Drei richtungslose Jungs, die endlich etwas Großem auf der Spur sind.
Ein Eklektiker aber ist ein jeder, der aus dem, was ihn umgibt, aus dem, was sich um ihn ereignet, sich dasjenige aneignet, was seiner Natur gemäß ist.
Das hat Johann Wolfgang von Goethe einst geschrieben. Und mir damit eine neue Perspektive auf das verschafft, was
in der modernen Gesellschaft gerne mit einer subversiv negativen Bedeutung vermittelt wird: den Eklektizismus. Nur wer nach Veränderung strebt, dabei aber seine proportionale Mitte nicht aus den
Augen verliert und flexibel an seine den äußerlichen Umständen unterliegenden Lebensrealität anzupassen vermag, der wird im ewigwährenden Kampf um Glückseligkeit eine reelle Chance vorfinden.
Oder einfach das Hirn abschalten und das einfache Leben in vollen Zügen genießen, sofern man sich dann überhaupt eine Vorstellung davon machen kann, was Genuss überhaupt bedeutet. Man sieht, es
ist nicht so einfach mit einer eklektischen Weltanschauung.
Robert Smith zählt sicher nicht zu jenen Künstlern, die durch selbige und eine unersättliche Neugier nach neuen Sounds zu Legenden avancierten, doch war seine Entscheidung, seine Band The Cure
von der Sackgasse selbstzerstörerischer Goth-Tragödien in Richtung melancholischer Pop-Elegie zu führen, eine goldrichtige. Das fünfte Studioalbum der Briten dokumentiert diese
Übergangsphase.
The Top führt seine Sounds nämlich genau dort zusammen, wo sich die absorbierende Hoffnungslosigkeit der letzten und der beschwingte Melodienreichtum der folgenden Jahre treffen. Dazu gesellen sich hier auch noch ein Faible für Romantik, der auf den kommenden Alben ebenfalls eine tragende Rolle spielen sollte und ein Anflug von Psychedelia, der, nunja, von wenigen Ausnahmen abgesehen praktisch ein einmaliger Ausflug blieb. Bestens veranschaulicht wird all das von der Lead-Single The Caterpillar, die sich zwischen kratzenden Streichern, galoppierenden Drums und einer hübschen Mischung aus Keyboards und Percussions einer der einnehmendsten Melodien hingibt, die der Sänger und Songwriter (hier zusammen mit Lol Tulhurst) je geschrieben hat. Dass der Text bisweilen bizarr anmutet und gelegentlich in wortlose Refrains mündet, ist hier tatsächlich nur Nebensache:
"Oh, I dust my lemon lies
With powder pink and sweet
The day I stop is the day you change
And fly away from me"
Man sollte vielleicht auch erwähnen, dass Smith nach dem zwei Jahre zuvor erschienen Pornography und einigen Querelen mit Simon Gallup seinen Bassisten verlor und mit Andy Anderson einen neuen Drummer engagierte. Nur eine Notiz am Rande, im sich permanent drehenden Personalkarussell der englischen Band. Gallups lässige Bass-Lines fehlen hier zwar, dafür lässt Smith himself als Ersatzmann aber nicht viel anbrennen. Was auch daran liegt, dass dem Bass hier ohnehin relativ wenig Raum zugestanden wird. Immer dabei, aber selten im Vordergrund. Die besten Momente der LP findet man aber ohnehin da, wo andere Instrumente dominieren. Wie Keyboards und Drums, die das hypnotische Wailing Wall zum beklemmenden Ritt durch atmosphärisch drückende Soundschwaden machen. Die ruhigeren Tracks scheinen hier generell zu funktionieren, wie das sanfte, mit zurückgelehnten Panflötentönen angereicherte Dressing Up, das sich zum hochmelodiös melancholischen Schlaflied mausert.
Auf der anderen Seite finden sich einige Versuche, die härtere Seite der Vergangenheit in den Albumkontext einzuweben. So atmet etwa das hyperventilierende Give Me It die frühen Punk-Einflüsse, rauscht aber wie ein ungezähmter, von psychedelischen Einflüssen und einem Red Bull beflügelter Taifun an einem vorbei, ohne bleibende Eindrücke zu hinterlassen. Wie im Übrigen auch das wirre, Bananafishbones betitelte Machwerk kurz vor Schluss. Cool an diesem polternden Krakeel ist seine irgendwie verdammt hoch gestimmte Orgel, aber selbst die erschöpft sich nach kürzester Zeit. So wie die leichten Metal-Anleihen im Opener Shake Dog Shake, bei dem zur Abwechslung mal die Gitarren die Oberhand behalten und auch der Bass hervorragend zur Geltung kommt. Leider ist die Nummer so berechenbar wie der Ski-Weltcup der Herren und das anfangs interessant einlaufende Geschrammel auf fünf Minuten gestreckt eine höchst ermüdende Angelegenheit. Wobei auch in dieser Disziplin mehr drin ist, wie das schwungvolle, ebenfalls von einer guten Rhythmusabteilung vorangetriebene Bird Mad Girl beweist. Die simple, aber tanzbar eindringliche Bass-Line reicht eigentlich schon, um den Track praktisch unverzichtbar zu machen - gemeinsam mit seinen sprudelnden Keyboard-Klängen ist das aber insgesamt ganz großes Kino.
Ändert wie so oft aber nichts daran, dass The Top, das fünfte Album von The Cure und laut ihrem Frontmann das einzige Soloalbum, das er nie gemacht hat, eine sehr zerfahrene Angelegenheit ist. Man hört der Scheibe ihre schwierige Entstehungsgeschichte und das angespannte Verhältnis der Mitglieder an. Die härteren Stücke, die die vorangegangenen LPs ausgemacht hatten, sind hier interessanterweise im Vergleich zu den ruhigeren, melodischen Vorausblicken auf die kommenden Jahre die schwächeren. Seinen schlechten Ruf hat das Album allerdings genauso wenig verdient, wie der Titeltrack seinen guten, vor allem wenn man bedenkt, wie wichtig The Top sich letztlich auf die Entwicklung der Band auswirken sollte. Auch wenn Robert Smith nie als großer Eklektiker in die Geschichte eingehen wird, bleibt seine Entscheidung, seine Band zum einflussreichsten Goth-Pop-Ensemble umzumodeln, eine der besten, die in den 80ern getroffen wurden.