Voodoo Jürgens - 'S Klane Glücksspiel

 

'S Klane Glücksspiel

 

Voodoo Jürgens

Veröffentlichungsdatum: 08.11.2019

 

Rating: 6.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 17.04.2021


Ein zweiter Ausflug ins Alt-Wienerische in seiner lustigsten, hinterfotzigsten und klischeehaftesten Form.

 

Wien ist eine schöne Stadt. Für manche ist es sogar die lebenswerteste Stadt der Welt. Ein Urteil, das ich Stubenhocker und Anti-Globetrotter, für den zuweilen schon die Bezirksgrenzen eine unüberwindbare Hürde darstellen, mir nicht anmaße. Und dennoch lässt sich als g'standenes Wienerkind schnell feststellen, dass es sich hier gut leben lässt. Man weiß hier, wie überall sonst in Österreich, aber definitiv auch, dass früher alles besser war. Es muss so sein, alle sagen es ja, schon die Eltern und Großeltern. Wer dem widerspricht, kann das gerne tun, wird aber daran zerschellen, dass der Blick auf die längst vergangenen Zeiten des Wienertums, die vom Mundl, vom Kottan und vom Fünfer, ein romantischerer ist als der auf das schnöde Hier und Jetzt. Und so sei es auch David Öllerer - zwar als gebürtiger Tullner eigentlich ein Zuagraster, aber das war Wiens liebster Bürgermeister Michi Häupl genauso - unter seinem mittlerweile über die Landesgrenzen hinaus bekannten, gleichermaßen lustigen wie peinlichen Künstlernamen Voodoo Jürgens erlaubt, in den Untiefen der Wiener Vergangenheit zu graben. Auf "'S Klane Glücksspiel" passiert das zum zweiten Mal und zeitigt durchwachsene Resultate zwischen Genie, Wahnsinn, Fadesse und Stirnrunzeln.

 

Davor braucht es aber noch einen Voodoo-Grundkurs. Wer den Voodoo nämlich nicht kennt, wird wissen wollen, was hinter der Kunstfigur steckt. Genau genommen ist er alles und nichts, was es in Wien einmal gegeben hat. Ein Hallodri, ein Strizzi, ein g'rader Michl, ein Pfosten, ein Tachinierer, ein Schlawiner. Dass er diese Rollen ausfüllt und auch wieder nicht, liegt darin begründet, dass man immer ein bisschen damit kämpft, wie man ihn denn nun richtig einordnen soll. Als liebevoll romantisierende, aber lustige Nostalgiedröhnung, als bitterböse Karikatur des verklärten Damals, als schlichte Spaßeinlage, vielleicht gar als Kommentar zur Gegenwart. Man weiß es nicht. Und ein bisschen scheitert das Ganze daran, dass dem so ist. Denn was hier sicher geschieht, ist eine hemmungslose Überzeichnung. Wie schon am Debüt regiert auch hier nicht nur der tiefste Dialekt, den heute kaum noch wer versteht, sondern eine Aneinanderreihung von Geschichten und Zustandsbeschreibungen aus verrauchten Beisln und allem, was damit gedanklich im Entferntesten in Verbindung steht. Das aber auf eine Weise, die mitunter dermaßen überzeichnet wirkt, dass Genialität und ein bisschen Verstörung, gar etwas Fremdschämen ob der gezwungenen Machart sehr nahe beieinanderliegen. Es ist schwierig.

 

Jedenfalls aber nicht zu Anfang, wo die Frage geklärt wird, ob denn das überhaupt etwas kann. Es kann. Sehr viel sogar. Eingeleitet wird die LP von einem Trio an Liedern, dessen Qualität an die besten Momente des Debüts heranreicht. Zu verdanken ist das nicht nur dem Wortwitz, dem gekonnten Jonglieren mit geflügelten Worten des Wienerischen, dem trocken-hinterfotzigen Schmäh, sondern vor allem auch der locker-flockigen Musik dahinter, die die Ansa Panier, Jürgens' Begleitband einspielt. Die Arrangements geraten lebhafter und voller, zum pulsierenden Beat gesellen sich ein sonniger Riff und vor allem kratzig-dunkle Keyboardklänge und das Akkordeon. Die Percussion ist mithin das Herzstück, das alles in variabler Form am Leben hält, letztlich ist es aber ein urig-schräg anmutendes Gesamtkunstwerk, das einem in Form des Titeltracks gleich zu Beginn begegnet. Mitten in der glücksspielenden Unterwelt angekommen, ist es eine wunderbar raunzende Aneinanderreihung von Relativierungen und Ausreden des Spielsüchtlers, gekrönt vom ins Ohr gehenden Refrain, den Jürgens gemeinsam mit einer Wiener Institution, der Jazz Gitti, besingt.

Die Spitze des qualitativen Eisbergs folgt sogleich im Doppelpack, einerseits mit Kumma Ned, andererseits mit Angst Haums. Ersteres eine herrliche, vom dahinstolpernden Klavier und dem Akkordeon angetriebene Erzählung vom Schuldeneintreiber in ebender Spielerwelt. Die bringt nicht nur einen Jürgens in textlicher Topform mit, sondern auch noch Louie Austen mit ein paar eingeschobenen, geldknappen - oder "dibelflochen", wie es im Song heißt - Monologen, die alle Arten des Rausredens anbieten und in einen göttlichen, mehrstimmigen Refrain münden, der ein bisschen weinselige Feierstimmung vermittelt. Andererseits haben wir es, ganz untypisch, mit direktester Gesellschaftskritik zu tun, die mit militanten Drums und unheilvollen Keyakkorden anrollt und eine erstklassige Collage so mancher landläufiger Stehsätze als Begründung für populistische Rattenfänger bietet:

 

"A Angst haums, a Angst haums

Schert si jo kana mehr wos

Kehrt jo kana mehr vor da eigenen Tiar

 

[...]

 

A Angst haums, a Angst haums

Obghoid gheans

Hoid jo kana mehr die Leit o"

 

Nach diesem großen Spektakel und einer Albumeröffnung, deren Stärke unglaublich viel verspricht, ist es aber zunehmend vorbei mit der Herrlichkeit. Zwar muss man sich nicht auf sonderliche Abgründe einstellen, großartig begeistert ist man aber nur mehr sehr vereinzelt. Wem Gheat Des Mensch? ist auf der Nummer 4 noch ein sanfter Abstieg, versprüht musikalisch mit Akkordeon, trabenden Drums und kratzigen Geigenklängen ein bisschen Balkan-Charme mit, schrammelt schön dahin und nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Doch in Wahrheit wird man dem ureigenen Stil des Voodoo Jürgens, insbesondere mit bereits einer LP im Rücken, in der Folge etwas müde. Die Geschichten, die Taxler, Rode Sporttoschn oder Scheidungsleichn erzählen, bleiben weit weniger lang im Gedächtnis, sind an sich schon weniger pointiert und griffig. Auch die Instrumentierung wird weniger prägnant, selbst wenn deren schräge Akzentuierung rund um Keyboard, Akkordeon, Geiger, einem Kontrabass hier, der Flöte dort durchgehend gefällt. Nur hat all das so sehr den Charakter einer Karikatur, einer hemmungslosen Überzeichnung, dass es irgendwann zu viel des Guten oder auch nur des Kitschigen ist. Kitsch nicht im Sinne romantischer Gefühle, aber dann doch dahingehend, dass nicht alles klischeehaft nostalgisch oder auf den Mundl und die Alltagsgeschichten schielend sein muss.

 

Jedenfalls wird daraus hier weniger als auf dem Vorgänger gemacht, obwohl die LP länger ist. Die LP gerät zunehmend durchschnittlich, wird auch hier und da ruhiger und bedächtiger, ohne das wirklich zu rechtfertigen. Olles Nimma Deins oder Heast Do Hob I Scho Gnua nutzen jedenfalls in ihrer gemächlicheren Spielart die Vorzüge der Band nicht wirklich, finden aber in der Dialektkanonade auch keine nennenswerten Emotionen. Einzig 2L Eistee erscheint auf der Ebene als wirklich gewinnender Ausreißer mitten in der Tracklist. Da wird Nostalgie ganz richtig gelebt und besungen, wird man plötzlich ins Kindesalter zurückversetzt; in eine wenig glanzvolle, vom Luxus freie, in der die anderen "a neiche Levis" kriegen, man selber aber "nur a hojen" und in der der blaue Brief aus der Schule hereinflattert. Da fühlt man ein bissl mit beim gar nicht mal humorlosen Streifzug durch die Kindheit, selbst wenn es einem selbst nicht genauso gegangen sein sollte. Jeglichen Humors beraubt ist dagegen das düster schwelende Schwarz Wie Kindspech. Da wird auf musikalische Exzentrik verzichtet, stattdessen gesellt sich zu kargen Akkorden an der Gitarre lediglich noch die Mundharmonika. Ungewohnt düster gerät die Szenerie, auch der Text hellt da nichts auf, sondern gibt sich kryptisch düster.

 

Der Voodoo ist jedoch ein bisschen eingeschränkt in seinen stilistischen Möglichkeiten. Das soll nicht heißen, es wäre nicht Platz für unterschiedliche musikalische Eindrücke, das sollte bereits weiter oben klar geworden sein. Wirklich atmosphärische Unterschiede sind ob des tiefen Dialekts und der anfangs erläuterten Schwierigkeiten in dessen Einordnung aber kaum spürbar. Auch die gesanglichen Einschränkungen helfen dabei nicht. Der urwienerische Sprechgesang mag humoristisch mitunter großartig sein und an Rhythmik beim Herumraunzen mangelt es nicht. Aber Stimmungsvarianten sind dabei ein Ding der Unmöglichkeit. Das macht es umso schwieriger, wenn der Humor komplett ausbleibt und man sich auch musikalisch so gar nicht wiederfindet wie im komplett unnötigen und endlos wirkenden Ohrwaschlkräuler.

 

Immerhin ist das nicht das Gros dessen, was einem hier begegnet, sondern ein einsamer Tiefpunkt. Dennoch ist die zweite LP von Voodoo Jürgens schwieriger als sein Debüt. Der Schmäh droht mitunter alt zu werden, auch wenn das nicht verhindert, dass man immer noch hier und da einfach begeistert, zum Lachen und Mitsingen verdammt ist. Es soll auch nicht bedeuten, dass dem Ganzen kein Charme innewohnen würde, aber genauso wie die stilistische und inhaltliche Bandbreite des Albums relativ enge Grenzen kennt, verhält es sich auch mit diesem ominösen Charme. Alles endenwollend auf "'S Klane Glücksspiel", insbesondere nachdem man mit einem überragenden Dreigespann an Songs begrüßt wird. Danach ist kein Totalausfall zu beklagen, aber eine deutliche Armut an wirklich positiven Eindrücken. Möglicherweise muss also eingestanden werden, dass die Kunstfigur Voodoo Jürgens und ihre unnachahmliche Art zumindest hier an die Grenzen ihrer Wirkung zu stoßen droht. Noch lässt sich das selbst bei ausgedehnter Tracklist durch die Höhepunkte abfedern, es scheint sich aber alles etwas abzunutzen.

 


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