Vier Frauen und ein Hauch Beliebigkeit.
Unter all den weitreichenden Eigenschaften, die man sowohl dem Menschen, als auch der Natur zusprechen kann, ist die Schönheit womöglich die subjektivste. Klar, den Fruchtteller-farbigen Sonnenuntergang oder die Aussicht über Kyoto zu loben, wird nur in wenigen Fällen ernstgemeinten Widerspruch provozieren, doch kommen der Schönheit nicht umsonst die banalsten Sprüche zu: Schönheit liege im Auge des Betrachters, meinen manche. Andere behaupten, wahre Schönheit käme von innen. Ganze Sammelwerke ließen sich mit diesen schwulstigen Parolen füllen, widmen möchte ich mich in dieser Rezension keiner einzigen mehr. Interessant für diese ist ohnehin nur eine der ganz wenigen, wirklich beantwortbaren Fragen, die jegliche subjektive Annäherung unterbinden: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die schönste Band im ganzen Land? Und auf die Replik müssen wir gar nicht erst warten, so redundant ist sie. Denn Warpaint, das sind Emily Kokal, Theresa Wayman, Stella Mozgawa und Jenny Lee Lindberg - in dieser Konstellation im Bezug auf Ästhetik natürlich unschlagbar. Aber Schönheit hat noch keine Preise gewonnen, höchstens bei den Grammys oder den Video Music Awards, deshalb hört man bei den amerikanischen Frauen gerne etwas genauer hin.
Tut man dies auf ihrer dritten LP Heads Up (selbstverständlich mit betörendem Artwork ausgestattet) tatsächlich, bemerkt man in Kürze, dass das Quartett es sich ein bisschen zu bequem gemacht hat, auf meinen Lorbeeren bezüglich Aussehen, Bühnenpräsenz und vor allem der letzten beiden LPs. Dabei ist die neue Scheibe stilistisch gar nicht so weit entfernt vom tollen Vorgänger. Herrlich transzendent schweben die Stimmen der Damen durch den Raum, darunter, auf dem Boden, schunkeln Lindbergs immer stilvoller werdende Bassläufe, während Drums, Keyboards und dezente Gitarrenanklänge den Rest besorgen. Neu ist neben dem Umstand, wonach die Band erstmals kaum zusammen im Studio agierte, eine leichte Nähe zu Disco und damit einhergehend eine zaghafte Distanzierung vom verträumt melancholischen Sound des selbstbetitelten Vorgängers. Zaghaft, denn Songs wie Closer Today Dear im akustischen Gewand leben den verhuscht schwelenden Spirit vergangener Tage.
Leider sind diese auf LP #3 insgesamt in der argen Minderzahl. Meist eben zaghaft an legere Dance-Beats herantastend, um sich nicht zu weit vom etablierten Sound wegzubewegen, manchmal aber auch radikal, wie auf Lead-Single New Song, die sich offen, tanzbar und eingängiger als alles bislang veröffentlichte gibt und damit allerdings nicht wenige Fans der Band verschreckt haben dürfte. Aber auch die Hommage an Dr. Dre, Dre, experimentiert mit wuchtigem Beat und elektronischen Industrial-Anklängen und generiert damit eine bedrückende Stimmung. Daneben gibt es aber auch Stücke wie Don't Wanna, die sich mit einem coolen Bass und gelegentlichem Synth- und Gitarrengeplänkel zufrieden geben, eine Facette offenbaren, die unter den hübschen Stimmen gar nicht so einfach zu erkennen ist: ein Anflug von Beliebigkeit, der in Kombination mit der augenscheinlich gestiegenen Selbstsicherheit letztlich dazu führt, dass eine andere wertvolle Komponente transparenter wird, die Warpaint seit jeher (mit)ausmacht - emotionale Tiefe.
Ein anderes Problem bei dem Album ist, dass vieles einfach nicht hängen bleibt. Klar, auch beim selbstbetitelten Vorgänger musste man genug Geduld aufbringen, um seinen lohnenden Meriten auf die Schliche zu kommen, doch wusste man sehr rasch, dass da was im Busch ist. Auf Heads Up dominiert ein lässiger, unaufgeregter Flow, der zwar öfters als zu zuvor das Tempo anhebt und sich nach wie vor auf Lindbergs groovigen Bass stützt, aber weder großartige, noch wirklich schlechte Songs zutage fördert. Selbst das ziellos mäandernde Don't Let Go, das zumindest Mozgawas Schlagzeug und die Gitarren ins Zentrum rückt, hat seine Momente, kommt beim Hörer aber bestenfalls auf einer platonischen Metaebene an. Am besten ist die Band ohnehin dann, wenn sie in unmittelbarer Nähe ihrer Wurzeln aufspielt und wie am schönen The Stall, in alter Verträumtheit und mit unheimlicher Atmosphäre umhüllt, voranschreitet oder wie am Opener Whiteout mit dem authentisch beherzten Gesang ans Werk geht, wegen dem man die Band einst schätzen lernte.
Daran ändert auch ein durchaus enttäuschendes Experiment nicht viel. Zwei Jahre nach dem vorzüglichen Warpaint-Album, das seinerzeit vier Jahre auf sich warten ließ, lauscht man zwar einer LP, die Zweifel aufkommen lässt, dass die vier Protagonistinnen ihr nächstes Album vor 2020 zusammenschustern sollten, andererseits aber reichlich Talent, Schönheit und genug von Jenny Lee Lindbergs Bass mitbringt, um lediglich an den eigenen Erwartungen zu zerschellen. Der Sound wird vielschichtiger, gewinnt an Pop-Appeal, während der Fokus in Richtung Tanzbarkeit rückt. Und obwohl man den Damen den Überraschungserfolg der letzten LP (#9 im UK) anmerkt, möchte man ihnen einfach nur nahelegen, dass sie bald wieder vorzugsweise als Band und nicht separat voneinander aufnehmen. Ihre beeindruckenden Bühnenshows untermalen das zusätzlich. Glaubt man jedenfalls dem Bewertungsaggregator Metacritic, liegt Heads Up mit durchschnittlich 74 gesammelten Punkten auf Augenhöhe mit den beiden Vorgängern. Entweder übersehe ich hier etwas Wesentliches oder die Schönheit der Band blendet nicht nur deren Fans.
Anspiel-Tipps:
- The Stall
- Dre
- Today Dear