von Mathias Haden, 07.06.2017
Endstation Sehnsucht: Die ehemaligen Vorreiter auf belanglosem Terrain.
Vergangenen Tagen nachzutrauern hat noch niemandem geholfen. Zumindest nicht über einen längeren Zeitraum. Je
schneller man es versteht, sich mit der Gegenwart zu arrangieren und zu Vergangenheit und Zukunft in sinnvollem Bezug steht, desto schneller lässt man schmerzvoll schöne, weil vergangen verklärte
Erinnerungen hinter sich und kann sich endlich dem emotionsarmen, weil gegenwärtig unverklärten Gedankengut hingeben. Ein guter Tausch! Während sich diese philosophischen Weisheiten im
Glückskeks-Format hier in den letzten Wochen und Monaten häufen - keine Sorge, wo die herkommen, gibt es noch viel mehr -, ist auch ein Ende der legendären Country-Rock-Pionierband The Flying
Burrito Brothers nicht abzusehen. Ich spreche aber nicht etwa vom spirituellen Vermächtnis oder dem Einfluss der US-Amerikaner, nein, denn die Truppe ist tatsächlich nach wie vor aktiv. Zwar
immer wieder unter anderen Bandnamen und mit einer personellen Fluktuation unterwegs, von der Robert Smith gelegentlich träumt, aber nach wie vor offiziell unter den nach wie vor aktiven
Veteranen. Bis 1997 sogar mit Sneaky Pete Kleinow an Bord, der zehn Jahre später das Zeitliche segnete.
Der war bereits im Jahr 1976 das letzte verbliebene Gründungsmitglied, nachdem sich Bassist Chris Etheridge nach der im Jahr zuvor erschienenen "Comeback-LP" Flying Again bereits zum zweiten Mal in der kurzen Bandgeschichte verabschiedet hatte. Sorgen um die musikalische Vision seiner
Herzensangelegenheit musste sich die Pedal Steel-Koryphäe aber keine Sekunde machen, immerhin waren mit Drummer/Multiinstrumentalist Gene Parsons, Fiddler Gib Guilbeau, Skip Battin (der Etheridge
am Bass ersetzte) und Gitarrist Joel Scott Hill weiterhin einige namhafte Musiker engagiert, die diese teilten.
Dass das auch ohne die großen Chris Hillman und Gram Parsons, aber auch ohne dessen legitimen Nachfolger Rick Roberts funktionieren konnte, hatte ja der zerfahrene, insgesamt aber respektable Vorgänger an einigen Stellen eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Mit Airborne, dem fünften und lange Zeit letzten Studiowerk unter dem originalen Bandnamen, war der Zug aber endgültig abgefahren. Gründe dafür gibt es zuhauf. Der erste und in meinen Ohren triftigste ist der, dass die Burritos hier alles dafür geben, ein eklektisches Programm abzuspulen. Tatsächlich ist damit mehr gemeint als nur die eine oder andere unpassende Produktionsschmonzette. Wer hätte sich z.B. gedacht, dass im Nebenstudio der Columbia-Records gerade der am Höhepunkt seines künstlerischen Werdegangs befindliche Stevie Wonder am eigenen Album rumdokterte und den Kollegen mir nichts, dir nichts eine eigene Komposition anvertrauen und auf dieser sogar Unterstützung am Klavier leisten würde. She's A Sailor ist zwar nur Wegwerfware und schunkelt über fünf Minuten lediglich in ganz bescheidenem Timbre dahin, doch ist damit eine der wenigen interessanten Anekdoten dieser Burrito-Inkarnation erzählt. Schlimmer ist, dass die Band ohne schlechtes Gewissen John Prines genialisches Quiet Man heranzieht und in ein mit karibischen Einflüssen angereichertes Reggae-Korsett quetscht. So unkaputtbar der Song des zurecht verehrten Troubadours auch sein mag ("You got news for me / I got nothing for you / Don't pin your blues on me / Just go ahead and do whatever you wish to"), so sehr reizen Parsons und Co. diese natürlichen Konventionen aus. Und dann ist da ja noch diese völlig unnötig breitbeinige Rock-Interpretation des Guilbeau-Stücks Big Bayou, das er mit seiner alten Band Swampwater einst so herrlich fließend angestimmt hatte und hier immer wieder von ungestümen Gitarren aus dem beschwingten Konzept gebracht wird.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist, dass sich auf Airborne keine vereinzelten Tracks wie auf Flying Again finden, die man ohne Weiteres als Perlen des Spätwerks herauspicken könnte. Gelegentlich spielt die Band zwar stark auf, wie etwa am schwächelnden Toe Tappin' Music, das sich trotz ordentlicher Performanz im gemütlichen Geschunkel verliert. Die Stärken der LP liegen aber klar im balladesken Sektor. Dort finden sich mit Waiting For Love To Begin, Northbound Bus, Walk On The Water und Border Town tatsächlich die wenigen Highlights, die mit ihren gefühlvollen Darbietungen und einem vitalen Zusammenspiel der ehemaligen Country-Vorreiter, allen voran Battins präsentem Piano und wie immer Kleinows unantastbarer Pedal Steel. Zum Problem wird es dann aber spätestens auch, wenn selbst die besseren Stücke klingen wie von einer technisch versierten Eagles-Tribute-Band, die schwächeren wie von einer beherzten Honky Tonk-Hausband.
Man könnte auch einfach sagen, dass die anwesenden Herrschaften zumindest Spaß an ihrer Arbeit haben, damit würde man es sich aber zu einfach machen. Fakt ist, dass hier einige der vielversprechendsten Namen zu hören sind, die Country Music damals zu bieten hatte und die hier auch immer wieder ihr Potenzial aufblitzen lassen. Fakt ist aber auch, dass Airborne trotz erfreulicher Meriten insgesamt viel zu belanglos ist, um die Burrito-Geschichte um ein bedeutungsvolles Kapitel erweitern zu können. Phasenweise zu abgeklärt, an anderer Stelle wieder zu mutig und als Ganzes wohl viel zu schnell und einfach eingespielt, um das kurze Momentum (welches eigentlich? Ach ja, #138 und damit beste Albumplatzierung für Flying Again) auszukosten. Hier hätte es sich vielleicht doch gelohnt, stattdessen den alten und besseren Zeiten nachzuweinen.