Wanda - Niente

 

Niente

 

Wanda

Veröffentlichungsdatum: 06.10.2017

 

Rating: 4 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 12.09.2018


Die Geschichte vom Sound, der nicht zwischen Melancholie und Lustlosigkeit unterscheiden lässt.

 

Allgemein gilt der klassische Österreicher nicht unbedingt als Energiebündel. Berühmt berüchtigt sind die Erzählungen der Wiener Gemütlichkeit, vom "Moch ma scho"-Prinzip an wirklich allen Fronten. Sogar an der militärischen, wo sich das Machtgefüge zwischen Preußen und dem altehrwürdigen Habsburger-Reich auch deswegen verschoben hat, weil die norddeutsche Disziplin zu etwas organisierterem und effektiverem Vorgehen geführt hat als die österreichische Laissez-Faire-Mentalität der bedächtigen Wurschtigkeit. Gleichzeitig hat dieser wohl nur vermeintlich einzigartige Wesenszug, der Österreich vielleicht nicht dominiert, aber doch mitprägt, in der Musik immer auch positive Spuren hinterlassen. Schwarzer Humor, zu Liedgut gewordene soziologische Studien und selbst rebellische Anklagen können eine immens sympathische Qualität entwickeln, wenn ihnen eine unterschwellige Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit zu Grunde liegt. Die Betonung liegt auf können, weil eben dadurch oft Sarkasmus und Zynismus, aber doch nicht alles besser wird. Phlegmatismus und emotionale Ausdrucksstärke schließen einander nämlich schon allein semantisch aus. Daran und an noch so manch anderem krankt es bei "Niente."

 

Denn Wanda machen einem das Leben nicht etwa schwer, weil man schmerzhaft offensichtlich schlechte Musik zu hören bekäme. Obwohl das mit der Harmonie und dem Wohlklang vor allem gesanglich so eine Sache ist, kann man sich soundtechnisch eigentlich mehr denn je mit Österreichs aktuell wichtigstem Beitrag zum Pop und irgendwie auch Rock anfreunden. Die Entwicklungsschritte gleichen zwar keinen Quantensprüngen, aber die dahingeschrammelten Drei-Akkord-Songs haben zumindest eine subtilere und vielschichtigere Form angenommen. In Songs wie 0043 oder Ich Sterbe kokketiert man nicht mehr einfach zum Selbstzweck mit klassischen Musikelementen, sondern weiß damit durchaus Atmosphäre aufzubauen und theatralische Eingängigkeit zu finden. Da sind Streicherarrangements und Klavierparts, die sich gegen das dürre und etwas anstrengend produzierte Indie-Gerüst der Band behaupten und einen volleren Klang ermöglichen, ohne gleichzeitig kitschige Überfrachtung zu verursachen. Es ist eine seltene Leistung, weil einem in Allerwertsgedudel wie Lieb Sein immer noch die elendiglich simple Schlagermelodie im klischeehaften Pseudo-Rock'n'Roll-Stil entgegenkommt. Aber es kommt vor und lässt Tiefe erahnen, wo man gerade auf "Bussi" durch seichteste Gewässer gewatet ist.

 

Insofern ist die dritte LP ein gewisses Upgrade, weil phasenweise eine musikalische Nuancierung gelingt, die man bisher bei Wanda beinahe für unmöglich gehalten hätte. Man freut sich über das schwermütige G'stanzl Schottenring mit seinem lebhaften Klaviergeklimper, nachhallendes Zupfen als untypische Bridge und den dazu unerwartet passenden, pulsierenden Bass. Gleichzeitig kommt keiner um das Eingeständnis herum, dass es der Band hier mehr denn je an tatsächlich eingängigem und erinnerungswürdigem Material mangelt. Einzig Lascia Mi Fare erinnert an die Gassenhauer-Qualitäten der besten Wanda-Songs und bestätigt mit seinem mitreißendem, im Bologna-Stil inszenierten Refrain, dass Italien ein fruchtbarer Boden für die Band ist. Während Marco Michael Wanda und Konsorten damit ein melodisches Lebenszeichen von sich geben, herrscht an anderer Stelle lähmende Blutleere. Die befällt in Wirklichkeit sogar die Platinsingle Columbo, deren prägnantes Zupfen an der Gitarre nicht überdecken kann, wie wenig sich in dem Track eigentlich bewegt, wenn man von den isoliert wirkenden und wirkungslos eingestreuten Pianoakkorden absieht.

 

Aus "Niente" soll wohl, schlussfolgert man einigermaßen geradlinig aus den Texten, eine melancholische Hin- und Hergezogenheit sprechen, eine Mischung aus wehmütigen Rückblicken und dem Hadern mit dem - romantischen - Hier und Jetzt. Das kann durchaus erfolgreich sein, nur entspringen diesen Gefühlen viel zu wenige ernstzunehmende Zeilen. Vereinzelt hört man Dinge heraus wie "Förmlichkeit ist das Ende der Kindheit", die zumindest in Ansätzen als starke Phrasen durchgehen. Dem gegenüber steht aber eine Mischung aus lyrischem Minimalismus, der an die Faulheit mehr als nur angrenzt, und spätestens durch Wandas flehendes, tonloses Krächzen lächerlich wirkende Passagen. Die einsame, hemmungslos übersteigerte Melodramatik von Ein Letztes Wienerlied wartet zum Beispiel mit folgendem auf:

 

"Lieber guter Himmelsvater
Einmal möcht' ich noch im Prater
Fahren mit der Grottenbahn
Und möcht' am Ringelspiel mich drehen

Ich möcht' die Wiener Madln sehen, Wiener Madln sehen
Gott, wie deppert seids ihr Wiener
Coney Island ist viel wärmer"

 

Während dank Piano und Streichern der Eindruck einer das Herz brechenden Sterbeszene in einer Daytime Soap Opera erweckt wird und Wanda stimmlich tatsächlich halb am Verrecken zu sein scheint, hört man dann solche Zeilen und versucht wirklich angestrengt, beides irgendwie in Einklang zu bringen und keines von beidem anstrengend und komplett fehlgeleitet zu finden.

 

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich irgendwann zu sehr auf diese eine Person einschieße, bleibt auch durch solche Tracks weiterhin der Verdacht bestehen, Frontmann Marco Michael Wanda wäre für einen Großteil der mühsamen Facetten der Band verantwortlich. Zweifellos zugestehen muss man ihm, dass er abgesehen von seinen starken Auftritten in Songs wie Lascia Mi Fare, die ihm mit einem hymnischen Refrain einen eindringlich-lauten gesanglichen Ausbruch erlauben, auch die Zurückhaltung in den ruhigen Minuten gelernt hat. 0043 oder das beschwingte Wenn Du Schläfst könnten grässlich klingen, würde sich Wanda nicht mit seiner gesetzten und sentimental angehauchten Performance im Einklang mit der Musik arbeiten. Gleichzeitig gelingt ihm nur im Falle des Nostalgie-Stücks 0043 ein positiver textlicher Ausreißer - und selbst der dank beharrlicher Wiederholungen mit Abstrichen -, während Songs wie Columbo an ihrer kaum nachvollziehbaren Verschrobenheit scheitern und Weiter, Weiter wie so manch anderer Track auf inhaltlicher Ebene einen Hauch von Nichts darstellt.

 

Das führt letztlich dazu, dass die Musik allein darüber entscheiden muss, wie gut ein Song gelingt, sofern sich keine gesangliche Exzentrik ungebeten einmischt. Beschränkt man sich dann wirklich nur auf das, was musiziert wird, bleibt ein Haufen eher müde klingender Mäßigkeiten. Dem gegenüber steht zwar die anfangs erwähnte, temporäre Stärke im Arrangieren der reichhaltigeren Songs. Die ist aber über das Album zu spärlich verstreut, als dass man damit die diversen Durchschnittskompositionen, die erneut wie Outtakes von früheren Sessions wirken, nachhaltig ausgleichen könnte. Deswegen kommt man letztlich nicht auf den Gedanken, "Niente" in seiner Gesamtheit anhören zu wollen. Wobei man beinahe komplett schmerzfrei durchtauchen kann und am Ende so ziemlich dort herauskommt, wo man auch am Ende von "Bussi" schon war, nur mit weniger Eingängigkeit und einem Hauch musikalischer Weiterentwicklung. Die allein kann wenig, was bereits dadurch besten illustriert wird, dass der einzige nachhaltig lohnende Moment klingt, als wäre er der Brudertrack der Durchbruchssingle Bologna. Der Rest weiß nicht, ob er jetzt wirklich wehmütig klingen oder einen langweilen soll.

 

Anspiel-Tipps:

- 0043

- Lascia Mi Fare

- Einfacher Bua


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