von Kristoffer Leitgeb, 17.10.2013
Erstklassiger Pop-Punk auf Offspringisch, heile Welt für alle Fans der Kalifornier.
Es muss einem als Musiker doch ziemlich weh tun, wenn man irgendwann vom Großteil der eigenen Fans für die Musik, die man ihnen liefert, heftigst kritisiert wird. Die professionellen Kritiker sind gerne und schnell dabei, wenn es darum geht, eine LP zu verreißen. Aber zumindest die Anhängerschaft, die man sich mühevoll erspielt hat, ja, die sollte man doch halbwegs zufriedenstellen können. Aber zu viele Künstler sind schon daran gescheitert. So hat's in den 80ern die 'neuen' Genesis unter Führung von Phil Collins erwischt, Mitte der 90er mussten sich Metallica mehr und mehr rechtfertigen und im neuen Jahrtausend zählen unter anderem Linkin Park oder Green Day zu den Bands, die ihre Fan-Base massiv enttäuscht haben. Genauso wie die Mannen von The Offspring. Aber, 1998, da war noch alles in bester Ordnung. Drei Hits haben sie produziert, alles jubelte ihnen bei den MTV EMAs und Woodstock 1999 zu und, nicht zu vergessen, die Musik war verdammt gut.
Und das obwohl mit "Americana" eindeutig ein Schritt abgeschlossen wurde, der nicht allen Anhängern so gut gefallen hat. Nämlich jener, der die Band weggeführt hat von ihren Punk Rock-Wurzeln und sie in den Erfolg der Pop Punk-Welle gespült hat. Nicht umsonst heißt der bis heute erfolgreichste Song der Band Pretty Fly und nicht etwa Genocide (Punk in Reinkultur auf "Smash"). Schade irgendwie, denn hinter dem eingängigen, aber eben doch auf Dauer nervigen Welt-Hit versteckt sich ein Bündel an Top-Material. Denn so ganz haben die Kalifornier ihre alten Tage noch nicht vergessen gehabt. Auf Tracks wie No Brakes oder Staring At The Sun fliegen einem die Drums und Riffs nur so um die Ohren. Ein großer Plus-Punkt gegenüber den erfolgreicheren Kollegen von Green Day. Während nämlich letztere immer musikalisch mehr auf dem Kasten hatten, konnten The Offspring allein durch ihre Energie, das hohe Tempo und den härteren Sound weit eher punkten.
Und die Befürchtung, das könnte auf "Americana" ein Ende haben, ist ganz einfach zu verneinen. Denn die meiste Zeit ist die Gitarre von 'Noodles' in Top-Form (er selbst wohl auch), Ron Weltys Drums erreichen ein sympathisches Tempo und die Texte zeigen doch noch etwas von Rest-Aggressivität früherer LPs. Und so hört man beispielsweise den Titeltrack, bekommt ein grandioses Drum-Intro serviert, hört einen Top-Riff (Gott schütze die Power Chords!) und kann nur zustimmen, wenn Dexter Holland auf ironische Weise "It's all disturbing in Americana my way / Well, fuck you, my dream has come true" in die Welt hinausschreit. Oder aber der Fan-Liebling The Kids Aren't Alright, der schon im Titel alles sagt und textlich ähnlich stark punktet. Und zur Auflockerung gibt's dann das Pseudo-Cover Feelings, das die gleichnamige 70er-Schnulze ganz nett - oder auch weniger, je nach Perspektive - umdichtet und ins Punk-Gewand steckt. Zusätzlich findet man die Mid-Tempo-Tracks She's Got Issues über die Freundin mit den vielen Komplexen und Why Don't You Get A Job?. Beide weit weg vom High-Speed-Sound von "Smash", aber die nötige Verschnaufpause, um keine Langeweile aufkommen zu lassen.
Denn das kann dann vielleicht doch bei Zeiten kritisiert werden. Zwar wirkt hier kein Track müde oder fad, das Gesamtpaket hätte aber vielleicht eine Spur mehr Abwechslung vertragen. Bei dem Versuch genau das zu erreichen passiert der Band aber auch der einzige, leider sehr schwer wiegende Fehltritt. Der achtminütige Closer Pay The Man leidet vor allem daran, dass er in den ersten fünf Minuten, die so etwas wie Psychedelic Rock auf 'Offspringisch' sind, klinisch tot scheint. Der lautere Schluss ist da dann schon komplett egal, denn da ist schon Hopfen und Malz verloren.
Die wirklichen Highlights, die aber dann doch nie in höchste Höhen entschweben, finden sich früher. Gleich zu Beginn packt einen "Americana" nämlich mit Have You Ever dort, wo es einen kaum noch loslässt. Es ist einer dieser Depressions-Songs, die über die lange Karriere des Quartetts wohl zu deren beständigster Kategorie zählen. Mit "Have you ever walked through a room, when it was more like the room passed around you" vermittelt einem Dexter überraschend viel Beklemmung für dieses Album. Nach dem geradlinigen Punk der ersten zwei Minuten imponiert aber vor allem auch der 'Neustart' zur Mitte, der mit völlig neuem Beat und plötzlich gesellschaftskritischer Botschaft eine interessante Wendung macht. Nachfolger Staring At The Sun ist da weniger grazil. Mit leichtem Ska Punk-Touch geht's der Song zwar an, mutiert aber bald zu einem wirklichen High-Speed-Track, der aber da eindeutig zur besseren Sorte gehört.
Ja, ist das überzeugend genug? Riffs auf unverändert hohem Niveau, in Wirklichkeit Energie genug für 70 Minuten und Texte, die zwar simpler denn je, aber doch alles andere als sinnlos daherkommen. Es gab und gibt so Vieles, was am Pop Punk generell und an den Kalifornischen Sympathieträgern von The Offspring im Speziellen zu bekriteln ist. Auch hier könnte man, wenn man denn will, sicher Einiges finden. Andererseits erfüllt diese LP, wie so viele andere der Band auch, so ziemlich alle Auflagen für das Prädikat 'gelungen'. "Americana" ist eindeutig gelungen, nicht perfekte, auch nicht für Offspring-Maßstäbe, aber doch mehr als unterhaltsame 40 Minuten.