The Smiths - The Queen Is Dead

 

The Queen Is Dead

 

The Smiths

Veröffentlichungsdatum: 16.06.1986

 

Rating: 10 / 10

von Mathias Haden, 15.12.2015


Ein demütiger Toast auf das beste Album der 80er - Santé!

 

Demut. Nichts als Demut, die ich hier in meiner finsteren Kaschemme empfinde. Der Schatten an der Wand tanzt den sprunghaften Rhythmus, den das flackernde Kerzenflämmchen vorgibt. Draußen, fernab meiner isolierten Realität, sprudelt das wahre Leben: Kinder lachen, Männer bekriegen sich wegen einer Lappalie, die sich Religion nennt, und Frauen machen, was sie immer gemacht haben - darauf achten, dass all die Schlachtfelder und unzufriedenen Steuerzahler Verstärkung erhalten. Erneuter Schauplatzwechsel. Das heiße Kerzenwachs tropft mir auf den Handrücken. Ein kurzer, brennender Schmerz, den ich in meiner Gedankenverlorenheit kaum zur Kenntnis nehme. Im Hintergrund zupft Andy Rourke, der gerne unter den Tisch gekehrte Bassist der Smiths, einen coolen Groove; dürfte wohl von Frankly Mr Shankly stammen, einer dieser Smiths-Nummern, die man bereits nach dem ersten Lauschen nie wieder vergisst. Ist aber auch egal, welcher Track von The Queen Is Dead da seine Runden dreht, grandios sind sie doch alle auf ihre Art und Weise. Mehr braucht man als bekennender Musikliebhaber auch gar nicht, um sich im Zweifelsfall für die finstere Kaschemme und die damit verbundene Gedankenfreiheit beim Hörerlebnis zu entscheiden. Nach wie vor nur Demut.

 

Es wäre vielleicht anmaßend zu behaupten, die dritte LP der Briten könne Leben retten. Meines hat sie jedenfalls (noch) nicht gerettet - und doch bin ich der aufrichtigen Überzeugung, dass es garantiert schon so mancher Existenz zu einer tieferen Bedeutung verhelfen konnte. Mir hat sie jedenfalls beim Prozess geholfen, nicht nur ein realistischeres Bild von den 80ern zu generieren, sondern Musik als inkomparable Ausdrucks- und höhere Kunstform und nicht nur als gediegenen Zeitvertreib zu verstehen.

Dabei darf man sich gerade von Morrissey, seines Zeichens Lyriker der Band und charismatischster Frontmann, nicht immer auf falsche Fährten locken lassen. Ist es doch gerade er, der der Schönheit der Formulierung in der Regel den Vorzug gegenüber ihrer Bedeutung geben würde. Da man aber ohnehin noch nie so recht verstehen konnte, was in diesem Menschen vorgeht, tut das auch wenig zur Sache; verlieren Zeilen wie "And now I know how Joan of Arc felt / Now I know how Joan of Arc felt / As the flames rose to her Roman nose / And her Walkman started to melt" vom genialischen Bigmouth Strikes Again nichts von ihrer exzentrischen Intensität; von Johnny Marrs außerirdischem Gitarrenspiel (fuck, that solo!) ganz zu schweigen.

 

Eigentlich müßig, weitere Worte über das durchgehend exzellente Songmaterial des Albums zu verlieren. Waren die beiden Vorgänger schon mit großartigen Kompositionen vollgestopft, fehlte ihnen zur Elite jeweils eine etwas vielseitigere Produktion. Auch dahingehend brilliert The Queen Is Dead. Ob es nun der Byrds-esque Jangle-Gitarrensound vom schwungvoll galanten Cemetry Gates ist oder doch die an anderer Stelle oftmals beklagten, hier aber brillierenden synthetischen Streicher vom unsterblichen There Is A Light That Never Goes Out, der schönsten Single der 80er - selten drängte sich der Terminus 'perfekt' so sehr auf wie auf diesem makellosen Stück Weltkulturerbe mit dreiunddreißig Umdrehungen pro Minute. Geniale Momente finden sich jedenfalls zuhauf, praktisch keiner der zehn Tracks kommt ohne aus. Am ehesten noch Never Had No One Ever, dessen gespenstische Grundstimmung im Kontext des Albums fast schon schwerfällig anmutet, es im Endeffekt aber dadurch nur um eine weitere Nuance erweitert. Gestritten werden darf meinetwegen auch über Closer Some Girls Are Bigger Than Others, dessen merkwürdiger, aber irgendwie charmanter Text ("From the ice age to the dole age / There is but one concern / I have just discovered / Some girls are bigger than others") zumindest Diskussionsstoff bietet, mit seinem Fake-Fade Out am Anfang und seiner unwiderstehlichen Gitarrenmelodie letztlich aber wieder genügend potenzielle magic moments darlegt.

 

Das war es aber schon, mehr Platz für kritische Stimmen bietet diese Rezension einfach nicht. Stattdessen darf zum Abschluss noch einmal das Champagnerglas erhoben, der Toast ausgesprochen werden. Auf den Titeltrack, mit seinem einzigartigen Intro (der WW I-Song Take Me Back To Dear Old Blightly), seiner keine Sekunde zu spät einsetzenden, fesselnden Gitarre, Morrisseys unnachahmlichem Gesang; auf I Know It's Over mit seinem mächtigen Aufbau und einer Dosis Gefühl, die selbst die Königin der Emotion, Adele, auf ihren drei Alben kombiniert nicht zusammenweinen konnte; und auf The Boy With A Thorn In His Side, der latenten Kritik am Musikgeschäft, auf dem wieder jeder der vier Musiker tadellos platziert scheint; überhaupt auf jedes einzelne Stück auf der LP, das der textlichen Restriktion zum Opfer fiel und nicht die Beachtung erhielt, die es verdienen würde (und selbstverständlich auf jede kleine Feinheit, die sich erst beim x-ten Spin offenbart).

Ist aber auch wieder egal, denn eigentlich muss man keinen einzigen Song näher unter die Lupe nehmen um zum logischen Fazit vorzudringen: The Queen Is Dead funkelt und glitzert auch knapp 30 Jahre nach seiner Veröffentlichung wie ein mit kostbarsten Edelsteinen geschmücktes Diadem. Was man auch darin sehen will, eine neue Perspektive im Leben, einen loyalen Freund oder einfach nur die verzweifelt gesuchte Bestätigung, wonach Musik so viel mehr sein kann, als man in seiner eingeschränkten Wahrnehmung vermuten konnte - wem diese LP keine Hochachtung abringen wird, der sollte die Musik lieber hinter sich lassen und weiterziehen. Mit den schönsten Zeilen der schönsten Single der 80er verabschiede ich mich nun - immer noch in ehrlicher Demut:

 

"And if a double-decker bus crashes into us

To die by your side is such a heavenly way to die

And if a ten ton truck kills the both of us

To die by your side, well, the pleasure, the privilege is mine"

 


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