von Mathias Haden & Kristoffer Leitgeb, 14.01.2017
Die hohe Kunst der Melancholie in elf gottverlassenen Songs.
Für nach wie vor viel zu viele Menschen ist John Townes Van Zandt lediglich ein edel klingender Name. Obwohl die poetischen Songs des genau heute (1.1.2017) vor zwanzig Jahren verstorbenen Texaners im Zeitalter des Internets und der allgegenwärtigen Rückbesinnung auf vergessene Helden Tag für Tag neuen Wissbegierigen die Augen öffnen und etliche Kritiker und Musiker, vorwiegend aus dem Country- und Folkbereich, ohnehin schon lange auf den Melancholiker schwören, wird sich auch in absehbarer Zukunft nichts an dieser traurigen Tatsache ändern.
Kein Wunder, lassen die kummervollen, nicht selten schwer deutbaren Kompositionen doch nur eine einzige Komponente vermissen: Massenappeal. Nimmt man Our Mother The Mountain, Van Zandts zweites Werk, finden sich auf der elf Tracks fassenden LP davon gleich zehneinhalb. Die halbe Portion zeichnet Opener Be Here To Love Me, der seine melancholische Wesensart unter einer schwungvollen Melodie und lieblichen Flötenklängen einfach gut kaschiert. Was natürlich nicht bedeutet, dass es dem Rest des Albums an Melodieseligkeit mangelt. So vermitteln Titel wie She Came And She Touched Me oder Why She's Acting This Way neben einem nagenden Gefühl der Einsamkeit, einem Sänger, der seinen Schmerz so glaubwürdig in die Welt hinaussingt wie sonst nur Gram Parsons oder Gene Clark und dem harmonischen Zusammenspiel der beteiligten Musiker (u.a. mit James Burton aus meiner Gitarristen-Top 10) eben auch wirklich schöne Melodiebögen.
An welchen Facetten der ausnahmslos exzellent geschriebenen und instrumentierten Tracks man sich am meisten erfreuen kann, bleibt eine rein subjektive Angelegenheit. Ob es die karge Schönheit vom unheilvoll trostlosen Kathleen ist, die mysteriösen Bilder, die der Titeltrack evoziert, oder die virtuose Performance der vielleicht bekanntesten Nummer der LP, Snake Mountain Blues - Our Mother The Mountain berührt tatsächlich auf weit mehr als nur einer betrüblichen Ebene. Wobei ich nicht leugnen will, dass es exakt diese ist, die mir die schönsten Minuten beschert. Wie die Mundharmonika am nostalgischen Like A Summer Thursday nicht alleine, ungeachtet dessen aber furchtbar einsam ihre Kreise zieht, brennt sich genauso schnell ein, wie die romantischen Worte, die durch den Raum hallen. Dieselbe Magie entfaltet neben Kathleen und dem Titeltrack nur noch die todtraurige Erzählung von Caroline, die in Tecumseh Valley ihr Glück sucht und wenig überraschend nicht findet.
Auch der Rest ist durch die Bank auf mächtigem Niveau, doch tut sich hier mein einziges Problem mit der LP auf: so famos jedes einzelne Stück hier seine eigene Geschichte erzählt, so ganz will die Verkettung dieser für mich nicht in den Fluss kommen, den man hier eigentlich erwarten würde. Insofern ist Our Mother The Mountain für mich ein Album, das mit die besten Songs, die je geschrieben wurden, beinhaltet, in seiner Gesamtheit aber nicht ganz in der Königsklasse mitspielen darf. Wirklich schade, vielleicht kann es der Kollege aber noch rausreißen - und die eine oder andere Songzeile präsentieren.
M-Rating: 8.5 / 10
Die Vermählung von Trauer und Schönheit wird selbst in den Händen eines Meisters zur Unvollendeten.
Links...rechts...einen Moment, ich muss nur grad die Bremse finden. Ah, da is sie. Also ein kurzer, behänder Tritt auf die Euphoriebremse meinerseits. Jetzt nicht dramatisch, auch im Lichte dessen, dass - völlig überraschend... - Wertungsgleichheit zwischen dem Kollegen und mir herrscht. Ein wenig gehört allerdings abgeschwungen, denn das Konzept des einsamen, beeindruckend erfolglosen Edelbarden Townes Van Zandt, es wird für immer ein schwelender Konflikt bleiben.
Ich sagte es dereinst, ich sage es wieder: Depressive Trauer und Schönheit, das sollte in bewusster Absicht nicht zusammengepantscht werden. Es geht nicht, entweder das eine oder das andere, ned beides. Nur deswegen schrammt Van Zandt überhaupt daran vorbei, seine 40 Minuten der Perfektion anzunähern. An eindringlichen und berührenden Minuten mangelt es ihm nämlich trotz zeitweilig suboptimaler Instrumentenauswahl sicherlich nicht. Kathleen und Our Mother The Mountain, ihres Zeichens episch-traurige Herzstücke eines musikalischen Trips in den mittleren Westen, sind tatsächlich gottverlassene Genialität. Minuten spürbarer Einsamkeit und auch mit den deplatziert wirkenden Einsätzen von melodramatischen Streichern und leichtgewichtigen Flötenparts mit drückender Atmosphäre gesegnet, die einen vereinnahmt, einem selbst die Isolation aufzwingt. Van Zandts Gesang balanciert zwischen monotoner Selbstaufgabe und verzweifeltem Flehen, die Gitarren wiederum geben sich einer lethalen Statik hin. Das funktioniert großartig in diesen Momenten der isolierten Einfachheit, egal, ob der Song nun St. John The Gambler heißt und Dylan'sche Geschichtenerzählerei in den Mittelpunkt rückt oder ob im schnelleren Snake Mountain Blues dank genialer Gitarrenarbeit gar Western-Charme aufkommt.
Nur kommt dann mitunter der Punkt, wo die schnöde Schönheit, derer sich Van Zandt aus Liebe zum Detail und zwecks musikalischer Ausfüllung der Stille bedient, das atmosphärische Alleinsein zum Kitsch verkommen lässt. Das dezent klischeehafte Mundharmonika-Geheule in Tecumseh Valley, die komplett unerklärliche Beschwingtheit von Be Here To Love Me oder She Came And She Touched Me, all das fügt sich sicherlich nicht nahtlos ein in ein Album, dessen Stärke dort liegt, wo das musikalische Äquivalent eines Abschied zu Pferde in Richtung der staubtrockenen Einsamkeit wartet. So sehr diese Stimmung in Zeilen wie den folgenden durchkommt:
"But the road was long beneath the feet
She followed her frozen breath
In search of a certain St John the gambler
Stumbling to her death"
so wenig merkt man von irgendwelchen tiefen Wunden oder emotionaler Kraft, wenn er einem Dinge wie "The window's accusing the door of abusing the wall" entgegenwirft. Jetzt sei es ihm nicht missgönnt, dass er sich einmal zu einem verhältnismäßig lockeren Moment hinreißen lässt, aber weder die LP noch Van Zandts Stimme profitieren wirklich von solchen positiven Ausreißern.
Es ist auch nicht so ganz klar, ob wirklich irgendwer außer dem Flötisten Jules Jacob davon profitiert, dass er in manchen Songs zu hören ist, aber Van Zandt weiß solche Anflüge von Exzentrik immerhin genug zu beschränken, um sie nicht zur Ablenkung werden zu lassen. Wäre auch schade, wenn es nicht so wäre, denn die Kompositionen des Singer-Songwriter verdienen meist jede Aufmerksamkeit. Filigran und berührend entfaltet sich "Our Mother The Mountain", immer wieder mit dem Hang zum Südstaaten-Kitsch, aber viel öfter mit der Aura eines geplagten Geists, die über den Songs schwebt.
K-Rating: 8.5 / 10