von Mathias Haden, 03.07.2014
Lauwarmer Aufguss alter Ideen als Heilmittel für alternde und unkreative Musiker.
Woah, ist das geil! Da haben sich die Iren mal wieder selbst übertroffen: Der nächste Meistercoup und gerechtfertigterweise bei allen 9 Grammy-Nominierungen auch abgeräumt. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als hier und jetzt einen Toast auf Bono, Adam Clayton, The Edge und Larry Mullen Jr. plus Produzententeam anzustimmen: Das war spitze Jungs, ihr seid die Größten und blablabla....
Nein, aber ernsthaft jetzt. Was soll das? Ist man denen nicht schon genug in den Hintern gekrochen? Neun Nominierungen? Neun mal Sieger? War das Musikjahr 2004 so beschissen oder fließen hier Bestechungsgelder oder verstehe ich die Scheibe einfach nicht?
Und während ich zumindest eine Frage, nämlich die nach dem Musikjahr, mit einem klaren NEIN beantworten kann/muss (The Libertines, Arcade Fires Funeral,...), muss ich dem Rest dann doch auf den Grund gehen.
Bereits der Opener Vertigo stößt bei mir auf blanke Ratlosigkeit. Gut, da ist erstmals ein bisschen Power und Aggressivität in einem U2-Song und die kraftvolle Gitarre lässt mich zumindest einen Funken Interesse heucheln, aber was macht der bitte in diversen Jahresbestenlisten? Schon das schwachsinnige Intro ("¡Unos, dos, tres, catorce!") macht einfach nur stinksauer, danach kommt leider auch nicht mehr viel. Der nächste Reibepunkt heißt Love And Peace Or Else, ist bonomäßiger Pathos der übleren Sorte ("Lay down / Lay down your guns / All your daughters of Zion / All your Abraham sons") der sich in biederen Pseudo-Glam-Rock-Gitarren verliert. Grundsätzlich steht der Band der Versuch hier, wieder ein wenig Rock unter dominierende Keyboardwände zu bringen, ebenso gut, wie jener des Rappers Lil Wayne, einen Rockstar zu mimen. Keine Ahnung? Die Antwort ist jedenfalls 'schlecht'. So geraten auch die anderen, immerhin nicht zahlreichen Nummern zu langweiligem Nullachtfünfzehn-Gitarrengeschrammel. Dazu darf sich das eindimensionale All Because Of You, neben Vertigo das Paradebeispiel für substanzloses, aber immerhin druckvolles, Geplänkel, ebenso zählen wie das nicht gerade karg produzierte, mit The Edges angenehmsten Beitrag auf seinem Instrument liefernde Crumbs From Your Table, das neben dem ansprechenden Gitarrensound textlich fragwürdig erscheint und insgesamt auch nicht zur ganz großen Euphorie beiträgt.
Besser schauts aus, wenn sich die Band auf ihre (aktuellen) Stärken besinnt. Nun ja, zumindest geringfügig. Denn mit den letzten zwei Nummern Original Of The Species und Yahweh schreit Bono den ganzen in ihm aufgestauten Schmerz in die Welt hinaus und tut somit das, was er momentan wohl am besten kann. Besonders auf Letzterem übertreibt der Frontmann und mutiert zum leidenschaftlichen Missionar, der zu Gott spricht. Autsch!
Ansonsten ist How To Dismantle An Atomic Bomb mitsamt seinem grenzwertigen Titel und dem peinlichen Artwork eine Routineübung für eine Band, die im Prinzip alles aufgreift, was sie schon vor Jahren gemacht hat und in ein moderneres Arrangement steckt. Schier endlos erstrecken sich die unter dichten Synthiedecken eingewobenen Tracks, Bono schluchzt und jammert in Endlosschleife und seine Kollegen tun alles dafür, nur ja nicht motiviert und originell zu wirken. Kaum ein Track findet den Weg ins Ohr und wenn, dann marschiert er schnurstracks aus dem anderen wieder hinaus. Das Quartett ist viel zu sehr bedacht darauf, die Sache 'safe' runterzuspielen und so wenig Fans wie möglich zu vergraulen. Klar haben die Iren auf früheren Alben schon genug experimentiert, man denke nur an Achtung Baby oder Zooropa, aber mögen muss man die 50 Minuten gebündelte Langeweile und Überproduktion wohl auch nicht.
Aber dann doch! Zwei Lichtblicke im Nebel des trüben Dubliner Hundewetters. Der erste phosphoreszierende Hoffnungsschimmer trägt den Titel Sometimes You Can't Make It On Your Own, ist als berührende Hommage und Abschiednahme an Bonos Vater gerichtet und überzeugt durch gelungenes Songwriting:
"Where are we now?
I've got to let you know
A house still doesn't make a home
Don't leave me here alone..."
Der zweite Winner ist City Of Blinding Lights, wunderbar melodisch und atmosphärisch und mit einem überraschend unaufdringlichen Bono. Irgendwie fühlt man sich auch an ihren 1987er-Hit Where The Streets Have No Name erinnert, und das kann ja schwer negativ gemeint sein. Kleines Manko auf ordentlichem Niveau: Der typische, nicht-viel-sagende Refrain ("Ooh ooh ooh / Ooh ooh ooh / Oh you look so beautiful tonight / In the city of blinding lights"). Nichtsdestotrotz, das ist doch schon was.
Auf ihre alten Tage lassen sich die pathetischen Schmerzpopper aus dem Osten Irlands doch ein wenig zu sehr gehen, haben überraschenderweise noch weniger zu sagen, als ohnehin vermutet, und hinken ihrem eigenen Anspruch, die größte (geht durch) bzw. beste Rockband der Welt zu sein, meilenweit hinterher. Zu schwach der Druck, den aufstrebende Bands wie die Kings of Leon ausüben, zu hoch die Verlockung, im Schongang abzukassieren. Wie auch immer, das elfte Album der ohnedies seit jeher polarisierenden Band hat abseits vom üblichen Gejaule und The Edges 'singender' Gitarre kaum etwas zu bieten.
Aber grämen brauchen sich die beteiligten Herrschaften keineswegs. Immerhin wurden wieder über zehn Millionen dankbarer und ebenso anspruchsloser U2-Fans (keine Pauschalisierung) beglückt und gleichermaßen auch die Kritiker überzeugt. Und weit wichtiger: Egal, wie zäh die Kost, die uns die Band immer wieder aufs Neue aufkocht und serviert sein mag, dem Crazy Frog wird sie wertungstechnisch weiter voraus bleiben. Praise the lord...