von Mathias Haden, 26.11.2013
Von Piraten und roten Knöcheln - Portlands feinste Indie-Folker knüpfen nahtlos ans Debüt an.
Hoppla, da meldet sich eine Band nur ein Jahr nach ihrem ersten Album eindrucksvoll zurück. Die paar hundert Menschen, die zu jener Zeit davon Wind bekommen haben, durften sich freuen. Viel ist nicht passiert, seit dem ersten Lebenszeichen der Gruppe: Von einem kleinen Label ging es zum nächsten und auch die Marschroute war noch dieselbe wie zuvor.
Liebliche Instrumentationen in Kombination mit ihrer größten Waffe: Colin Meloy bzw. dessen Songwriting. Anfang der Noughties traten viele Bands auf den Plan, nur um sich nach einem erfolgreichen Album wieder aus dem Rampenlicht zu verabschieden. Weder die Futureheads, noch Clap Your Hands Say Yeah konnten je wieder an das Niveau ihres Debüts herankommen. Ganz im Gegensatz zu Portlands feinster Indie-Folk Band.
Spannende Fantasiegeschichten beglücken die Leute seit jeher rund um den Globus, so auch bei den Decemberists. Nachdem am Debüt wilde Erzählungen über Vergewaltigung und Prostitution, sowie verträumte Schilderungen am Programm waren, so sind es diesmal gruslige Epen über... Füße? Tatsächlich erzählt Meloy in Red Right Ankle die Geschichte über einen Knöchel. Womöglich versteckt sich hinter der einzigartigen Idee eine kleine Liebesgeschichte, schwer zu sagen. Ein Unikat bleibt er unter den elf abwechslungsreichen Tracks aber dennoch.
Unter denen findet sich mit dem ansatzweise progressiven Opener Shanty For The Arethusa auch eine richtige Piratengeschichte. Bei dieser fühlt man sich aufgrund der authentischen Geräuschkulisse, als wäre man selbst an Bord: "We set to sail on a packet full of spice, rum, and tea-leaves". Und dank der düsteren Atmosphäre würde sie auch perfekt auf den ersten Longplayer passen.
Mit diesem ersten Track verabschiedet sich die Gruppe, die auf ihren ersten zwei LPs eher wie eine Mischung aus Gauklergruppe und Kapelle als eine Band wirkt, ein wenig vom Sound des Debüts. Dieses Statement unterstreicht auch die Veröffentlichung des poppigeren Billy Liar als allererste Single. Mit ihrem flotteren Tempo und der lockeren Klavierbegleitung würde die sich in jedem Pub gut machen.
In dieselbe Kerbe der zugänglicheren Popmusik schlägt auch Song For Myla Goldberg, der Huldigung für die gleichnamige Autorin. Zumindest was die Musik angeht, die lyrische Annäherung an ein Werk der besungenen Künstlerin ist nicht gerade radiotauglich.
Die Decemberists wären nicht die Decemberists, würden sie sich nicht zumindest an einem hochambitionierten Stück versuchen, das sich als Ganzes eigentlich auch in ein Theaterstück transformieren ließe. War es auf Castaways & Cutouts noch California One/Youth And Beauty Brigade, ist es hier das noch mehr durchdachte I Was Meant For The Stage. Bei diesem Song visualisiert Meloys Gesang richtig, man kann ihn förmlich auf der Bühne stehen sehen. Mit einem garstigen Mix aus Selbsttäuschung und Verzweiflung trägt er vor:
"The heavens at my birth
Intended me for stardom
Rays of light shone down on me
And all my sins were pardoned"
Und irgendwie entwickelt man doch Mitleid mit der armen Seele: "And as I take my final bow / Was there ever any doubt?"
Wie man sieht, sitzt einiges am rechten Fleck. Sowohl textlich, als musikalisch. Noch vielseitiger als am Erstwerk platzieren Meloy und Co. diesmal wieder klassische Instrumente wie Cello und Akkordeon, sowie Glockenspiel und Hornsektionen über die Tracks verstreut. Was das Album aber zu so einem schönen Gesamtwerk macht, ist diese unglaubliche Konstanz, die heutzutage so rar zu finden ist. Ob man nun mit Genuss der homoerotischen Militärdarstellung von The Soldiering Life lauscht, oder sich an der verträumten, mit String Quartett untermalten Anti-Ode für die amerikanische Stadt, Los Angeles, I'm Yours ergötzt, nie kommt das Gefühl auf, man sollte den nächsten Track skippen.
Großartig etwa der Wechsel vom turbulenten Ende mit bombastischer Instrumentierung des siebenminütigen I Was Meant For The Stage zum zurückgelehnten, einfach instrumentierten, countryesken Closer As I Rise, dem kürzesten Track des Albums. Das hat alles Hand und Fuß, was diese Folkies zusammenschustern. Und so stellt sich abschließend im Prinzip nur eine Frage: Ist das hier gehörte denn nun souveräner als das Debüt?
Ja, denn zusammenfassend ist Her Majesty The Decemberists nämlich ein wunderbar konstantes Album. Was der Band am Debüt noch an Erfahrung und spielerischer Finesse gefehlt hat, findet sich hier. Die Harmonie zwischen den ausgetüftelten Epen wie Shanty For The Arethusa oder The Gymnast High Above The Ground und den lockeren Liedchen wie As I Rise stimmt hier noch besser als ein Jahr zuvor, dafür bleibt diesem Werk aber der Einstiegsbonus verwehrt.
Ein Jahr ist vergangen und die Band hat sich hervorragend weiterentwickelt. In einer Zeit, in der die längst vergessenen Post-Punk- und Garage-Rock-Genres ihr Revival erlebten, schwimmen die 'Dezemberisten' mit ihrem unverwechselbarem Klang gegen den Strom und lassen sich nicht von ihrer Vision abbringen. Bis heute nicht, obwohl ihr bislang letztes Album, das vom British-Folk-Revival gekennzeichnete, The King Is Dead die Spitze der US-Charts erklimmen konnte. Und was gibt es denn an einer Gruppe zu bemängeln, die einem eine Geschichte über einen roten Knöchel als berührende Ballade aufschwatzen kann?