Arthur (Or The Decline And
Fall Of The British Empire)
Veröffentlichungsdatum: 10.10.1969
Rating: 9.5 / 10
von Mathias Haden, 12.04.2014
Der kreative Höhepunkt im Schaffen der Briten als sarkastisches Epos vom 'kleinen Mann'.
Als die siebente LP der Kinks erschien und das Ende einer bemerkenswerten Dekade für die Davies-Brüder und deren wechselnder Gefolgschaft einläutete, war die Karriere des vierten britischen Big Players neben den Beatles, Rolling Stones und Who kommerziell vorerst schon wieder passé. Bereits dem Vorgänger mit dem ebenfalls stattlichen Namen The Kinks Are The Village Green Preservation Society war es nicht gegönnt, sich einen Platz in den UK- oder US-Charts zu schnappen. Arthur erschien im Oktober 1969, wurde von Kritikern wieder sehr wohlwollend aufgenommen, erreichte aber aufs Neue weder in den U.S.A. noch auf ihrer Insel die Top-100.
Ursprünglich war das Album als Soundtrack für ein Fernsehspiel geplant, diese Idee wurde allerdings aufgrund fehlender Sponsoren und wenig finanziellem Spielraum nach dem kommerziellen Desaster der Vorgänger-LP ad acta gelegt und als Konzeptalbum fertig gestellt. Die Ehre als kreativer Kopf hinter der Aktion darf sich wieder mal Ray Davies zuschreiben lassen. Nach der Hommage an das idyllische, englische Landleben vom Vorgänger gibt es nun die Geschichten von Arthur, dem legendären britischen König. Pustekuchen! Davies Erzählungen handeln nämlich nicht von besagtem Adeligen, sondern vom einfachen Spießbürger und Teppichleger Arthur. Dass die Geschichte von dessen Aufstieg nach dem zweiten Weltkrieg viel Sarkasmus und Gesellschaftskritik beinhaltet, wird schnell klar.
Dass sich die Kinks nach einem kommerziell katastrophalen Annus mit ihrer nunmehrigen Rolle abseits des Mainstreams abgefunden haben, wird ebenfalls früh ersichtlich. Denn obwohl das Quartett, das den Abgang von Gründungsmitglied und Bassisten Pete Quaife mit John Dalton mustergültig (naja, Bassisten halt) kompensieren konnte, sich immer mehr von den eingängigen Pop-Hymnen der Marke Waterloo Sunset entfernt, marschiert es weiter in vielseitigere Gefilde. Bestes Beispiel, das bezaubernde Shangri-La, das sich in seinen fünf Minuten vom britischen Folk-Rocker zur kraftvollen Hard-Rock-Nummer entfaltet und einige der besten Zeilen der Bandgeschichte bereithält:
“The little man who gets the train
Got a mortgage hanging over his head
But he's too scared to complain
'Cause he's conditioned that way”
Was gibt es auch schöneres, als von der britischsten unter den Brit-Bands die Beschreibung vom 'kleinen Mann' untergejubelt zu bekommen. Ganz groß auch der Refrain:
"Put on your slippers and sit by the fire
You've reached your top and you just can't get any higher
You're in your place and you know where you are
In your shangri-la"
Mit viel Cleverness und lyrischer Versiertheit besingen Ray und Dave Davies den Verfall des britischen Imperiums und lassen ihren Protagonisten parallel dazu seine Abenteuer bestreiten. Von der letzten Britischen Königin (vor unser geliebten Lizzy) Victoria handelt der gleichnamige Opener und erinnert neben den guten alten Zeiten auch an die erfolgreichen Jahre der Kinks, bietet typisch satirische Lines von Ray D. und vielseitige Gitarrenriffs vom anfänglichen Blues bis zum härteren Fade-Out. Was auffällt: So euphorisch (und in diesem Fall auch patriotisch) die Melodien, die die Band vor sich hin dudelt, so unpassend konträr verlaufen die Lyrics dazu. Aber Victoria ist da beileibe kein Einzelfall, auch das wenig verhehlende Brainwashed und das ebenfalls auffällig offensive Mr. Churchill Says fallen in selbige Kerbe. Mitreißend, mit Pop-Appeal und für den spießbürgerlichen Briten zu ehrlich, um Freude zu bereiten.
Herrlich beschwingt kommen auch noch die melodische Single Drivin', die nach einem kleinen 'Hazerl' (Spritztour) an einem faulen Sonntagmorgen ausruft, die fein produzierte Werbung für Australia ("Nobody has to be any better than what they want to be / Australia, no class distinction / Australia, no drug addiction / Nobody's got a chip on their shoulder"), auf dem Arthurs Sohn ihm eine Reise schmackhaft machen möchte. Mit dem flotten Arthur schließt sich die Geschichte vom Aufstieg des einfachen Mannes.
Wer dann noch nicht genug von diesem Relikt britischer Kultur bekommt, für ein wenig Abwechslung aber immer ein offenes Ohr übrig hat, dem kommen die ruhigen, melancholischen Vergangenheitsreminiszenzen zwischendurch gerade recht. Das berührende Some Mother's Son ist so ziemlich der ehrlichste Anti-Kriegs-Song, den die ohnehin schon recht friedensfreundlichen Sechziger hinterlassen haben, Young And Innocent Days ist rührselige Nostalgie und She's Bought A Hat Like Princess Marina holt wieder den Spiegel raus und drückt ihn den Briten provokant ins Gesicht.
Obgleich es mittlerweile die Wertschätzung erhält, die es verdient, hatte die siebte LP der Kinks, Arthur (Or The Decline And Fall Of The British Empire), immer ein recht schwieriges Standing. Weniger zugänglich als zuvor, vielleicht das eine ums andere mal ein wenig zu offensiv. Aber letztendlich lehne ich mich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, eben das beste unter den starken LPs der Briten besprochen zu haben, das in seiner Vielfältigkeit, seiner Entwicklung und seinem intelligenten Konzept die Mitbewerber letztlich aussticht und auch ganz allgemein als einer der Höhepunkte britischer Kreativität heraussteht. Selten haben sich satirischer Sarkasmus und nostalgische Melancholie besser die Waage gehalten. Wer im Herbst 1969 cool drauf war und auf Konzeptalben stand, der legte jedenfalls eindeutig Arthur und nicht die wenig zuvor erschienene Tommy von den Who auf.