassiker und Meilenstein seiner Zeit durchgewunken zu werden. Das Zusammenspiel der Gruppe ist auf seinem Zenit, die Tracks fließen ineinander und sind überdies mit einer magisch anmutenden Produktion gesegnet. Das Fazit für unser erstes 2014er-Werk hier ist also mehr als positiv, ich für meinen Teil erwarte mir von dem Quartett noch Großes.