The Cure - Seventeen Seconds

 

Seventeen Seconds

 

The Cure

Veröffentlichungsdatum: 22.04.1980

 

Rating: 7 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 16.02.2019


Erste Schritte in Richtung musikalischer Landschaftsmalerei der düsteren und überzeugenden Art.

 

In Anbetracht dessen, dass die personelle Volatilität von The Cure nur mit der weniger anderer Bands zu vergleichen ist, ist es auch wenig überraschend, dass die Geschichte der Band ein stilistisches und qualitatives Hin und Her ist. Auf trockenen Post-Punk treffen ambitionierte Synth-Goth-Epen, lockerer Synth Pop mit Hang zur Romantik, dann doch wieder psychedelische Anwandlungen, ein bisschen vom Dream Pop durchzogener Alt Rock und dann rollt man alles von neuem auf. Trotzdem ist Robert Smith eigentlich DIE Figur des Goth Rock, was sicherlich damit zu tun hat, dass er die meiste Zeit seiner Karriere mit einem Look zugebracht hat, der depressive Einsamkeit, die unmittelbare Möglichkeit einer Séance und einen Hauch von Joker-esquem Wahnsinn kombiniert, aber wohl genauso daran, dass die wichtigsten Alben der Band im Goth Rock wurzeln. Insofern ist das Debüt ein zwar schon reviewtes, aber vernachlässigbares Werk, denn erst mit "Seventeen Seconds" beginnen The Cure zu The Cure zu werden.

 

Und das bedeutet, dass melodisches Musizieren, vielleicht gar mit eingängigen Refrains oder erinnerungsfördernden Riffs eher der Vergangenheit angehört. Zugegebenermaßen ist die zweite LP der Briten noch relativ gitarrenlastig im Vergleich zu manch späterem Auftritt und man hört noch die Post-Punk-Produktion heraus, die einer ummantelnden Atmosphäre nicht wirklich förderlich ist. Aber in Matthieu Hartley hat die Band einen eigenen Keyboarder gefunden, der im Hintergrund mit langgezogenen, drückenden Noten die Stimmung maßgeblich prägt. Genauso ist Simon Gallup, Smiths kongenialer Partner am Bass, auf der Bildfläche erschienen und hat einiges zur Förderung des musikalischen Minimalismus beigetragen, der Smith vorgeschwebt hat. Das Ergebnis ist schon einmal eine Single, die zu den überzeugendsten der Band gehört. A Forest genießt auch entsprechend langlebige Popularität, wahrscheinlich weil es wie kein zweiter Song hier auf großartige Art das durchaus hohe Tempo, das die Rhythm Section in post-punkiger Manier vorgibt, mit einer beunruhigenden, düsteren Aura verbindet, in der Smiths nachhallendes Flehen einen Vorgeschmack auf seine denkwürdigsten Performances gibt. Es ist ein Meilenstein für The Cure, atmosphärisch vereinnahmend und gleichzeitig unumwunden dynamisch, gesegnet mit einem trockenen Drum- und Gitarrensound, der nichts als ein karges, knochiges Setting zulässt, in dem auch die sparsamen Zeilen ihre volle Wirkung entfalten:

 

"Into the trees
Suddenly I stop
But I know it's too late
I'm lost in a forest


All alone
The girl was never there
It's always the same
I'm running towards nothing"

 

Zu diesen großartigen Minuten gesellen sich allerdings kaum andere ähnlicher Qualität. Play For Today schafft das noch am ehesten, womöglich weil es schon anklingt, als wäre es Joy Division zwischen deren beiden Alben passiert und entsprechend die Essenz des Goth Rock einfängt, ohne auf Tempo und Riffs komplett zu verzichten. Einschränkend muss man sagen, dass Smiths effektiv weinerlicher Gesang nicht ideal ist, um den Song bestmöglich zu vollenden, wirklich störend ist das allerdings nicht.

 

Eher schon ist es lästig, dass man sich rundum mit Tracks begnügen muss, die einen latent unfertigen und rudimentären Eindruck machen. Nun mag der Wunsch nach atmosphärischer musikalischer Auskleidung groß gewesen sein und die Umsetzung dessen ist auch in überzeugendem Maße gelungen. Die länglichen Instrumentalpassagen, mehr noch die reinen Instrumentals wie das einleitende A Reflection oder die chaotischen Klavierwirrungen von The Last Sound rechtfertigt das allerdings nur bedingt. Letztlich sind das Ideenfetzen, die aus budgetären Gründen, sicherlich aber auch wegen einem gewissen Mangel an Einfällen für eine komplettere Umsetzung eher Bruchstückcharakter haben. Daraus folgt allerdings auch, dass das entstehende Stimmungsbild mitunter ausdrucksstark ist, mitunter allerdings Ausfälle verkraften muss, allein wegen dem rauen, finessenarmen Charakter der Tracklist. Deswegen erscheint einem At Night als ordentlicher Song mit drückendem Riff, allerdings wiederum wie ein Song, der auch als Schwachstelle auf "Unknown Pleasures" hätte enden können. Natürlich ist der Vergleich mit Joy Division ein harter, weil damit die Erwartungen ins Astronomische steigen. Smith und seine Bandkollegen daran zu messen, wäre unfair. Doch man muss ihn am offensichtlichen Ziel einer ausdrucksstarken und emotional bedrückenden LP messen. Und da ist das Urteil eben wegen solcher nur teilweise erfolgreicher Tracks wie At Night oder auch dem musikalisch lahmenden In Your House ein gespaltenes.

 

Dass das, was mit "Pornography" wenig später eine äußerst beklemmende Vollendung finden sollte, hier noch nicht voll ausgeformt ist, lässt sich auch daran ganz gut erkennen, dass man trotz deutlichem Trend in Richtung emotiver Klanglandschaften in den geradlinigen, rockigeren Minuten eher überzeugt. Entsprechend ist M mit der dynamischeren Gitarrenarbeit genauso ein starker Moment wie der finale Titeltrack, der sich zwar allein schon des Tempos wegen eher einer niedergeschlagenen Depressivität hingibt, gleichzeitig aber immer noch wie der Song klingt, der dem Debüt am nächsten ist.

Wobei gerade die Erwähnung von "Three Imaginary Boys" auch danach verlangt, die allzu offensichtlichen Verbesserungen hervorzuheben, die innerhalb eines knappen Jahres gemacht wurden. Zeitliche und finanzielle Beschränkungen haben zwar dafür gesorgt, dass Smiths Vision definitiv nicht in ihrer finalen Form umgesetzt werden konnte, Songs wie A Forest oder auch Secrets belegen aber, dass die Band mit dem neuen Line-Up dazu in der Lage ist, ein facettenreicheres musikalisches Ganzes zu kreieren.

 

Vielleicht ist allerdings der große Entwicklungschritt weniger bei den Kleinigkeiten, sondern auf der Makroebene zu suchen. Der stilistische Wandel, der mit "Seventeen Seconds" eingeläutet wurde, hat zwar die Nähe zum Post-Punk nur bedingt angetastet, gleichzeitig hat sich die Band aber erfolgreich der Aufgabe gestellt, ein atmosphärisches zusammenhängendes, dichtes Album zu schaffen. Dieser Leistung ist es zu verdanken, dass The Cure nicht mehr klingen wie eine x-beliebige Band, sondern wie eine mit klarem eigenem Stil. Es krankt vor allem dort, wo die Limitierungen der damaligen Umstände die größtmögliche Sorgfalt und kreative Freiheit eingeschränkt haben und wo Robert Smiths zunehmend flehende Stimme auf einen Sound trifft, der nicht ideal auf ihn abgestimmt ist. Das sollte sich ändern, die zweite LP der Band - übrigens die einzige, an der Matthieu Hartley irgendwie mitgewirkt hat - ist aber der Anfang dessen, was The Cure zu einer legendären Rockband machen sollte. Das macht das Anhören des Albums nicht besser, aber ein bisschen Ehrerbietung gehört sich da trotzdem.

 

Anspiel-Tipps:

- Play For Today

- A Forest

- M


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