von Kristoffer Leitgeb, 16.05.2020
Mit melancholisch schönem Folk auf der Suche nach dem, was bleibt.
Einmal mehr begeben wir uns in die weite Welt der Cover Artworks, um von da aus ein bisschen der dahinter steckenden Musik auf die Spur zu kommen. Irische Zwillingsbrüder in einem urigen Waldstückchen, in dem vielleicht auch die Blair Witch daheim ist. Soweit zur Motivwahl, doch was sagt es uns, den tiefsinnigen Betrachtern? Nun ja, eine bescheidene Mischung aus manipulationsfreier Naturbelassenheit und doch melancholisch-atmosphärischer Inszenierung könnte man vielleicht hineininterpretieren, wenn man es übertreiben will. Glücklicherweise kommt man durch diese Übertreibung auch gleich dem akustischen Aspekt des Duos näher, das sich ähnlich gestaltet, ein bisschen hin und her gerissen scheint zwischen blanker, gefühlvoller Atmosphäre und dem Verlangen nach der einen oder anderen, leicht bekömmlichen Melodie, die einen davonträgt und ein bisschen schweben lässt. "Started To Wonder" scheint das auf neun Songs vereinen zu wollen, was anscheinend Fluch und Segen gleichermaßen sein kann.
Auf der positiven Seite ist den Gebrüdern Watson nämlich eine spürbare Harmonie und spielerische Leichtigkeit gegeben, die ihren traditionell angehauchten Indie-Folk in einen mühelos erscheinen Fluss bringt. Von Beginn weg wird man damit langsam hinübergeleitet in ein verträumtes Ganzes, dem musikalisch ein uriger, mitunter fast nach Lo-Fi-Manier klingender Charme anhaftet. Anfangs noch fast rockig unterwegs, wird die Ruhe bald zur beherrschenden Kraft, hauptsächlich geformt durch entspannt gespielte Gitarren, tänzelnde Banjo- und Mundharmonika-Parts und den einen oder anderen Tastenanschlag am Klavier. Das Resultat ist verführerische musikalische Leichtigkeit, die einen spätestens mit dem passend betitelten Dream The Days Away umgibt und kaum noch verlässt. Auf der anderen Seite ist man insbesondere in den ersten Minuten versucht, sich an die Landsmänner der Frames und deren Frontmann Glen Hansard erinnert zu fühlen. Opener Gold und The Switch fördern deutliche klangliche Parallelen zu Tage, kommen zwar fast ohne jegliche E-Gitarren-Akzente aus, landen aber ultimativ im gleichen, melodisch freimütigen Indie-Folk mit melancholischem Unterboden.
Diese Mixtur ist gelungen und auch wieder nicht. Das beschwingt-lockere The Switch verdeutlicht die möglichen Stärken der Brüder, wenn es um markante Melodien geht, die dank der für das Album untypisch präsenten Drums auch die nötige Energie und Aktivität mitbringen. Das ausgefüllte Arrangement hilft, macht den Track prägnanter, ohne ihm die luftige Note der übrigen Songs und damit die musikalische Leichtigkeit zu nehmen. Gleichzeitig bleibt man verschont von jeglicher fast schon weinerlichen Schwere, die leider den etwas zähen Opener insbesondere auf gesanglicher Ebene befällt und an die Frames erinnert wie nichts sonst. Und auf dem Gebiet ist Glen Hansard dann doch noch ein bisschen effektiver.
Insofern ist es schon eine gute Sache, dass sich die beiden Iren in den übrigen Songs umso mehr in klanglicher Reduktion üben und zunehmend an einer Symbiose aus verträumter Leichtigkeit und gefühlvoll-melancholischer Schwere arbeiten. Der damit verbundene Drahtseilakt bringt einem das leidenschaftliche gesungene Strangers In The Stairways, das sich nach zurückhaltend-schönem Beginn zwischenzeitlich zu einem verzweifelt lauten Klimax steigert. Und er führt einem zu einem finalen Höhepunkt in Form des zärtlich gestalteten Behind The Beautiful Forevers, dessen romantische, maßvoll kitschige, jedenfalls aber gelungene Qualität schon in den ersten Zeilen zum Ausdruck kommt:
"Behind the beautiful forevers in your eyes
Is a softness, a moment, a dream
I’ve just come out of wondering
Started to wonder, you see"
Das Klavier trägt den Song in einem harmonisch-ruhigen Paarlauf mit der akustischen Gitarre erfreulich zurückhaltend, ohne dabei auf die nötigen Akzente zu vergessen. Die kommen darüber hinaus noch mit zwischendurch eingestreuten Mundharmonika-Tönen nicht zu kurz, vertragen sich auch bestens mit den gefühlvollen, hohen Stimmen der gemeinsam singenden Brüder.
Diese beiden emotional und atmosphärisch starken Momente verdecken jedoch ein bisschen, dass man sich rundum auf die Suche machen muss nach Songs, die einen positiven Eindruck zu hinterlassen im Stande sind. The Switch und Dream The Days Away sind frühe Beispiele, aber dann auch bald die einzigen, die sich noch dazu gesellen. Lost darf im Gegensatz dazu beispielhaft dafür stehen, wie hier der eine oder andere Track nett ausgeformt wurde, aber letztlich nicht viel mehr macht, als an einem vorbeizuziehen. Bis zu einem gewissen Grad erlaubt diese, fast schon in Sphären von Simon & Garfunkel - plus Banjo und Mundharmonika - existierende Ruhe, deren zentraler Fokuspunkt die beiden Stimmen sind, natürlich sich darin fallenzulassen. Verträumt davon schweben und ein bisschen die harmonische Beschallung genießen, das wäre wohl das Idealbild. So weit kommt es dann aber doch nicht, weil Lost dafür irgendwann zu nichtssagend wirkt, als dass man es genießen könnte. Postcards und To Call It Living dagegen haftet eindeutig mehr Dramatik an, die zwar nicht in allzu großen Tönen mündet, aber mehr erahnen lässt. Problematisch ist das dennoch, weil beide die nötige Balance nicht hinbekommen, um die träumerische Stärke mancher Minuten hier zu bewahren. Dafür ist Postcards zu reduziert und nach Gefühlen haschend, To Call It Living dagegen zu laut und dem Pop-Rock zugewandt, sodass beide eher unbequem im Durchschnitt landen.
Deswegen ist "Started To Wonder" dann doch nicht ganz, was es wohl hätte sein können. Mitunter scheint so viel möglich, dass es letztlich zumindest schade ist, dass aus dem Debüt der Iren nicht doch in der Substanz etwas mehr geworden ist. Das soll nun beileibe nicht heißen, dass man hier nicht jene Momente finden würden, die es erfolgreich hinbekommen, einen gedanklich davonschweben zu lassen und trotzdem auch dafür sorgen, dass man emotional nicht ganz ungerührt bleibt. Aber dieser schwierige Spagat gelingt nicht oft. Umrahmt werden diese gelungenen Minuten von solchen, die immer noch eine spürbare Harmonie zum Ausdruck bringen, denen es allerdings an etwas mangelt, das prägnant genug wäre, um sie im Gedächtnis bleiben zu lassen. Das Fundament ist dennoch ein gutes, ein von dem richtigen Gespür für Reduktion und Spielfreude gekennzeichnetes, das sich ganz eindeutig die richtigen Seiten des Folk ausgesucht hat, um ihnen nachzueifern.