von Mathias Haden, 07.06.2017
Sorglos verträumtes Zwischenspiel als kurzes Aufatmen vor dem großen Knall.
Unter all den frenetisch Gefeierten kommt Jimi Hendrix schon eine gewisse Sonderrolle zu. Zum Zeitpunkt seines Todes gerade mal ein Jahr älter als die zwar verzögert, aber ebenfalls umjubelten Nick Drake und Gram Parsons zu ihren, lebt der Mythos Hendrix auf einer nicht vergleichbaren Metaebene. Klar, großer Musiker, der nebenbei ein ganzes Musikgenre mitprägte, aber auch da können Parsons und zumindest zum Teil Drake ein gutes Wörtchen mitreden. Trotzdem war es Hendrix' Rock-Vision der Spätsechziger, die nicht nur Kritiker überzeugte, sondern eben auch den Pop-Zirkus mitbestimmte und eine Generation, die weit über das kurze Hippie-Intermezzo hinausgeht, musikalisch sozialisierte. Das zweite seiner drei Alben als Teil der legendären Jimi Hendrix Experience mit Drummer Mitch Mitchell und Bassist Noel Redding ist das am wenigsten glorifizierte der Band, generiert bis zum heutigen Tag indes ebenfalls Lobpreisungen der Superlative und gilt mithin als Einfluss für eigentlich eh auch alles, bei dem eine Gitarre im Spiel ist.
Nicht ohne Grund, denn Hendrix' virtuoses Spiel am Saiteninstrument ist selbstverständlich auch hier eine Klasse für sich. Eingängige Licks, Fingerfertigkeit, Interesse an der technologischen Vielfalt an Möglichkeiten, seine Darbietungen aufzuwerten und zu guter Letzt verdammt viel Gefühl. Selbiges versucht er auch immer wieder in seine Gesangsperformances einfließen zu lassen, was ihm im Lauf der Jahrzehnte ebenfalls viel Lob einbrachte, mich aber nicht bei jedem Versuch erreicht. Gelegentlich aber doch, deswegen steht das melodische One Rainy Wish, wunderbar eingebettet in seine verträumt sphärischen Gitarrensequenzen, als bestes Stück des zweiten Albums. Da mögen mir zwar die wenigsten zustimmen, doch dort, wo der aufglimmende Dunstschleier und der Hall der erhabenen Riffs aufeinandertreffen, dort ist nichts anderes als die Magie des Künstlers zu finden. In dieselbe Kerbe schlägt Castles Made Of Sand, das mit einem rückwärts gespielten Gitarrenpart nicht minder entspannt und Jazz-inspiriert einläuft und zwischen dem exzellenten Zusammenspiel seiner Kollegen der Rhythmussektion erneut einen Sänger in Hochform wiederfindet.
Klarerweise werden die beiden herrlich getragenen Tracks aber immer in den Schatten der Aushängeschilder der LP stehen. Einerseits das bekannteste Stück und gleichermaßen der legendäre unter den legendären Riffs von Axis: Bold As Love: der nur knapp über zwei Minuten andauernde Orkan Little Wing, der über die Jahre zu einem seiner am häufigsten interpretierten Gassenhauer mutieren konnte, wohl am besten bekannt in der Derek and the Dominos-Version unter der Rigide Eric Claptons. Andererseits der wütende Psychedelic-Rock-Stampfer If 6 Was 9, der als Teil des "Easy Rider"-Soundtracks eine Gegenkultur bzw. eine kurze, aber intensive Ära mitprägen sollte:
"Yes, now if six turned out to be nine
I don't mind, I don't mind
If all the hippies cut off all their hair
I don't care, I don't care, dig"
Gerockt wird auch anderswo ordentlich, weswegen die Scheibe auch gerne als große Inspiration für die Entstehung des Stoner-Rock und all seinen Epigonen herangezogen wird. Mal passiert das mit mehr Nachdruck und damit besser, wie am kraftvoll groovenden Spanish Castle Magic, mal mit offensichtlicher Spielfreude und mehr als nur einem Hauch Pop-Appeal, wie auf Ain't No Telling oder Reddings Gesangsbeitrag She's So Fine.
Gerade diese Mischung aus polternden Rocknummern, blumigem Pop und träumerischen Klanglandschaften, bei denen die Instrumente gerne die neuen technologischen Möglichkeiten ausschöpfen und mit den Vorzüge der Stereo-Kanalisierung flirten, sorgt letztlich für eine süffige, aber runde Sache. Schwächen darf man sich auf Axis: Bold As Love aber auch erwarten. Zwar treten die in Sachen Musikalität nur dort auf, wo sich die Band bzw. eigentlich der Protagonist selbst zu sehr darin verliert, besagte technische Möglichkeiten auszureizen, mit Spoken Word-Opener und UFO-Quatsch EXP letztlich die unnötigsten Minuten der LP fabriziert. Oder aber, wenn die Experience wie auf You Got Me Floatin' gemütlich dahin rumpelt, aber abgesehen von einem lässigen Groove nicht viel auf die Reihe bekommt. An dieser Stelle sei auch gesagt, dass Hendrix zwar als unvergleichbarer Musiker, aber eben auch nicht als der größte Lyriker seiner Zeit steht. Das beweist er auf dem zweiten Longplayer als Frontmann der insgesamt stark aufspielenden Experience doch auch ein ums andere Mal zu viel.
Weswegen Axis: Bold As Love am Ende des Tages wohl nicht ganz unverdient ebenfalls als Klassiker gefeiert, aber doch in der Regel als ihr am wenigsten meisterliches Album bezeichnet wird. Zwar sind es teilweise lediglich Nuancen, die der entspannten und erhabenen LP im kleinen Kanon mit all ihren verträumten Sequenzen auf das explosive Debüt fehlen, doch wirken sich in diesem Duell um den zweiten Platz im internen Ranking schon Kleinigkeiten aus, während Electric Ladyland ein gutes Stück entfernt seine einsamen Kreise zieht. Ändert letztlich aber wie so oft nichts daran, dass die drei Alben sich ohnehin in jeder Sammlung finden lassen sollten, die etwas auf sich gibt: "Golden rose, the colour of the dream I had / Misty blue and lilac too..."
Anspiel-Tipps:
- Up From The Skies
- Castles Made Of Sand
- One Rainy Wish