von Kristoffer Leitgeb, 25.10.2018
Die wohl fadeste Ansammlung von Vaudeville Rock, die hinter dem Genre Dark Cabaret stecken kann.
Ob man es nun als motivierend oder ernüchternd empfinden möchte, die Vorstellung, dass es einfach verdammt viele Genres gibt, von deren Existenz, geschweige denn deren Klang man nie wirklich etwas mitbekommen wird, ist relativ schwer zu widerlegen. Klarerweise ist dann nicht mehr von Allerweltsmusik wie EDM, Garage Rock oder Reggae die Rede, sondern wir bewegen uns in reichlich obskuren musikalischen Gegenden. Mitunter will man es auch einfach nicht wissen, wenn einem vielleicht irgendwann Begriffe wie Pornogrind oder Moombahton begegnen und dahinter hörbares Material stecken soll, das sich anzuhören lohnt. Aber manchmal steckt etwas Reizvolles hinter dem Konzept, auf dem ein Genre aufbaut, auch wenn es nie sonderlich viele Verfechter gefunden hat. Bei Dark Cabaret ist das zum Beispiel so. Diese Idee, sich der extravaganten, dekadenten, gleichzeitig humoristischen Qualität des klassischen Cabaret anzunehmen, es aber uzusätzlich ein wenig mit Goth Rock, Metal oder Punk zu verbinden und noch textlich einen eher morbiden Charme beizumengen, die ist verführerisch und vermittelt ungeahntes Potenzial. Dann begegnet man einem wie Voltaire und merkt, dass zumindest der nichts daraus zu machen weiß.
Wobei das auch mit einer zumindest auf "Boo Hoo" äußerst merkwürdigen Auslegung der Begriffe Dark und Cabaret zu tun hat. Gleich vorweg, düster ist hier ganz wenig und nach Cabaret klingt eigentlich genauso fast nichts, auch wenn sich die Violine als das Um und Auf des ganzen Sounds erweist. Wenn dann noch dazu kaum Humor in dem ganzen Zeug steckt, bleibt schon verdammt wenig an Spannung, um ein ganzes Album zu füllen. Versucht wird es auch, weil der US-Amerikaner mit kubanischen Wurzeln es auf vorherigen Alben zumindest geschafft hat, Eleganz und einen zumindest sporadisch zündenden morbiden Humor weit genug zu entfalten, um nicht komplett uninteressant zu sein. Und auf seinem dritter LP scheint er das auch immer noch zu können, wenn man sich ganz einfach an den Opener hält. Nicht, dass der auch nur im Entferntesten Goth- oder Horror-Elemente anzubieten hätte, aber in dem Arrangement steckt der nötige Drive, um den teilweise bösartigen Humor, der sich schon im Titel Future Ex-Girlfriend offenbart, passend zur Geltung zu bringen. Die Violinen tänzeln um das lockere Indie-Gewand, das den Unterbau der ganzen LP bildet, herum und unterlegen die charakteristisch tiefe Stimme des Sängers, die sich weniger gruselig annimmt, wenn ihr solche Zeilen auskommen:
"I didn't mean to surprise you
It took me just one week to despise you
And I dont care that you're a model
Cause let me say its clear to tell
That your brain is shot to hell"
Während das genuin witzig ankommt und der starke Eindruck des Songs die gesamte Tracklist überdauert, kommt man relativ schnell zu der Erkenntnis, dass dem Songwriter nichts einfällt, um die Streicher einigermaßen effektiv zu nutzen oder aber textlich zu überzeugen. Besonders ersteres schmerzt, weil man bald merkt, dass es nicht daran mangelt, ein paar nette Einsätze der Violinen zu bewerkstelligen. Die finden sich aber hauptsächlich in der ersten halben Minute des jeweiligen Tracks und stellen so die Band hinter dem Sänger vor das Problem drei oder vier Minuten an Musik am Leben zu halten, nachdem melodisch und arrangementtechnisch bereits längst alles gesagt ist. Mit dem nötigen Tempo kann man so I'm Sorry und #1 Fan immer noch ziemlich gut vertragen, weil sich dabei ein ordentliches Zusammenspiel der Streicher mit den Gitarren, vor allem der elektrischen in #1 Fan, ergibt und der galoppierende Rhythmus alles am Leben erhalten kann.
Irgendwann ist es aber damit vorbei und man wird mit banalem Gedudel abgespeist, dessen einzige Ablenkung von der lahmen Monotonie des Songs natürlich das Allheilmittel, die Violine, sein soll. Die kann aber dann auch nicht viel ausmachen, wenn sie zu einem Tempo verdammt ist, das irgendwo zwischen Kaffeefahrt und Trauermarsch gefangen ist, wie man es in See You In Hell oder dem melodramatischen, aber leider emotional komplett wirkungslosen Where's The Girl? erleben muss. Spätestens dann realisiert man auch, dass Voltaires Stimme kaum zu ernsten, noch dazu wenig einfallsreichen Texten passt, aber der kaum düstere, ohnehin selten erkennbare Humor wenig Biss und Treffsicherheit mitbringt.
Und so quält man sich ein bisschen beim Zuhören, wie er sich ein bisschen quält mit einem Cover von Björks Bachelorette, das hier zwar zu Beginn eine hypnotische Eleganz entwickelt, die tatsächlich an die isländische Eisprinzessin erinnert. Es gibt auch ein nettes, leider ultrakurzes Streichersolo, nur hört man eben auch fast fünf Minuten ein sich kaum veränderndes Ganzes und dabei statt der hohen Stimme Björks die sperrige, wenig grazile Darbietung von Voltaire. Dessen Stärken liegen anderswo, was auch bedeutet, dass die Versuche, sich mit About A Girl in Richtung Frank Sinatra vorzuarbeiten oder aber zum Schluss mit Caught A Lite Sneeze Tori Amos zu covern, wenig fruchtvoll sind. Zwar geben die Arrangements hier genug her, um einen nicht latent zu langweilen, die Qualitäten des US-Amerikaners kommen aber weder dann zur Geltung, wenn er ausgerechnet The Voice nacheifert oder sich an einer beinahe jazzige Züge annehmenden Ballade versucht.
Warum das überhaupt passiert, ist mir unerklärlich. Das liegt daran, dass sowohl auf dem Vorgänger "Almost Human" als auch hier Songs zu finden sind, die perfekt aufzeigen, wie die Nische, in die sich Voltaire gesetzt hat, wirklich großartig klingen kann. Das geht am besten, wenn er sich und seine Musik nicht ernster nimmt, als sie es sein sollte. Damit fährt er in BRAINS! großartig, auch weil ihm in dem lockeren Zombiesong die Zeilen, aber auch die Ideen für ein zündendes Arrangement zuzufliegen scheinen. Die Mischung aus klassischem Swing auf Seiten der Rhythm Section und traditioneller, osteuropäischer Folklore, die vor allem die Streicher beisteuern, ist lebhafter und feinsinniger als das ganze Drumherum zusammen. Nicht nur das, auch der makabre Charme des Sängers wird durch den comichaften Sound des Songs bestens abgerundet. Das ist etwas, das man sonst hier nie geboten bekommt und zu dem sich der Singer-Songwriter generell viel zu selten herablässt. Zwar umgeben BRAINS! mit The Vampire Club und Graveyard Picnic noch zwei Tracks, die immerhin thematisch in den gleichen Sphären angesiedelt sind und die Suche nach Humor nicht mit der nach der Nadel im Heuhaufen gleichsetzen, wirklich rund klingt das Spektakel aber dann eher weniger.
Womöglich auch eine treffende Zusammenfassung von "Boo Hoo" im Ganzen. Allerdings wäre das eine unscharfe Conclusio, weil doch das Album an sich gar nicht daran krankt, dass irgendwas unrund oder nicht ideal ausgeformt klingen würde. Nein, es ist einfach elendiglich langweilig. Zumindest gilt das für einen Teil der LP, der groß genug ist, um alles mit hinunter zu reißen. Hin und wieder bekommt man Reste von dem, was Voltaire eigentlich durchaus zu bieten im Stande ist. Wenigstens einmal hört man ihn in Höchstform und erlebt dann einen Musiker, der es versteht, morbiden Witz so einzusetzen, dass er ihn nicht nur textlich bietet, sondern auch auf die Musik überträgt und gerade dort damit für genug Charakter und Eigenheit sorgt, dass man ihm wirklich gerne zuhört. Erfahrungsgemäß überträgt sich das bei ihm nie auf ein ganzes Album und dieses ist da alles andere als eine Ausnahme.