von Kristoffer Leitgeb, 19.01.2015
Die innovativen Londoner fördern eine der besten LP-Seiten der Sixties zutage, eine fragwürdige Entscheidung nimmt ihnen aber den Wind aus den Segeln.
Wie heißt es doch in diesem pädagogisch wertvollen Commercial? 'Chemie ist in!' Tja, wie soll ich sagen, Chemie ist tatsächlich nicht übel - Physik ist allerdings besser. Selbst wir von MusicManiac ordnen uns die meiste Zeit den physikalischen Gesetzen unter. Auch haben wir freilich bereits von Isaac Newton und seinen Axiomen gehört, unser Favorit: actio = reactio.
Schneidet man diesen doch recht holprigen Beginn aus und fügt ihn in den passenden, musikalischen Kontext ein, bedeutet das für uns: Der Kollege brach neulich endlich das Led Zeppelin-Eis, ich gehe nun ein paar gezielte Schritte weiter zurück und grabe jene Band aus, die nicht ganz unwesentlich an der Gründung und Entwicklung der weitaus prominenteren Institution war, die Yardbirds aus London.
So sehr man dieser Gruppe, die sich im Laufe ihrer Geschichte einem beeindruckenden personellen Verschleiß unterziehen musste, mitunter aber auch Legenden Jimmy Page, Eric Clapton und Jeff Beck zutage förderte, im Nachhinein auch Rosen zu streuen vermag, gerade im Vergleich mit den Millionensellern von Led Zep bleiben die innovativen Yardbirds gerne mal auf der Strecke.
Auf dem lediglich in den USA erschienen, insgesamt dritten Longplayer Having A Rave Up beweist die Gruppe jedenfalls, dass man ihnen damit mehr als nur unrecht tut. Ende 1965 erschienen, gibt das Album einen guten Einblick in das breite Einflussgebiet, dem sich die Briten ausgesetzt sahen. Auf Seite 1, bestehend aus Singles und den jeweiligen B-Sides, vermischen sich Beat, Rock 'n' Roll und ein Hauch von der anstehenden Psychedelia, während auf der zweiten der Blues regiert. Leider wird gerade besagte zweite LP-Seite von vier Live-Aufnahmen belegt, die bereits auf ihrem ersten Album, der Live-LP Five Live Yardbirds enthalten waren. Macht qualitativ natürlich keine Unterschiede, gerade der hübsche Kontrast, den die Blues-Nummern bieten, funktioniert eigentlich einwandfrei. Trotzdem bekommt man den bitteren Beigeschmack einer Compilation nicht ganz von der Zunge, somit wirkt das Album wie viele andere aus dieser Zeit wie Stückwerk.
Aber der Reihe nach. Das Material der ersten Hälfte ist durchwegs stark geraten, die Singles Heart Full Of Soul und Evil Hearted You bilden zweifelsfrei das Herzstück der LP. Während erste mit einem unwiderstehlichen Riff, tollem Drive und fuzzy Gitarrenklängen punkten kann, ist es beim bittersüßen Zweitling sein spannender Aufbau und seine paranoiden Liebesbekundungen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen:
"Evil hearted you
You kept
Kidding me along
With your phoney smile
And with your siren song smiling, beguiling
You lead me on 'til all hope's gone
Persuading, degrading
On my knees I try to please."
Erste Sahne, nicht nur im musikhistorischen Kontext. Ganz umwerfend ist nebst den beiden Singles auch noch ihre dynamische Interpretation des alten Jump Blues-Klassikers The Train Kept-A-Rollin' von Tiny Bradshaw, den sich die Band mit explosiven, Feedback-überladenen Gitarrenwänden zu eigen macht und souverän und in weiser Voraussicht auf das anstehende Blues-Gewitter der zweiten LP-Seite vorbereitet. Nicht ganz so großartig - aber immer noch sehr gut - macht sich die letzte Single, die etwas hyperaktive Adaption von I'm A Man (die unnötigerweise aber auch noch ein zweites Mal im Live-Teil auftaucht). Hier ziehen die Yardbirds das Tempo weiter an, die aggressive Mundharmonika und ein tobender Bass drehen gehörig auf, ehe die letzte Minute in einem furiosen Crescendo, einem echten Rave-Up endet. Wenn man dann noch zwei Nummern wie den schwungvollen Opener You're A Better Man Than I, einem der besten Rock 'n' Roll-Protestsongs und eine der besten kollektiven Leistungen der Londoner, und das für 1965 unglaublich atmosphärische Still I'm Sad mit seinem orientalisch angehauchten Arrangement im Gepäck hat, dann kann man sich selbst eigentlich nur mehr auf die Schulter klopfen.
Warum diese LP letztlich doch nicht so stark abschneidet, wie die sechs Tracks auf Side A vermuten lassen, hat zwei Gründe. Zum einen verdient Having A Rave Up den Albumstatus wie eingangs erwähnt nicht einmal. So sehr man die 60er für ihre vielen innovativen Musikbewegungen lieben darf, so sehr muss man retrospektive manche Entscheidungen an den Pranger stellen. Die heute besprochene Platte ist nämlich nicht viel mehr als eine EP, die mit bereits bekanntem Material aufgewertet wurde, um am amerikanischen Markt bestehen zu können - was sie auch einigermaßen tat.
Das zweite Manko ist der über weite Strecken recht dürftige Sound, den leider das Gros der frühen Aufnahmen der Yardbirds begleitet und der die Performance etwas von seiner ursprünglichen Dynamik beraubt.
Having A Rave Up With The Yardbirds könnte eines der besten Alben der allseits geschätzten Sixties sein. Auf der ersten Seite liefern die Briten ein furioses Feuerwerk, das es mit beinahe allem aufnehmen kann, was Mitte der Dekade so herausgekommen ist, vom Innovationsgeist sind die Aufnahmen ohnehin der Majorität überlegen. So gesehen bleibt vom dritten Album der Yardbirds eine beeindruckende LP-Hälfte, leider aber auch eine der im Nachhinein fragwürdigsten Entscheidungen, die je ein Album in ihrer Funktion als solches sabotiert haben.