von Kristoffer Leitgeb, 21.04.2021
Ein spürbarer Überlebenskampf, bei dem alte Tugenden und Verbrechen gleichermaßen im falschen Sound untergehen.
Die ganze Welt wartet. Auf eine Impfung, auf den ersten Kino- oder Barbesuch seit einem gefühlten Jahrzehnt, auf eine Gehaltserhöhung, die große Liebe oder ein g'schmackiges Mittagessen. Worauf inmitten dieser globalen Warteschlange niemand so wirklich gewartet hat, ist eine neue LP unserer liebsten kalifornischen Pop-Punker. The Offspring sind heutzutage so sehr Schnee von gestern, dass sie schon beinahe Matsch sind. Außerdem haben sie noch dazu den großen Fehler gemacht, in keiner Weise zu verteidigende neun Jahre seit ihrem bisher letzten Album verstreichen zu lassen und die Zwischenzeit mit einem Haufen merkwürdiger und klanglich bescheidener bis beschissener Zwischenreleases, diversen Verschiebungen des Albums und internen Rechtsstreits zuzubringen. So kommt man dann als Band irgendwann an den Punkt, wo man Sinnloses zu einem "Sharknado"-Streifen beisteuert, den Tiger King covert oder schlimmstenfalls eine der grässlichsten Verunstaltungen eines Weihnachtssongs veröffentlicht, um irgendwie die Zeit vergehen zu lassen. Und das lässt die eigene, ohnehin schon vor 10, 15 Jahren kaum noch existente Relevanz endgültig zerbröseln, die Welt einen vergessen und sorgt dafür, dass selbst die eigene Fanschar und jene, die einen seit jeher verteidigten und schätzten - also meiner einer -, die Erwartungen sogar unter das Mindestmaß zu schrauben wussten. Mit "Let The Bad Times Roll" gelingt der Spagat, diese nicht vorhandenen Erwartungen überzuerfüllen und trotzdem zu enttäuschen.
Das macht es außerordentlich schwierig, dem Album in Form einer Bewertung Herr zu werden. Nicht viel würde dafür sprechen, dieses Songkonglomerat in seiner Gesamtheit tatsächlich gut zu nennen. Gleichzeitig ist es in Befürchtung des Allerschlimmsten, einer klanglich komplett jenseitigen, aus Reproduktionen und Schwachsinn bestehenden LP, wie sie die vereinzelten kleinen Releases der vergangenen Jahre erahnen hätten lassen, ein überraschend zahmes, dem Bandethos oft treu gebliebenes und immerhin immer noch im Rock verwurzeltes Ganzes. An der Feststellung, dass es sich hierbei um den bisherigen Albumtiefpunkt der Band handelt, führt aber definitiv kein Weg vorbei. Zwar klang "Days Go By" bereits ein knappes Jahrzehnt früher ähnlich unfrisch, war "Splinter" ähnlich kurz und mit sinnlosen Tracks gespickt und "Conspiracy Of One" vor gar über 20 Jahren schon ein ähnliches qualitatives Auf und Ab zwischen härterem Ernst, Blödsinn und Kitsch. Den Albumzehnerpack macht das Quartett aber voll, indem sie einem eine LP liefert, die diese Dinge in sehr unvorteilhafter Art kombiniert. Mit nur knapp mehr als einer halben Stunde Material bestünde zwar die Möglichkeit einer speckfreien, knackig-kurzen Vorstellung, die sich dem Wesentlichen widmet. Selbst die zeitliche Kompression verhindert aber nicht, dass man mit dem üblichen, halb- bis komplett unlustigen Zeug konfrontiert wird, das insbesondere im gesetzteren Alter einer Lächerlichkeit und, umso schlimmer, einer schlichten Anfüllung von Laufzeit gleichkommt.
Diese Schwäche ließe sich selbstverständlich leicht ausgleichen, würde man abseits dieser unerwünschten, aber doch irgendwie planmäßigen Ausfälle frisch, durchdringend und kraftvoll klingen, dazu vielleicht noch die richtigen Themen anreißen. Nun handelt es sich um Songs, die von Bob Rock produziert wurden. Und dessen Vita gibt einiges her, was sich zu hören lohnt, er ist aber nicht für naturbelassene Klänge, für rohe, unbearbeitete Härte - sofern nicht gerade die Band um ihn herum zusammenbricht und nach etwas wie "St. Anger" verlangt - oder eine ausgewogene Abmischung bekannt. Insofern ist das so eine Sache mit dem, was man hier zu hören bekommt. In aller Kürze klingt beinahe alles hier ziemlich scheiße. Das liegt nicht an der stilistischen Ausrichtung, nicht an den aus dem Ärmel geschüttelten Riffs oder Hooks, nicht einmal an den Zeilen oder Dexter Hollands schiefem Stimmchen. Es ist schlicht der merkwürdigen Aufbereitung all dessen geschuldet, die verdammt danach riecht, als hätte man zu viel Zeit mit diesen Songs und deren Finalisierung zugebracht. Daraus wurde etwas, das auf absurde Art gleichzeitig hemmungslos abgeschliffen und begradigt, aber auch irgendwie dumpf und bewusst unsauber anmutet. Mit Hollands Stimme durchwegs über allem im Zentrum thronend, der, in die Jahre gekommen, offenbar für Bob Rock nur mehr zu funktionieren scheint, wenn er möglichst durch Autotune verunstaltet wird und sich selbst in mehreren Gesangsspuren unterstützen muss, ist die dahinter liegende Musik hier und da ein unbequemer Nebendarsteller. Umso mehr, weil zwar den Riffs von Noodles und Dexter durchaus ein bisschen Nachdruck und Punch erlaubt wird, trotzdem aber Gitarren wie Drums unbequem stumpf und gedämpft klingen. Es wirkt, als hätte man sie ähnlich bearbeitet wie den Gesang, dann aber nochmal ordentlich zugegriffen und sie künstlich einem authentischen Klang näher gebracht. Ungut.
Mit all dem im Rucksack ist es dann beinahe schon wieder eine unfassbare Leistung, wie solide die LP dennoch oft genug klingt. Da ja hoffentlich keiner eine Rückkehr in die Hochphase der mittigen 90er erwartet hatte, sind bereits offensichtliche Übereinstimmungen mit Höhepunkten der nach dem millennialen Wechsel veröffentlichten Alben eine durchaus lobenswerte Qualität. In diesem Sinne ist Leadsingle Let The Bad Times Roll zwar textlich hemmungslos unterentwickelt und plagt sich mit den oben erwähnten klanglichen Missständen, eigentlich ein verstörender erster Eindruck. Und doch gräbt es sich ins Gedächtnis, breitet die beste Hook des Albums stetig besser aus und mischt die teilakustische Lockerheit von Spare Me The Details mit der drumlastigen, mit nettem Riff gesegneten Härte in den Sphären von Stuff Is Messed Up.
Netterweise darf man sich trotzdem auf straighteren Rock rundherum einstellen, wodurch die erste Albumhälfte wegen des limitierten Charmes, den der Sound mitbringt, zwar in ihrer Wirkung beschränkt ist, aber trotzdem solide und ohne große Verwerfungen auskommt. Auch wenn Opener This Is Not Utopia nämlich genauso wie Behind These Walls oder Army Of One vergeblich versucht, wirklich druckvoll zu einem durchzudringen, sind Grundtugenden der Band geblieben. Die Power Chords sitzen und würde man sich nicht im Refrain von This Is Not Utopia unfreiwillig belustigend an die Bloodhound Gang und deren "The roof, the roof, the roof is on fire" erinnert fühlen, im Riff von Army Of One dafür ein bisschen zu viel Holiday In Cambodia vermuten und den hymnischen Refrain schwierig finden, wären das rundum stimmige Kompositionen. Weltbewegende, ja auch nur begeisternde oder länger nachwirkende Minuten braucht man da nicht zu suchen, aber es ist zumindest von gröberen Verfehlungen noch nichts zu spüren. Was man mitbekommt, ist eine rasche Ermüdung des gebotenen Sounds, sodass man Behind Your Walls direkt nach der Leadsingle noch gelungenen, geschliffenen Rock wahrnimmt, die Albummitte mit dem aufgeblasenen, höllisch überproduzierten Coming For You aber schon höchst zäh und unbequem wirkt.
Dieser langsame Verschleiß in Richtung einer fadisierenden und klanglich belastenden Durchschnittlichkeit ist aber nichts im Vergleich zur erratischen Merkwürdigkeit, die die zweite Albumhälfte darstellt. Höhepunkte treffen auf Peinlichkeiten, Härte auf Schmalz und schlichte Absurdität. Will man die LP in ihrer glanzvollsten Form erleben, hört man sich gefälligst das Duo The Opioid Diaries und Hassan Chop an, das mit der gebotenen Härte und vor allem auch dem nötigen Tempo einer kurzfristigen Frischekur gleichkommt. Inmitten dessen klingen nicht nur Noodles Riffs am knackigsten und - zumindest im bescheidenen Vergleich hier - dreckigsten, sondern auch Dexters Stimme findet urplötzlich wieder ihren angestammten Platz im Bandgefüge. Dass er dann mit seinen Zeilen über die immerwährende Drogen- und Medikamentenkrise der USA und den religiösen Extremismus im Mittleren Osten auch noch inhaltlich den definitiv gelungensten Ton abseits von Behind These Walls anschlägt, rundet die Sache sehr ordentlich ab und sorgt dafür, dass auf einem Album, auf dem man es von Anfang an nicht zu vermuten wagt, doch noch etwas in die Nähe der besten Offspring-Tracks zumindest im neuen Jahrtausend heranreicht.
Dem gegenüber stehen absolute Katastrophen. Die zwar nur einminütige, aber in ihrer ganzen Existenz fragwürdige und komplett sinnlose pseudopunkige Aufbereitung von Edvard Griegs In The Hall Of The Mountain King ist dabei genauso eine Frechheit wie die zwar live zum Fanliebling gewordene, hier aber komplett verunstaltete Piano-Version der auf "Ixnay On The Hombre" veröffentlichten Power-Ballade Gone Away. Dass dieses Format Hollands gesangliche Fähigkeiten übersteigt, war bewusst, führt aber dank unfassbar überschießendem Einsatz von Autotune-Begradigungen zu einer stimmlichen Frankenstein-Katastrophe, die dank der kristallin-schillernden Mischung aus Klavier und Streichern im Hintergrund auch noch ins schlimmste Tal des Kitschs entführt wird. Dass darauf noch ein nutzloses, ultrakurzes quasi-Outro in Form von Lullaby folgt, das außer überproduziertem Gitarrenzupfen und durch den Fleischwolf gedrehtem Gesang, der wohl surreal-albtraumhafte Qualität haben soll, ist da beinahe Makulatur. Trotzdem ist es einem noch eher ein Rätsel als We Never Have Sex Anymore, das zwar die zweite Hälfte passend unsympathisch einleitet, sich als jenseitige halblustige Alt-Männer-Nummer aber zumindest mit ihrer Hook eingräbt und klanglich fast ein bisschen Spaß machen könnte, auch wenn man das gar nicht will.
Deswegen weiß man dann auch bei "Let The Bad Times Roll" in seiner unrühmlichen und doch oft genug gar nicht so schlimmen Gesamtheit nicht wirklich, ob man nun will oder nicht. The Offspring machen es einem unfassbar schwer, sie hier noch zu verteidigen oder zu mögen, sind aber definitiv auch kein geeignetes Objekt für sonderliche Wutausbrüche, weil sie immer noch soliden Rock draufhaben, hier und da mal poppiger, mal rockiger zu gefallen wissen und inmitten einer zunehmend absurder und fragwürdiger geratenen Tracklist auch noch im Doppelpack wirklich frisch und energisch den Kopf aus der Schlinge ziehen. Ohne diesen unerwarteten Stunt sähe es trist aus um die Kalifornier, die aber mit der langen Wartezeit auf das Album, den musikalischen Zwischenspielen der letzten Jahre und nun dieser LP aber sowieso mehr Fragen über die verbliebene Inspiration und Geschmackssicherheit aufwerfen, als sie hier beantworten können. In der abschließenden Abrechnung hier doch noch halbwegs über Wasser geblieben zu sein, ändert daran wenig.