The Everly Brothers - Roots

 

Roots

 

The Everly Brothers

Veröffentlichungsdatum: ??.11.1968

 

Rating: 8 / 10

von Mathias Haden, 15.11.2014


Die Rückbesinnung auf die Vorzüge der Familie wird für die ungleichen Brüder zu einem letzten Aufbäumen.

 

Die Wege des Herrn sind bekanntlich unergründlich. Ob zu Wasser oder zu Land, keinem seiner Züge lässt sich Vorhersehbarkeit unterstellen. Und da Gott ja, wie man weiß, die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, tut sich jenseits des Atlantiks seit jeher immer einiges. Im Westen nichts Neues? Pustekuchen! Allein über die Strömungen in den Sixties ließen sich unzählige Bände füllen, aber das ist ja alles hinreichend bekannt. Genau so wie über die einbrechende Country-Rock-Welle im Jahr 1968, auf der neben Gram Parsons und seinen Bands noch einige andere Künstler ritten, darunter Bob Dylan und auch die Everly Brothers. Letztere kennt man ja eher für ihre Beiträge zu Pop und Rock & Roll, im Sommer '68 herrschte aber amerikanische Einigkeit über die gemeinsame Marschroute.

Als eine der ersten waschechten Country-Rock LPs steht Roots heute aber nicht nur für ein, wie ich meine, ausgezeichnetes Album, sondern auch für den Anfang vom Ende für die Everly Brothers. In kommerzieller Hinsicht war man ja schon seit längerem angezählt, aber langsam begann die für die Musik des Duos ja so wichtige Einigkeit zu bröckeln, bald war man auf getrennten Pfaden unterwegs. Die sechzehnte Studio-LP - früher ging so etwas ja noch - wurde allerdings noch einmal zum letzten Aufbäumen zweier talentierter, aber unterschiedlicher Brüder.

 

Dabei steht hier eine amerikanische Tugend stark im Fokus: ehre die Familie. Von der ersten Minute weg herrscht eine vertraute, familiäre Stimmung, mit Ausschnitten aus der 1952 erschienen Radiosendung 'The Everly Family' wird dieses Element nur weiter verstärkt. Auf diesen gibt Papa Everly nicht nur Einblicke ins Leben der Sippe, sondern auch in das musikalische Verständnis vom 15-jährigen Don und seinem um zwei Jahre jüngeren Bruder 'baby boy' Phil, mit denen er schon mal ein gospelinfiziertes Country-Liedchen anstimmt und einleitend erklärt: 'family style, also country style'.

 

Wie praktisch immer vertonen diese beiden hier hauptsächlich Fremdkompositionen. Einzig I Wonder If I Care As Much entstammt der eigenen - Don's, um genau zu sein - Feder, wurde schon zehn Jahre zuvor am Debüt des Duos verwendet. Hier bekommt diese berührend emotionale Nummer aber eine überraschend psychedelische Note, funktioniert trotzdem fast besser als die ursprüngliche Version. So treiben sich Don und Phil gegenseitig zu Höchstleistungen und verkünden eingangs:

 

"Last night I cried myself to sleep

For the one that makes me weep

I dried my eyes to greet the day,

And wondered why I had to pay"

 

Auf Albumlänge konnten die Brothers wie viele andere aus jener Zeit nicht immer überzeugen, auf Roots ist allerdings das Gegenteil der Fall. Alle seiner dreizehn Stücke fügen sich perfekt in- und aneinander, ergänzen sich in ihrer nostalgischen und sentimentalen Thematik und bilden zusammen etwas, das fast schon als heimeliges Konzeptalbum durchgehen könnte. Das von Randy Newman verfasste Illinois, eine herrlich beschwingte Pianonummer mit herzhaften Harmonien, ist wohl der zeitgenössischste Beitrag, fällt in dieser Interpretation aber überhaupt nicht aus dem Rahmen. Die beiden Merle Haggard Gefängnisnummern Mama Tried und Sing Me Back Home überzeugen ebenfalls auf höchstem Niveau. Während erstgenannter als flotter Country-Rocker mit jangligen Gitarren schon fast in Richtung Byrds geht, ist letztgenannter eine mit unglaublichem Gefühl vorgetragene Ballade, mit spärlichem, fast düsterem Arrangement und tollem Aufbau gesegnet, die selbst Gram Parsons nicht besser hinbekommen hat. Der letzte, fundamentale Höhepunkt ist das zärtlich anmutende Ventura Boulevard, einer Huldigung an den gleichnamigen kalifornischen Boulevard. Auch hier steht das Arrangement, mit seinen unaufdringlich zarten Streichern, der Performance der Brüder in nichts nach.

 

Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn man auf einem Album keine besondere Schwachstelle ausmachen kann. Die anderen Tracks sind zwar zumindest eine Klasse schwächer als die hervorgehobenen, tragen aber allesamt zum erfreulichen Hörvergnügen bei. Lediglich Turn Around bleibt trotz hübschem Arrangement recht blass, ansonsten gibt es wirklich nicht viel zu beklagen. Ob näher am Rock wie in T For Texas oder näher an Country wie auf Glen Campbells Less Of Me, die charakteristischen Harmonien halten jede Nummer über Wasser während sich die Begleitmusiker in Topform befinden und ihr Übriges tun.

 

Mit Roots ziehen die Everly Brothers nach über zehn Jahren und einigen Fehlschlägen in künstlerischer sowie kommerzieller Hinsicht noch mal ein ganz heißes Eisen aus dem Ofen. Auf einem erfrischend konstant starken Album, das in jeder Sequenz nach Nostalgie und wärmender Familienidylle duftet, liefern Don und Phil überdies noch einen essentiellen Beitrag zur amerikanischen Country-Rock-Bewegung, außerdem ihre letzte große LP. Fans der früheren Alben dürften hiermit womöglich ihre Probleme haben, Freunde von gepflegtem, aber niemals glattgebügeltem Country mit Mut zur Experimentierfreudigkeit werden hier aber definitiv auf ihre Kosten kommen. Mein Tipp: Unbedingt zuschlagen!

 


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