von Daniel Krislaty & Mathias Haden, 14.06.2015
Von Schlaflosigkeit gequält 'rockt' sich James Mercer mit seinen Shins im zumindest publikumstechnisch größeren Rahmen die Seele aus den Söckchen.
Obwohl einer der Vorreiter des Genres schrieb sich die Band aus Albuquerque gewiss nie auf die eigenen Flaggen, Indie Rock unter die breiten Massen bringen zu wollen. Und doch entspricht das ambitionierte Wincing the Night Away mit zwei Knüllern von Lead-Singles sowie dem generell süßlichen Beigeschmack an beinahe allen Ecken und Enden - sogar den vermeintlichen Stimmungskillern - irgendwie genau diesem Anspruch und heimste dem nicht genug eine Nominierung bei den Grammy's für das beste alternative Album ein.
Aber nochmals auf Anfang: die angesprochenen Singles, Phantom Limb als auch Australia, bilden die Speerspitze ultimativ mitreißender Melodien und Chöre, die selbst den mürrischsten Hausmeister veranlassen, die Beine freudig in der Sommerbrise baumeln zu lassen. Oder in einem See, was uns direkt zum mit Hip-Hop-Loops nur so übersäten Sea Legs bringt, der Band liebster Percussions- und Synthesizer-Spielplatz neben dem von Red Rabbits. Vor allem Letzterer weiß dabei geschickt, mit gewitzter aufbauender Komposition ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Keine Angst übrigens - die äußerst metaphorischen Texte beider Titel gehören nicht verstanden, sondern bloß genossen.
"Throw all consequence aside
The chill aspire, people set alight"
Jollys ausgemacht, jetzt wird aber auch noch Mal Tacheles geredet. Zum Beispiel wird Phantom Limbs einminütiges Interlude mit Namen Pam Berry in seiner bescheidenden Undefinierbarkeit aus Geflüster eigentlich nur von maßloser Überflüssigkeit übertroffen. Während Turn on Me und Girl Sailor mit gefälligen Refrains und zurückgelehnter Stimmung noch die Kurve kriegen und schließlich doch zu überzeugen wissen, steht Spilt Needles eine ähnliche Endlosschleife von Schlagzeugsamples wie noch bei Sea Legs deutlich schlechter zu Gesicht. Auch Black Wave, ein angedachter Ruhepol kurz vor dem Finale, tut sich für meine Begriffe schwer einen befriedigenden Platz im ansonst trotz Atmosphäre eher erhellenden Umfeld der besseren Tracks zu finden und kommt auch als Ausreißer nicht wirklich gut weg.
Mit dem beeindruckenden Opener Sleeping Lessons und Closer A Comer Appears schließt sich James Mercers Kreis um die persönliche Krise der Schlaflosigkeit dann auch schon wieder. Während das dreamige erste Lied des Albums mit zunehmender Länge zum gemächlichen Indie Rocker mutiert, neigt sich der besondere Schlusspunkt der dritten Shins-LP mit begleitender Hornsektion stilvoll dem Ende zu.
Durchgängige Konstanz - wie sie Chutes Too Narrow zum Beispiel auszeichnet - stellt die fehlende Zutat dar, die dieser im Ansatz fantastischen Platte die Möglichkeit auf mehr leider verbaut. Dass das nach vier Versuchen schwächste Werk der Shins trotzdem noch immer in die Kategorie 'überdurchschnittlich' einzuordnen ist, spricht jedoch wiederum für die Trefferquote und das Potential der Band.
D-Rating: 7.5 / 10
Experimentell, innovativ... und mit Luft nach oben.
Über die Bedeutung und Vorteile einer Freundschaft philosophierte bereits Aristoteles vor mehr als 2000 Jahren. James Mercer und seine Genossen können davon ein Liedchen singen. Ihre Bekanntschaft mit Zach Braff ('Scrubs') und dessen Aufnahme zweier Shins-Songs in seinen erfolgreichen Film 'Garden State' waren nicht unwesentlich daran beteiligt, die Band aus Albuquerque einem riesigen Publikum näher zu bringen und sich so aus der von der breiten Masse der Einfachheit halber in den weitläufig definierten 'Indie'-Topf geworfenen Bands abzuheben.
Musikalisch waren die Shins immer schon ein beachtliches Bollwerk: Das Debüt Oh, Inverted World lieferte bereits wahre Hymnen ab, mit dem Zweitwerk Chutes Too Narrow kam dann auch noch die erwünschte Konstanz dazu. Die fehlt, soviel hat mein Vorredner absolut richtig verlauten lassen, dem dritten, wohl ambitioniertesten Werk, Wincing The Night Away. Die Band experimentiert viel, liefert einige ihrer besten Cuts und tritt aber immer wieder ins berüchtigte Fettnäpfchen.
Mit wunderbarer Atmosphäre umhüllt, führt Opener Sleeping Lessons mit verwaschenen Keyboards sanft und passend betitelt in ein Album, das noch so manche Überraschung und produktionstechnische Finesse bereithalten soll, ein, nur um sich mittendrin einem sich langsam anbahnenden Ausbruch hinzugeben. Die beiden Singles Australia und Phantom Limb hat mein Kollege ja schon als Highlights ausgemacht, besonders Letztere ist feinst arrangierter Pop mit packender Melodie und toller Produktion mit Chor und Schellenring und der gemächlich verträumte Closer A Comet Appears bildet zweifelsohne den perfekten Schlusspunkt.
Auch bei den Negativbeispielen agiert Mr. D zielsicher, führt neben dem unausgegorenen und tatsächlich überflüssigen, aber zumindest erträglich kurzen Pam Berry noch Black Wave als Schwachpunkt an. Gerade der Letztgenannte, der seine Aufgabe als 'Ruhepol' zwar freilich erfüllt, kommt in seiner Ziellosigkeit nicht an, hinkt als Song der, auf LP-Länge beinahe durchgehend großartigen, Produktion hinterher. Dasselbe Schicksal ereilt aber auch Sea Legs, das mit seinen angesprochenen Loops und Synthies ebenfalls stark produziert ist, jedoch songtechnisch auf der Strecke bleibt und über seine mehr als fünf Minuten Langeweile aufkommen lässt. Hier sind aber auch die einzigen Vorwürfe, die ich an meinen Kollegen richten kann. Denn gerade das im Vergleich mit Sea Legs abstinkende Spilt Needles zählt mit seiner beeindruckend düsteren Atmosphäre und einigen meiner liebsten Zeilen zu den Gewinnern dieser LP:
"You're old enough, boy
Too many summers you've enjoyed
So spin the wheel, we'll set you up with some odd convictions
'Cause you're finally golden, boy"
Verstehen muss man diese Texte aber wirklich nicht, trotzdem bereitet das Lesen einfach Freude.
Mit Wincing The Night Away melden sich Mercer und Co. nach einer über dreijährigen Release-Pause mit ihrem musikalisch vielversprechendsten Werk wieder zurück. Leider hat sich die Konstanz des Vorgängers wieder etwas verabschiedet und die Aufmerksamkeit eher auf Produktion als auf stimmige Songs gelegt. Dennoch, wenn das hier das schwächste Shins-Album sein soll, dann wissen wir ja, wen wir in der Rolling Stone 'Best Artists Ever'-Liste 2050 erwarten dürfen. Luft nach oben ist definitiv vorhanden.
M-Rating: 7 / 10