Vollendung einer musikalischen Bestimmung, die Erste.
Das ereignisreiche und von künstlerischen wie personellen Widersprüchen geprägte Dasein von The Cure bietet verdammt viele Gelegenheiten, von prägenden oder herausstechenden Momenten zu sprechen. Und man kann sich da ganz nach Gusto entscheiden, ob man nun eher die der Depression zugewandte Goth-Seite der Band in den Fokus nimmt oder doch die des schillernden, farbenfrohen New-Wave-Pop. Je nachdem landet man dann entweder bei The Hanging Garden und The Same Deep Water As You oder bei Why Can't I Be You und Friday I'm In Love. Weil aber letzteres weniger außergewöhnlich erscheint und weit eher dem Archetypus des klassischen 80er-Chart-Hits entspricht, auch wenn Friday I'm In Love dafür eigentlich zu spät kam, sieht man die musikalische Mission der Band naturgemäß doch woanders. Dort, wo sie wirklich prägenden Einfluss und einen Vorreiterstatus hatte. Hauptsächlich waren sie da dann mitunter todessehnsüchtiger, jedenfalls hoffnungsarmer und hemmungslos romantisierender Düsternis verpflichtet. Während Robert Smith dafür oft genug die nebst aller sphärischen, mäandernden Soundteppiche vor allem von Theatralik geprägte Trilogie der Depression - "Pornography", "Disintegration" und "Bloodflowers" - bemüht, ist der erste Meilenstein auf dieser Ebene eigentlich ein anderer, beinahe etwas verkannter, der viel dessen begründete, wofür der Bandname heute steht.
In Form von "Faith" war es sodenn auch ein folgerichtiger Schritt einer bereits nach dem sehr post-punkigen Debüt begonnen Entwicklung, die nach nur einem Album Keyboarder Matthieu Hartley wieder vertrieben hatte und somit The Cure für ihre dritte LP wieder zum Trio machte. Das hat zwar nicht zur Folge, dass die mit dem Vorgänger "Seventeen Seconds" auf der Bildfläche erschienenen Keys verschwinden, es begünstigt aber die noch einmal verfestigte musikalische Reduktion. Das Album ist in dieser Hinsicht die erstmalige Verwirklichung dessen, wofür die Briten zukünftig auch und vor allem Ruhm erlangen sollten. Dementsprechend dominieren langatmige, ihrer Gleichförmigkeit ergebene Arrangements, die Simon Gallups Bass eine überwältigende Dominanz schenken, die lediglich noch von Smiths hier erstmals voll zur Geltung kommendem, flehend-winselndem, effektvoll nachhallendem Gesang überschattet wird. Der Rest ist Lol Tolhursts zwar zeitweise ganz schön aufs Gas steigendes, aber doch meist karges und der atmosphärischen Blutleere in die Hände spielendes Getrommel, das vereinzelt zur Geltung kommende Faible für langgestreckte Keyboard-Schwaden und spröde Gitarrenparts, die ideal zur unwirtlichen Szenerie beitragen. Was auf diese Art am Vorgänger nur angedeutet, zwar sicherlich nicht glitzernd, aber doch mit einem Fokus auf Verdaulichkeit und eine Balance aus Atmosphäre und klanglichem Schliff angedeutet wurde, begegnet einem damit hier in ungleich eindringlicherer Form.
Vom düster schwelenden Bass im eröffnenden The Holy Hour angefangen, ist man hier mit einer kargen, schwermütigen Manifestation der Depression konfrontiert. Für Robert Smith also ein zwar ultimativ nicht allzu gesundes Heimspiel, aber eben doch ein Heimspiel, das hier aufgrund des überschaubaren Line-Ups und der damit verbundenen klanglichen Reduktion auch isolierter als die berühmt-berüchtigte Trilogie und auf ganz eigene Art effektiv wirkt. Anders als "Disintegration" oder das so bewusst abweisende "Pornography" erweckt "Faith" nie den Eindruck einer geballten, leidenschaftlichen und theatralischen Emotionsentladung. Stattdessen spürt man in den sphärisch-ruhigen Minuten von The Holy Hour, The Drowning Man und Faith viel eher die unwirtliche Leb- und Freudlosigkeit zu spüren, die der Depression und der Verlorenheit innewohnt. Das gelingt auch so ausnehmend gut, weil Smith sich im Gegensatz zu späteren Jahren noch dazu im Stande sieht, seinen Gefühlen nicht in melodramatischster Manie Gehör zu verschaffen, sondern sie stattdessen wie im Titeltrack beinahe in einer verhältnismäßig tonlosen Lethargie untergehen zu lassen, die aber die Wirkung nur verstärkt. Auf dieser Ebene ist die dritte LP der Band einzigartig in ihrem Kanon, setzt darauf, ihre unwirtliche Atmosphäre nicht durch exzentrische, einander überlagernde Klänge und Soundeffekte zu verstärken, sondern gerade durch deren Absenz und die dadurch entstehende Schmucklosigkeit.
Dieser Tatsache ist es genauso geschuldet, dass gleichzeitig auch die an die Anfänge der Band erinnernden Up-Tempo-Momente wie Single Primary zu den überzeugendsten hier zählen. Da entlädt sich dann doch einmal emotional etwas, allerdings ähnlich karg und direkt im treibenden, pulsierenden Bass von Gallup, den knochentrockenen Drums und Smiths gepresster Stimme. Zum Höhepunkt wird das auch, weil das bei Primary auch gleich noch mit der einzigen dem Pop-Markt überdeutlich zugewandten Hook daherkommt und dementsprechend früh als musikalische Auflockerung einer ansonsten der Schwermut ergebenen LP dient. Dem gegenüber ist das ähnlich geschwinde Doubt mit seiner angespannt-druckvollen Art eher eine wuchtige Kanalisierung der Emotionen, die rundherum in melancholisch-depressiver Länge ausgebreitet werden. So oder so sind es wichtige Minuten, die als gelungene Kontraste zur dominierenden Stimmung des Albums wirken.
Gleichzeitig umrahmen sie auch die Schwächephase des Albums, die in Form von Other Voices, All Cats Are Grey und The Funeral Party zwar solides, aber in seiner Wirkung eingeschränktes Liedgut im Angebot hat. Weder die raumfüllenden Drums in All Cats Are Grey noch der dort zurückhaltende, in The Funeral Party dann aber den Song komplett vereinnahmende Synth-Teppich helfen sonderlich mit, etwas zu kreieren, das atmosphärisch an den Opener oder spätere Höhepunkte des Albums heranreicht. Stattdessen erscheint beides eher wie unausgegorene Prototypen dessen, was wenig später auf "Pornography" und Ende der 80er auf "Disintegration" in aufwändigerer, effektvollerer Form geboten werden sollte. Hier bringt es zwar eine ähnliche, dem Kitsch nicht verschlossene Melodramatik mit, scheitert aber deutlich daran, daraus eine emotionale Eindringlichkeit zu formen, wie es die besten Songs der beiden späteren Alben hinbekommen haben. Stattdessen wünscht man sich eher die karge, an Joy Division erinnernde Szenerie von The Drowning Man. In Maßen eingesetzt ist jedoch auch das Keyboard gern gehört, vor allem im Zusammenspiel mit den vielen Vorzügen des Albums. Daraus kann dann etwas werden wie Closer Charlotte Sometimes, das nicht vor sphärischem Keyboard-Einsatz zurückschreckt, diesen aber nicht zu dominant werden lässt, ihn mit klaustrophober Mehrstimmigkeit überlagert und ansonsten instrumentell eine gelungene Brücke zwischen den Extremen des Albums schlägt.
Ein solcher Schlusspunkt, der noch dazu auf positive Art spätere Großtaten vorwegnimmt, ist das verdiente Ende für "Faith", das für The Cure den endgültigen Schritt in Richtung Dark Wave markiert und dementsprechend auch zum ersten Mal das bietet, wofür die Briten bis heute am meisten bekannt sind und geschätzt werden. Zwar ist von späteren, durchaus exzentrischen, jedenfalls aber aufwändigen Soundspielereien und undurchdringlichen Klangwänden hier noch nichts zu spüren, in puncto atmosphärischer Dichte und emotionaler Eindringlichkeit steht die Band hier aber mitnichten am Anfang, sondern ist phasenweise bereits nahe dran an ihrer Vollendung. Und weil all das hier eben musikalisch noch zurückhaltender zum Ausdruck kommt, ist "Faith" in gewisser Weise sogar noch spürbarer seinen negativen Gefühlswelten verpflichtet. Es klingt eher in sich gekehrt als das im Jahr darauf folgende, aggressive Statement "Pornography" oder die drogenbegünstigte Theatralik von "Disintegration" und verkörpert somit einen depressiven Höhepunkt im Bandkanon. Das heißt generell etwas, im Falle einer Band wie The Cure aber noch einmal umso mehr.