Vampire Weekend - Modern Vampires Of The City

 

Modern Vampires Of The City

 

Vampire Weekend

Veröffentlichungsdatum: 14.05.2013

 

Rating: 9 / 10

von Mathias Haden, 06.11.2017


Betörende rich kid music, nahezu perfekter Pop und die einnehmendsten Melodien der East Coast.

 

Lange Zeit war New York City eine der großen Metropolen zeitgenössischer Musik. Immerhin fanden Punk und Post-Punk zumindest ihren Geburtshelfer im legendären CBGB, immerhin erlebte der Hip Hop einen wichtigen Teil seiner Blütephase zwischen Shaolin Staten Island und den Queensbridge Houses und immerhin waren es nicht zuletzt die Strokes, die der Welt Anfang des aktuellen Jahrtausends ein Revival der hartnäckigsten Art bescheren sollten. Einige immerhin mithin, ließe sich diese Aufzählung noch bedenklich lang weiterführen. Dennoch war es alles andere als selbstverständlich, dass das beste Album - oder sagen wir diplomatisch eines der zwei besten Alben - des Jahres 2013 Mal wieder aus der Hauptstadt am Zahn der Zeit stammen würde. Das bringt nun Vampire Weekend ins Spiel, diese intellektuelle Hipster-Band mit Hang zur Schlaumeierei und afrikanischen Rhythmen. Während das einstige Quartett und nunmehrige Trio für Songs über Oxford-Commas oder Horchata gefeiert wurde, anderen aber wegen ihrer selbstgefälligen Studenten-aus-gutem-Hause-Attitüde und der zugehörigen, selbstverständlich höchst banalen rich kid music ein Dorn im Auge waren, hatte sich schon im Vorfeld ihrer erst dritten LP eine enorme Erwartungshaltung in beiden Richtungen entwickelt.

 

Als Modern Vampires Of The City schließlich im Mai 2013 erschien, fühlten sich beide Seiten bestätigt. Immer noch die schönsten Melodien, die der Pop zu bieten hatte und nach wie vor diese vermeintlich großkotzige Band, die mit dem Leben da draußen offensichtlich nicht viel am Hut hatte, aber in ihrem fast klinisch ausperfektionierten Album stets so wirkte, als würde sie aus ihrem Elfenbeinturm über alles bestens Bescheid wissen. Wo man sich nun positionieren möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Ich behaupte, wir sollten die Musik sprechen lassen - und so schnell zu dem naheliegenden Entschluss kommen, dass die dritte LP der Amis tatsächlich ihr bislang größter Wurf ist und zu den besten Veröffentlichungen der vergangenen Jahre zählt. Das hat mehrere Gründe.

 

Ein wichtiger ist, dass Ezra Koenig, Chris Baio, Chris Tomson und der erst letztes Jahr das Handtuch werfende Multiinstrumentalist Rostam Batmanglij nicht mehr so klingen, als würden sie versuchen, Paul Simons Graceland in ein Campus-Korsett mit nerdigem Vokabular zu pressen. 2013 waren die Herrschaften immerhin in ihren 30ern angekommen und der Anspruch, nicht mehr wie eine pfiffige College-Band zu tönen, tut ihr Übriges. So finden sich auf den zwölf Tracks nur vereinzelte Reminiszenzen an vergangene Tage, wie etwa auf dem unruhig hyperventilierenden Worship You, auf dem Koenigs Stimme auf Hochgeschwindigkeit zu galoppierenden Drums davonreitet. Ein anderer ist, dass sich Vampire Weekend nicht mehr den afrikanischen Rhythmen verpflichtet fühlen, was erfreulicherweise nicht bedeutet, dass das Quartett auf diesem, ihrem vielleicht stärksten Gebiet grobe Einschnitte macht. Viel eher ermöglicht diese Entwicklung eine stilistische Flexibilität. Hannah Hunt, das eine berührende kleine Geschichte mit Roadtrip-Charakter erzählt, kommt ohne großes Arrangement aus, in Hudson mischen sich wuchtige Drums und ein obskurer Chorgesang zusammen und fügen sich wunderbar in die beklemmend trostlose Atmosphäre ein und Closer Young Lion ist simpler, von einem feinfühligen Klavier getragener Kammerpop, ähnlich dem nur minimal breiter geschichteten Opener Obvious Bicycle.

 

Fans der ersten Stunde müssen sich aber nicht betrogen fühlen, denn auch für energetische Hymnen zwischen Pop und Rock ist auf Modern Vampires Of The City reichlich Platz. Lead-Single Diane Young steht stellvertretend für diesen Ansatz, feuert einerseits dynamische Gitarrenriffs und scheppernde Drums ab, ist sich aber für Stimmverfremdungen, elektronische Sound-Gimmicks, ein kaum erkennbares Saxophon und eigenwillige Tempowechsel nicht zu schade. Wie gut die Rhythmusabteilung seit Jahren zusammenarbeitet, wird besonders auf Finger Back ersichtlich, das seiner Exzentrik samt schummernder Orgel und obskuren Übergängen mit Spoken-Word-Intermezzi ("Cuz this orthodox girl fell in love with the guy at the falafel shop and why not?") zwar mehrmals beinahe erliegt, dem Debüt aber stilistisch immerhin am nächsten kommt.

 

Generell ist das Vorhaben, ein perfektes modernes Pop-Album kreieren zu wollen, ja ein ehrenhaftes Unterfangen. Gerade da liegt aber wenn man will die einzig offensichtliche Schwäche der LP. Denn der Innovationsgeist und das Bemühen, alles aus den überwiegend starken Songs herauszuholen, ufert gelegentlich in kleine unnötige Passagen und exzentrisches Stimmverfremdungs-Gehabe aus - ganz zu schweigen davon, dass über den zwölf Pop-Perlen tatsächlich ein Hauch von einem religiösen Geist steckt.

 

Davon abgesehen, ist Vampire Weekend mit Modern Vampires Of The City ein wirklich exzellentes und gleichbedeutend damit auch ihr bestes Album gelungen. Koenigs samtig weiche Stimme fügt sich immer wieder wunderbar in die einnehmendsten Klavier-, Orgel- oder Streichermelodien des Jahrzehnts ein, Baio und Tomson sind als Rhythmusabteilung weiterhin fast unschlagbar und Batmanglij darf sich ein letztes Mal so richtig im Studio austoben. Obwohl man das Gefühl hat, weniger wäre ab und zu ein bisschen mehr gewesen, kommt das dritte Album der vorher herangezogenen Vorstellung von perfektem, modernem Pop verdammt nahe. Und wenn man dann in einem Review mit so hohem Rating noch nicht einmal dazu kommt, den Song mit der besten Melodie seines Baujahres (Step) zu erwähnen, dann sei dies nur als weiteres Indiz für einen beeindruckenden Triumph und tiefe Ehrfurcht meinerseits zu verstehen.

 

Anspiel-Tipps:

Unbelievers

Step

- Hannah Hunt

- Young Lion


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