von Mathias Haden, 10.04.2016
Selbst die dunkelste Stunde der Morrison-Ära gibt sich zu guter Letzt versöhnlich.
Das berühmt berüchtigte schwarze Schaf. Es lauert doch in jeder Familie. Der faule Bruder, der in jungen Jahren auf die schiefe Bahn gerät, der immerzu besoffene Vater, der seinen Frust in nonverbaler Form an seinen Sprösslingen auslässt oder natürlich das gemeine Werk eines Künstlers, das im eigenen Kanon wie ein gelber, nach Ausdrücken lechzender Pickel hervorsticht. Was bei Dylan weniger sein zu Unrecht verrissenes Self Portrait, denn sein selbstbetiteltes Dylan-Album von 1973 darstellt, findet sich erfahrungsgemäß auch bei anderen Größen des Geschäfts und nicht lediglich als schwaches Alterswerk. Man denke dabei nur an Monster von R.E.M., das als Nachfolger von Automatic For The People zumindest auf mich verstörend schlecht klingt oder Cut The Crap von The Clash, das eine exzellente Karriere im Handumdrehen endgültig zum Implodieren brachte.
Bei den Doors hält es sich freilich ein wenig anders, zumal man hier mit zweierlei Maß
messen muss, die zweieinhalb Alben nach Jim Morrisons Tod auch gerne unter den Tisch gekehrt werden dürfen. Bleiben demnach noch sechs Stück übrig, aus deren unerbittlichen Schaukämpfen letztlich
doch deutlich The Soft Parade als erster Verlierer hervorgeht. Da passt es auch ganz gut ins Bild, dass die Zusammenstellung der vierten LP der
Amerikaner den einen oder anderen metaphorischen Vergleich nahelegt - Produzent Paul A. Rothchild dazu: "Jim was not really interested after about the third album. It became very difficult to get him involved in the records.
When we made The Soft Parade, it was like pulling teeth to get Jim into it" - die
neun Monate, die für die Fertigstellung der LP nötig waren, bestätigen seine Geschichte...
Dieses Desinteresse hört man Morrison beim Vertonen der neun Tracks höchstens auf erfreulich niedrigem Level an, zumal er zu dieser Zeit als Sinnbild des depressiven Rockstars auch mächtig mit
Alkohol und Drogen seine liebe Not hatte, zudem die Kollegen gehörig nervte. Kraftvoll nölt er sich in gewohnter Manier durch das mal mehr, mal weniger zweckgemäße Klanggemenge, zelebriert den
Rock 'n' Roll zwischen aufgemöbelten Arrangements, obligatorischen Blues-Anleihen und lässt keine Zweifel darüber aufgekommen, wer denn der abgefahrenste Typ Los Angeles' ist.
Den Songs hört man den mühevollen, Nerven raubenden Herstellungsprozess leider deutlich mehr an. Zwar ist Ray Manzareks Orgelspiel erneut präzise und seine sonstigen Beiträge wie immer vielversprechend, doch lassen selbst leicht skurrile Experimente mit Bläsern und Streichern den Grundton der teils banalen Kompositionen durchschimmern. Do It etwa steigt mit "Ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha / Yeah / Please me, yeah / Please, baby / Please, please" direkt ins Geschehen ein, hat danach bis auf einen lässigen Groove aber nichts Produktives mehr vorzuweisen. Noch schwungvoller ist Easy Ride samt munterer Orgeleinlagen. Auch mischt sich gegen Ende ein smoother Bass in dem überraschenden Lockerheitsbekenntnis ein, doch kommt die Nummer bis zum Ende irgendwie nicht auf den Punkt, dudelt stattdessen frei jeglicher Sorgen um den heißen Brei der Bedeutsamkeit. Für Doors-Liebhaber der ersten Stunde, die schon zu Zeiten des Debüts offensichtliche Qualitätsschwankungen in Kauf nehmen mussten, freilich enttäuschend, weiß The Soft Parade auch in weiterer Folge nicht mit Obskuritäten zu geizen. Schon bei Opener Tell All The People, der immerhin in harmonischerer Gesellschaft als die beiden genannten Nummern verkehrt, stellt sich mit seinen opulenten Streicher- und Blechbläserarrangements ein unbehagliches Gefühl ein, das auch die Unmittelbarkeit des hymnenhaften Refrains nur bedingt verdrängen kann und auch die Härteeinlagen von Wild Child lösen sich nicht in heimeligem Wohlgefallen auf.
Dennoch sind die positiven Aspekte knapp in der Überzahl. Was sich auf Lead-Single Touch Me mit coolem Sax-Solo und dem auf positive Art eindringlichen, jazzigen Shaman's Blues, das dem coolsten Rhythmus folgend, über Umwege den Weg ins Hirn findet und die Dopaminausschüttung bestärkt, andeutet, findet gegen Ende noch seine stärksten Tracks. Zuerst die schrullige, aber lohnende Bemühung, den Doors'schen Sound mit Bluegrass und Soul zu vermählen, die Otis Redding-Hommage Runnin' Blue. Wie Gitarrist Robby Krieger da im Refrain den Hillbilly mimt und der ansonsten ziemlich witzlosen Platte ein wenig Humor verleiht, das hat verdammt noch mal was. Und weil der epische Titeltrack mit seinen neun von Ideen strotzenden Minuten auch noch etliche Kohlen aus dem Feuer holt, darüber hinaus Morrisons beste Performance ("You cannot petition the Lord with prayer!") bietet, darf sich auch der schwächste Longplayer der Morrison-Ära am Ende des Tages noch über einen versöhnlichen Abschluss freuen.
Es gibt bestimmt viele Vorwürfe, die sich The Soft Parade im Laufe der Jahre gefallen lassen musste. Auch wenn ich sie nicht kenne, würde ich vorsichtig mal auf "überproduziert", "überambitioniert" und irgendwas in Richtung "inkohärent" tippen. Ließe sich alles nicht von der Hand weisen und irgendwie hält sich auch die Lust, dem vierten Album einen Durchlauf zu gönnen, die meiste Zeit in Grenzen. So kann man sich durchaus in der einleitenden Annahme bestätigt fühlen, hier das schwarze Schaf der Morrison-Familie in seinen Fängen zu wissen - auch wenn das bei den Doors gleichwohl keinem Beinbruch gleichkommt.