von Kristoffer Leitgeb, 18.01.2020
Dem Erfolg auf der Spur und damit auf ungekannt poppigen Abwegen, die bald ins Nichts führen.
Die kurze, knackige Geschichte von Velvet Underground ist so wunderbar verschlungen und führt einen in so viele Richtungen, dass es eine Freude ist. Zuerst in die Untiefen des avantgardistischen Experimental-Rock eingetaucht, diesen zu den Wurzeln des Punk und Noise Rock geformt, dann plötzlich den ausgewiesenen Avantgardisten losgeworden und der intimen Ruhe erlegen und mit einem anbrechenden Jahrzehnt schon wieder woanders. Und das nach Jahren der außergewöhnlichen, genresprengenden und -begründenden künstlerischen Eigenwilligkeit urplötzlich mit den Charts und dem großen Hit vor Augen. Retrospektiv lässt sich nicht so ganz klären, ob dieser Weg freiwillig von der Band eingeschlagen wurde oder nach dem Rausschmiss bei MGM eher den Vorgaben des neuen Labels Atlantic geschuldet war. Das ändert nichts daran, dass Lou Reed und die Seinen 1970 einmal mehr an einer Neuorientierung gearbeitet und mit "Loaded" hinlänglich vollendet haben, ohne dass der legendäre Frontmann überhaupt noch dabei war. Gelohnt hat es sich und doch ist auch das musikalische Ende in Sichtweite.
Das bedeutet schon einmal nicht, dass man es hier mit schlechter Musik zu tun hätte. Soviel soll gleich einmal klargestellt sein. Doch die vierte LP der ehemaligen Warhol-Protegés ist eine ziemlich kompromisslos massenfreundliche und dem Zeitgeist entsprechende. Weil man ja doch irgendwann einmal Erfolg haben wollte, ist man also bei straightem Rock'n'Roll angekommen, bei lockerem Folk-Rock und poppigen Up-Tempo-Melodien mit enthusiastisch gesungenen Refrains. Und man hat es zu einer umfassend hör- und spürbaren Produktion gebracht, die wohl kaum die ultimative Antithese zum rohen Lärm von "White Light/White Heat" darstellt, nichtsdestoweniger aber einen klareren, volleren Klang zum Ziel hat, als ihn die Band je geboten hat. Nachdem wir aber immer noch von Velvet Underground reden, klingt das netterweise weniger billig, kitschig oder austauschbar, als die Beschreibung vielleicht befürchten lässt.
Zumindest über die ersten Minuten lässt sich das behaupten. Who Loves The Sun ist immerhin als Opener in starker Konkurrenz zu Candy Says - und, ich gebe es zu, für mich auch Louise - als der beste von Doug Yule gesungene VU-Song, lebt von dessen seidenweicher Stimme, die sich perfekt mit dem minimalistischen Antrieb im Hintergrund ergänzt. Lockerer Pop-Rock eben, stark gespielt an der Gitarre, dem aber wohl oder übel die hellen, stimmlichen Harmonien im Refrain nicht allzu gut bekommen. Stattdessen lässt der beschwingte Sing-Sang dort den Song fast ins Kitschige abdriften. Sweet Jane trifft das weniger, weil es von einem coolen, orientalisch angehauchten Gitarrendoppel eingeleitet wird, aber auch weil Lou Reed den Gesang übernimmt. Und dessen dylanesk unsauberer Gesang und markante raue Stimme verleihen den Strophen mit ihrem gemächlichen Riff einen einzigartigen Touch. Ob es da den lauten, unverfeinerten Harmoniegesang im Refrain noch braucht, fragt man sich dabei nur so lange, bis seine finale Form zu einem leidenschaftlichen Höhepunkt des Songs mutiert. Rock & Roll wiederum macht als Ode an die augenöffnende Wirkung des besten Genres aller Zeiten eine konventionellere Figur, bringt dabei aber einen ähnlichen Drive wie Beginning To See The Light mit. Zwar wirkt der hier dank der verfeinerten Studioarbeit und wohl auch der Tatsache, dass die Songs kaum noch gemeinsam konzipiert und eingespielt wurden, weniger eindringlich, ein starker, eigentlich hitfähiger Rocksong schaut aber trotzdem heraus.
Auch wenn diese Hitfähigkeit vielleicht das erklärte Ziel des Albums war, ist man sich nach diesem eindrucksvollen, eröffnenden Dreierpack bald nicht mehr sicher, ob hier wirklich irgendwo Hits oder großartige Tracks anderer Art versteckt sind. Man versinkt etwas in passablen, aber wohl kaum großartigen Darbietungen, die entweder das gewisse Etwas vermissen lassen oder es mit einer verschrobenen Exzentrik versuchen, die sich nicht reibungslos in das geschmeidig-glatte musikalische Setting einpasst. Cool It Down gehört in die letztere Kategorie, wobei der Song nach bescheiden schräg gesungenen Strophen von Reed zu einer grandiosen zweiten Hälfte findet, in der sich Doug Yule bestmöglich mit dem Klavier verewigt und die Band dem erdigen Rock frönt.
Ähnlich lobende Worte kann man aber beispielsweise über keine der beiden Balladen verlieren. Weder das süßliche, fast in Richtung Gospel abdriftende, New Age noch das in Reed-Manier vorgetragene I Found A Reason sind mehr als blasse Erinnerungen an die Ausrichtung des Vorgängers, denen ihr Sound nicht gut tut. Zu wenig Intimität kommt da durch, wenn statt Reeds emotionalem Gesang plötzlich mehrstimmige Melodien angestimmt werden und den Song durchziehen. Und mit Orgelklängen sollte man gleich gar nicht anfangen.
Es gibt also nicht wahnsinnig viel Positives zu berichten von der zweiten Albumhälfte, abgesehen vielleicht von der Tatsache, dass die Band nicht daran denkt, unterdurchschnittliches Terrain zu betreten. Das ist aber schon weit weg von Glanztaten früherer Jahre, wenn man das einmal hervorheben muss. Ähnlich weit wie Lonesome Cowboy Bill, dessen schneller Country-Rock und sinnbefreiter Text so ziemlich das Gegenteil dessen sind, was Velvet Underground in ihren besten Momenten zu bieten hatten. Das verhindert zwar nicht, dass der Song immer noch dank des starken Paarlaufs von Gitarren und Klavier inklusive großartigem Riff musikalisch einiges mitbringt und daher einigermaßen unterhaltsam ist, aber es ist kein gutes Zeichen. Inmitten passabler Vorstellung ist es der verhältnismäßig raue Rock von Head Held High, der sich am wenigsten dem Credo des massentauglichen und hitfähigen Sounds unterwirft und folgerichtig auch den besten, vitalsten Eindruck hinterlässt. Da erinnert man sich dann noch einmal des starken Beginns oder zumindest dessen Abschluss mit Rock & Roll.
Sonst ist das nicht unbedingt das Gelbe vom Ei. "Loaded" ist einerseits ein lockeres Rockalbum ohne große Schwachstellen, in das es sich immer mal wieder hineinzuhören lohnt, andererseits wirkt es blass, vergleicht man es mit dem Velvet Underground, das man in den 60ern kennengelernt hat. Das wiederum ist eine so hohe Latte, dass auch diese LP trotz Schattendaseins immer noch ziemlich stark klingt. Zu guten Teilen ist das einem großartigen Einstieg zu verdanken, der den neuen Sound der Band bestmöglich zur Geltung bringt. Das gelingt in der Folge nicht mehr so wirklich, weswegen man sich mit eher lauwarmen Vorstellungen konfrontiert sieht, die entweder jeglichen Geistesblitz vermissen lassen oder aber damit kämpfen, die bekannten Eigenheiten der Band mit so manch stilistischer Volte des Albums in Einklang zu bringen. Legendäres Liedgut schaut dabei dann eher weniger heraus. Der große Erfolg wäre ihnen trotzdem zu vergönnen gewesen, auch wenn am Releasetag Lou Reed schon mehrere Monate Geschichte und das mit der Zukunft von Velvet Underground nicht mehr nur musikalisch, sondern auch personell ein großes Fragezeichen war. Immerhin eines, das sich nicht allzu viel später von selbst beantwortet hat.