von Mathias Haden, 11.10.2014
Die Geschmackssicherheit der Briten umgarnt selbst auf ihrer vegetarischsten LP.
Heute wie nie zuvor spaltet die Gesellschaft (neben einiger anderer banaler) nur eine einzige Frage: Fleisch, ja oder nein? Wer in den letzten fünfzehn Jahren auf den Wiener Straßen unterwegs war, wird bemerkt haben, dass beide Parteien hier nicht besonders subtil vorgehen und ihre Pro- bzw. Contrahaltung mit großem Stolz kundmachen. Heutzutage... nein Schwachsinn, das war immer schon so. Der einzige Unterschied zu damals, als Morrissey und seine zaghaft, lediglich aus Solidarität und um das Image der Band Willen (plus Moz' Drohungen) handelnden Kollegen ebenfalls eine Zeit lang und vor allem nicht in aller Öffentlichkeit Fleisch vertilgten und ihre Anti-Meat-Parolen in die Welt riefen, und heute, ist nur der Umstand, dass die vermeintliche Sicherheit des virtuellen Raums auch dem größten Dorftrottel genug Selbstwertgefühl einimpft, um öffentlich Stellung zu beziehen. Nicht, dass Vegetarier oder gar Veganer prinzipiell Dorftrottel wären...
Nachdem die Band, ergo natürlich Morrissey und Gitarrist Johnny Marr, anno 1984 ihre Unzufriedenheit gegenüber der Produktion des selbstbetitelten Debütalbums bekundeten, sollten ans Zweitwerk nur die eigenen Hände angelegt werden. Im Gegensatz zu den beiden noch folgenden LPs, auf denen die Produktionscredits auch klar mit den Namen des tonangebenden Duos beschriftet wurde, scheinen hier The Smiths als Produzenten auf. Eine kreative Einigkeit, die freilich in keiner Phase des Quartetts wirklich Bestand hatte und auch hier eigentlich eine Farce darstellt. Trotzdem sind Smiths-Platten immer mehr als nur Morrissey/Marr. Zumindest Andy Rourke betreibt regelmäßig Werbung für sich, wenn er seine dynamischen Basslinien abspult und wird oftmals zu Unrecht unter den Teppich gekehrt. Auch auf Meat Is Murder hat der Bassist seine Momente, etwa auf Rusholme Ruffians und Barbarism Begins At Home, auf denen mit hypnotischen Funk-Rhythmen experimentiert wird. Aber - so fair muss man dann sein - selbst in den Momenten, in denen Rourke brillieren kann, seine Kollegen sind ihm mit Ausnahme der benannten Tracks meistens doch voraus.
Am besten gelingt dies am zweiten Album auf dem magischen Pop-Kleinod I Want The One I Can't Have, auf dem Marr seine unverwechselbaren Jangle-Klänge ausspielt und der Mozzer in gewohnter Theatralik seine Stimme erhebt, um kryptisch einzuleiten: "On the day that your mentality / Decides to try to catch up with your biology". Es ist zweifelsfrei der bessere Ansatz, nicht alles verstehen zu wollen, was der Songwriter sich da immer zusammendichtet, gerne hört man ihm natürlich trotzdem zu. An Selbstvertrauen hat es dem Frontmann bekanntlich ohnehin nie gefehlt, nach dem Erfolg der Debüt-LP ist die Brust hier noch ein gutes Stückchen breiter. Moz schwelt zu tanzbaren Rhythmen, die Atmosphäre bleibt auf Meat Is Murder indes keine herzliche. Den Tiefpunkt erreicht die Stimmung am so wenig subtilen wie einladenden Titeltrack, der zuerst merkwürdig verzerrte Kuhlaute in der bedrückenden Leere hallen lässt, ehe Rourkes Bass und Marr an Gitarre und Piano eine nicht minder unheilvolle Stimmung generieren, in der nur der Sänger die vermeintlich wahre Antwort parat haben dürfte: "This beautiful creature must die / A death for no reason / And death for no reason is murder". Der Titel als schwächster Track der LP bleibt dem soziokritischen Machwerk dennoch gewiss. Einerseits natürlich der schlagkräftigen Konkurrenz geschuldet, andererseits gelingt es dem Closer trotz beklemmender Darbietung dank der wenigen Worte nicht, einem dezent monotonen Beigeschmack zu entrinnen. Auch stört man sich am leicht sterilen Klang, der auch anderswo auf dem Album von sich reden macht und den zu präsenten Drums, zwei Problemzonen, an denen die Band natürlich selbst jede Schuld trägt, schon bald aber aus ihren Fehlern lernen sollte.
So strukturlos wie dieser Review aufgebaut ist, wirkt auch Meat Is Murder in vielen Aspekten. Man ziehe nur das melancholische, alles und gleichzeitig nichts sagende That Joke Isn't Funny Anymore heran, das mit den schönsten Zeilen der LP beginnt, danach zu einem famosen arrangierten Lament heranwächst, nur um schließlich nach einem Fake-Fadeout wieder für eine Minute instrumental durchzustarten. Daneben stehen Nummern wie der bereits gelobte Funk-Bomber Barbarism Begins At Home, auf dem Marr und Rourke einander wunderbar den Ball zuspielen, während Moz wie ein abgeschlachtetes Schwein quiekt, und eine voranpreschende Rockabilly-Nummer wie Nowhere Fast. Auf der einen Seite mit sieben Minuten und ab der Hälfte praktisch vollkommen ziellos ins Blaue gespielt und auf der anderen kurz und präzise, ohne den redundanten Schnickschnack, der viele jener Alben veredelte, die zu der Zeit in den UK-Charts ihr Unwesen trieben.
Weil das Quartett im Endeffekt und trotz einiger Grower, die sich erst mit der Zeit vollkommen erschließen (ich denke da an dich, Well I Wonder), aber nicht ganz so konstant großartige Songs geschrieben hat, wie auf den umgebenden Alben zu finden sind, und weil die erstmalige Arbeit im Produktionsbereich trotz Funk und Rockabilly nicht ganz so spannende Ergebnisse zutage fördert wie am exzentrisch zerrissenen Abschiedsalbum Strangeways, Here We Come, stellt Meat Is Murder ohne große Schwachpunkte tatsächlich das schwächste Album der Band. Durchaus verschmerzbar, gewiss.