von Kristoffer Leitgeb, 25.09.2020
Mongolische Steppenwölfe im stimmigen Gleichgewicht aus Tradition und gesunder Härte.
Das Internet ist doch wirklich eine großartige Sache. Ich kann heute noch einfach so ein T-Shirt aus Bangladesch bestellen, auf dass es ehebaldigst hier ist, kann mir einen Gleichgesinnten in Mosambik suchen, damit endlich wer zum Reden da ist und kann ein paar Geschichten über Roch Marc Kaboré in die Welt setzen, um die bald stattfindenden Präsidentschaftswahlen in Burkina Faso entscheidend zu beeinflussen. Ein Traum!
Man darf allerdings die Macht des Internet dabei nicht unterschätzen. Da geht schon ganz schön viel dank der weltweiten Vernetzung, ob man das nun will oder nicht. In der Welt der Musik oder dem, was sich dazu zählen will, ist das nicht anders. Auch da kämpft man mit Kollateralschäden des World Wide Web, wie sonst wäre es zu erklären, dass auch Bibi - ohne Tina und Gesangstalent... - oder Dagi Bee etwas aufgenommen haben, das zumindest Liedform annimmt und weit über das gebührende Ausmaß hinweg Bekanntheit erlangt hat. Hin und wieder greift da die Internetnutzerschaft noch als nötiges Korrektiv ein, aber das ist selten. Es gibt allerdings auch die positiven Seiten und da wir ja alle Optimisten sind, sollten wir uns auf die konzentrieren. The HU beispielsweise gäbe es ohne Internet wohl nicht, zumindest nicht mit weltweiten begeisterten Festivalauftritten und der gebührenden Aufmerksamkeit für ein Album, das einem mongolische Klänge in ganz ungewohnter Form bringt.
Wie überhaupt alles, was sich über das mongolische Quartett in Erfahrung bringen lässt, einigermaßen außerhalb der Norm zu sein scheint. Alle vier stammen sie vom staatlichen Konservatorium in Ulaanbaatar, sind dementsprechend klassisch ausgebildet und haben dennoch eine musikalische Nische gefunden, die eher an Hard Rock und Metal angelehnt scheint. Erinnerungen an die finnischen Symphonic-Metal-Helden von Apocalyptica werden dabei nur kurz wach, weil hier das Cello weit und breit keinen Platz hat, nicht auf Coverversionen gesetzt, dafür aber fleißig gesungen wird. Dahingehend erweisen sich The HU als durchaus traditionsbewusst, setzen auf den klassischen mongolischen Kehlkopfgesang, den sie mit erdigem, düster anmutendem Sprechgesang vermengen, um so auch die eine oder andere Zeile aus alter mongolischer Literatur und entsprechenden Kriegsgesängen zu entlehnen. Man kann nichts davon entziffern, versteht sich, weil es Mongolisch dann einfach doch nicht ganz zur Weltsprache gebracht hat und dementsprechend ein bisschen die sprachlichen Anknüpfungspunkte fehlen.
Das macht aber ganz wenig, weil die Intonation Qualität genug mitbringt und zusammen mit einer fähigen musikalischen Auskleidung für ordentlich Atmosphäre und mitreißende Energieentladungen sorgt. Dafür haben die vier sich ihre traditionellen Instrumente selbst gebastelt und schrammeln an der Morin Khuur oder der Tovshuur, also der Pferdekopfgeige und der regionalen Lautenvariante dahin. Klassisch westliche Instrumentierung gesellt sich dazu nur in spärlicher Form, reduziert sich zumeist auf lautstarke, stampfende Drumeinlagen oder dunkel pulsierenden Bass, nur selten komplimentiert durch ein paar Gitarrenklänge. Ansonsten braucht es so etwas aber auch absolut nicht, denn die düster schwelende Atmosphäre und der hymnische Anklang nahezu aller Tracks gelingt dank der voluminösen, druckvollen Produktion auch mit nahezu komplettem Fokus auf die stimmungsvollen Einlagen an der Geige, der Laute und der immer wieder markant eingestreuten Maultrommel. Der Titeltrack öffnet dahingehend zu Beginn sehr gelungen die Pforten, galoppiert in traditioneller Hard Rock Manier anfangs recht unspektakulär dahin, findet aber mit dem Zusammenspiel der Bandmitglieder und der raumfüllenden Gesangseinlagen schnell zu einem Höhepunkt.
Bald merkt man zwar, dass die Abwechslung nicht die größte Stärke der Band sein dürfte und Songs minutenlang in gemächlicher Gleichmäßigkeit dahinmarschieren. Die mehrlagigen Gesänge schaffen dabei aber genauso Abhilfe wie die oft nahtlos und trotzdem ausdrucksstark in das monotone rhythmische Gerüst eingebetteten Klänge der Pferdekopfgeige. Das kann dann genauso sehr locker und unterhaltsam enden wie im überraschenden Durchbruchssong Yuve Yuve Yu und Shoog Shoog, die beide zum Mitsingen animieren, wie es auch eine drückende Schwere annehmen kann. Letzteres beeindruckt vielleicht etwas mehr, wenn es wirklich voll zur Entfaltung kommt. Abgesehen vom wuchtigen Opener, der das nicht ganz hinbekommt, ist es aber eigentlich nur mehr The Great Chinggis Khaan, dem man zugestehen kann, in dieser Hinsicht verdammt effektiv zu sein. Dessen Gegenüberstellung atmosphärisch-ruhiger, vom tiefen Gesang und unaufdringlichen Zupfern an der Laute und langgezogenen Geigennoten Passagen und plötzlicher, verzerrter Klangausbrüche, in denen die Band zu mehrstimmigen Chants ansetzt, entpuppt sich als meisterlich cineastisch und vereinnahmt einen wie nichts sonst hier.
Diesen Höhepunkten stehen bei nur 9 Tracks dann doch auch Minuten gegenüber, die zwar ähnlich bedacht und versiert zusammengestellt wurden, aber einfach nicht diese Wirkung entfalten. Insbesondere trifft das das langatmige The Legend Of Mother Swan und das mit hellen Flötenklängen aus der zuvor aufgebauten Atmosphäre herausgerissene Shireg Shireg, die beide auf grundsätzlich harmonische Arrangements bauen können, dabei aber wenig Wirkung zeigen. Recht schwerfällig und in puncto Nachdruck ausbaufähig, stimmungsmäßig dann aber doch wieder weit eher dem Höhepunkt des Albums folgend, bilden dann Songs wie Wolf Totem oder The Same einen soliden Unterbau.
Mit dem im Gepäck, bietet "The Gereg" mit seiner überschaubaren Anzahl an Songs auch gar keine Gelegenheit, wirklich schwach oder ermüdend zu werden. Dafür ist das dahinter stehende Quartett zu fähig und versteht sich auch zu gut darauf, ihre musikalischen Fähigkeiten in atmosphärische Minuten münden zu lassen. Der Fokus auf traditionell mongolische Klänge ist dabei naturgemäß kein Nachteil, sondern das Um und Auf, wenn es darum geht, einen erfolgreich in die musikalisch Szenerie hineinzuziehen. Und das können sie auf alle Fälle, selbst mit immer wieder eingestreuten schwächelnden Momenten, die nicht im nötigen Maß Ausdrucksstärke beweisen, sondern sich darauf beschränken, versiert eingespielt und arrangiert zu klingen. Wenn damit allerdings schon der Tiefpunkt erreicht ist, ist auch etwas über die Qualität des Albums und das Potenzial, das in diesem Quartett steckt, ausgesagt.