Noch minimalistischer und intimer, damit aber in die falsche Richtung des xx-Dualismus unterwegs.
Ich behaupte jetzt einfach einmal, dass es relativ schwierig ist, großteils elektronische Musik zu machen und darin spürbare, natürliche Gefühle zu verpacken. Atmosphärisch geht relativ schnell einmal und kann unfassbar gut klingen, aber Intimität und Emotionalität sind ein ganz anderes Kaliber, das sich zumindest bis zu einem gewissen Grad mit der vordergründig Synthetik elektronischer Musik spießt. Insofern ist es eine hohe Kunst, beides gekonnt auf einen Nenner und damit in berührende Form zu bringen. The xx dürften sich dessen bewusst sein, was womöglich ein bisschen dazu beiträgt, dass der spürbare Electronica- und Downtempo-Einschlag nur eine Teilmenge dessen ist, was in den Händen der Briten zu Indie-Pop wird. Zumindest ginge nichts ohne die dahinschwebenden Gitarrenklänge, die am Debüt im Verbund mit den Beats von Jamie xx erst so etwas wie Crystalised möglich gemacht haben. Dieses Amalgam aus organischen und anorganischen Sounds, aus Natürlichkeit und einem überbordenden Faible für raumfüllende, klangliche Manipulationen hat es genauso gebraucht wie das Gleichgewicht aus ruhiger, spärlicher Zurückgezogenheit und dem nötigen Händchen für Melodien. Mit "Coexist" gerät dieses fragile Gebäude in eine deutliche Schieflage.
Denn der Nachfolger zu "xx" ist noch spärlicher ausgestaltet, noch dezenter und minimalistischer in seiner Herangehensweise an atmosphärische Musik. Das ist schon einmal insofern riskant, als dass der Ausgangspunkt nicht gerade von überladenen Songs geprägt war. Umso mehr jedoch, da die wertvollsten Minuten des Debüts durchwegs auf der dynamischeren und voller ausgestatteten Seite des Sounds angesiedelt waren. Diesmal wendet sich das Trio bewusst davon ab, konzentriert offensichtlich mehr des Fokus auf Jamie xx und dessen Beats, eliminiert aber abseits davon oft genug jegliche, einen Song durchziehende, musikalische Melodik. Stattdessen ist bereits der Opener Angels ein statischer Ruhepol, in dem die sphärischen Gitarrenzupfer nur sporadisch von markanten Marching Drums und harten Beats unterstützt werden. Das Hauptgewicht des Songs liegt demnach auf Romy Madley Croft, die nicht nur für die im Nichts verhallenden, flüchtigen Akkorde an der Gitarre verantwortlich ist, sondern vor allem den Gesangspart übernimmt. Wenig melodisch, dafür eher dem Sprechgesang verpflichtet, nutzt Croft den vielen ihr gebotenen Raum allerdings gekonnt aus und steht im Zentrum des bisher intimsten, gefühlvollsten Moments der Bandgeschichte.
Ist man hier noch vollends einverstanden mit der radikalen Reduktion, wird man bald merken, dass ebendiese sehr gemischte Resultate hervorbringt. Try beispielsweise versinkt in seiner lethargischen Machart. Die dahintrottende Percussion, die sich mit einem lähmenden Synth-Loop verbindet, gerät da genauso antiklimatisch wie die diesmal weit weniger prägnanten Gitarreneinsätze und das gewohnt eigenwillige Duett von Croft und Oliver Sim. Letzterer kann, ähnlich wie auf dem Debüt, wenig zum Gelingen dieses Minimalismus beitragen, sonst wird eher zum Multiplikator der spürbaren Monotonie mancher Tracks. Missing und Unfold geraten dementsprechend ähnlich unspektakulär, ohne das durch ausgleichen zu können durch emotionale Darbietung des Gesangsduos. Croft tut dafür zwar in Unfold ihr Möglichstes, bleibt damit aber genauso alleine auf weiter Flur wie im merkwürdigen Reunion, dessen schräger Start mit Steel Drums auf keiner Ebene ins Gesamtbild des Albums passen will. Daran ändert auch nichts, dass es sich immer noch um ein zurückhaltendes Setting handelt, in dem Croft und Sim einmal mehr nach romantischer Zerbrechlichkeit streben. Zuerst Steel Drums, dann minimalistischer Dance-Pop, das geht sich nicht so ganz aus.
Auf der anderen Seite ist zumindest der zweite Teil ein gelungener Übergang zu Sunset und damit einem der deutlichen Lichtblicke des Albums. Verantwortlich dafür ist die klangliche Nähe zum Debüt, die für ein lebhafteres Setting sorgt, den pulsierenden Beat mit lockerer Snare und dem Anflug einer Melodie an der Gitarre paart. Darin findet man schnell die gewohnte Anziehungskraft der Band wieder. Wenn auch in Maßen düsterer als auf dem Vorgänger, ist es immer noch die von Croft und Sim im Paarlauf besungene Sehnsucht, Liebe und Enttäuschung über ebendiese und ihre Folgen, die die ganze LP durchzieht. In diesem Sinne ist der gleichermaßen direktere und intimere Charakter zumindest mancher Songs ein Gewinn, der sich jedoch nur im stark inszenierten Opener und den dynamischeren Minuten des Albums eindeutig wahrnehmen lässt. Die gesangliche Zurückhaltung verlangt quasi nach einem lebhafteren musikalischen Setting, um eine gelungene Symbiose und einen entsprechend überzeugenden Song zu ergeben. Am deutlichsten spürt man das im großartigen Fiction, dessen gewohnt dezenter, von verhallenden Zupfern und kurzen Synth-Loop geprägter Beginn nur langsam in ein volleres Arrangement mündet. Das sollte dann aber auch ein ideal geformtes sein, in der sich zum pochenden Beat und dissonanten Synths ein sphärischer Paarlauf von Gitarre und Klavier gesellt. Spätestens mit Sims für einmal eindringlichem Auftritt wird daraus der eindeutige Höhepunkt des Albums, der auch wie kein anderer Song die Mischung aus leicht düsterer Beklemmung und intimer Emotionalität hinbekommt, die die LP insgesamt auszeichnet.
Abgesehen von diesen beiden Momenten ist man jedoch auf Swept Away als späte Erinnerung an die Qualitäten von Jamie xx, wenn es darum geht, die Szenerie dieser Songs zu beleben. Eigentlich als zerbrechliche Ballade gedacht, wird dank der eingebauten Drum Machine und der hervorstechenden Klavierakkorde ein prägnanteres Ganzes, das auch seine fünf Minuten Laufzeit einigermaßen rechtfertigt. Was sonst noch bleibt, sind durchschnittliche Minuten, die "Coexist" weniger bereichern als es viel mehr schlicht aufzufüllen. Damit geht sich kein großer Sprung aus, wobei das in Anbetracht der wenig dramatischen Änderungen des Sounds, der zum Markenzeichen der Band wurde, auch nicht unbedingt gewünscht war. Wahrscheinlich war die Erwartungshaltung nichtsdestotrotz eine andere, immerhin verblasst "Coexist" ein bisschen im Vergleich zum Debüt. Das macht diese elf Songs nicht schlechter, aber zu einer kleinen Warnung, nicht zu sehr darauf zu bauen, dass weniger immer mehr wäre. Dass dem nicht so ist, erlebt man hier beinahe immer, wenn das britische Trio der Dynamik und Melodik entsagt und stattdessen in einem mäandernden und kaum wirksamen Versuch des atmosphärischen Minimalismus endet.