von Kristoffer Leitgeb, 07.12.2018
Zu wenig Tempo und zu viele mäßige Hooks, schon ist da eine Lücke zwischen zwei Klassikern.
Es gibt so manchen kuriosen Sonderfall unter den Millionen Alben, die sich da draußen finden lassen. Die sündteuren zum Beispiel, die unfassbare Summen verschlungen haben. Die unveröffentlichten, die irgendwann einmal zusammengestellt wurden, nur um dann einem anderen Projekt geopfert zu werden, der Unsicherheit sei Dank. Ganz wenigen Alben haftet aber auch abseits des künstlerischen Aspekts etwas Einzigartiges an. Vielleicht ist der Paradefall dessen das berühmt-berüchtigte "Once Upon A Time In Shaolin" des Wu-Tang Clan, das genau ein einziges Mal auf CD gepresst und für eine Unmenge Geld an den primus inter pares soziopathischer Geschäftsleute, Martin Shkreli, verkauft wurde. Bei "Give 'Em Enough Rope" ist der Fall anders, weil wohl nicht einzigartig, gelagert. Allerdings kam der LP die selten Ehre zuteil, nicht zwischen zwei, sondern tatsächlich zwischen einem anderen Album der Band veröffentlicht zu werden. Während also das self-titled Album 1977 und 1979 auf unterschiedlichen Kontinenten für Furore gesorgt hat, war dem vermeintlichen Follow-Up der Platz dazwischen zugewiesen. Nicht unbedingt zu dessen Gunsten.
Umso weniger ist das der Fall, weil ja '79 dann nicht nur das Debüt auch die USA erobert hat, sondern dann noch dazu "London Calling" im gleichen Jahr eingeschlagen ist wie eine Bombe. Das zweite Album der Briten hat nichts dergleichen gemacht, auch wenn man mancherorts immer noch voll des Lobes war für das Gespann um Joe Strummer. Das hatte mit Topper Headon zwar endgültig ein vollwertiges Bandmitglied an den Drums, allerdings gleichzeitig wenig Lust darauf, die Erfolgsformel des ersten Longplayers zu reproduzieren. Wobei dann wieder doch, weil es eben keine musikalische Revolution gegeben hat. Die Weiterentwicklung spürt man zwar sofort, weil beinahe nichts hier ähnlich locker klingt wie auf dem Debüt, weil alles eine ordentliche Spur härter und ernster wirkt. Trotzdem ist Safe European Home der Opener, den man von den Briten erwartet. Das hat den Vorteil, dass das naturgemäß großartig ist und dementsprechend auch der erste Track relativ wenige Wünsche offen lässt. Zwar versteigt sich die Band zum Ende hin in einem länglichen Outro und wartet dort mit Reggae-Rhythmen auf, nach denen niemand gefragt hat. Doch es ist großartiger Song, der einem da entgegenrollt mit dem mächtigen Riff und Strummers charakteristisch charismatischem Gesang.
Jetzt ist "großartig" leider ein Prädikat, das einem für die übrigen Tracks nicht unbedingt einfallen würde. Dieses Umstands wird man sich allerdings in der zweiten Hälfte des Albums wirklich bewusst. Während nämlich zu Anfang alles seinen gewohnten Gang geht und die Band konstant stark auftritt, gute Hooks auspackt und sich dem klassischen Punk Rock genauso hingibt wie einem Hauch von Jazz und Blues Rock. Aber irgendwann mitten in Last Gang In Town geht dieses Momentum verloren und aus einer LP, die nahtlos an die beeindruckend konstante Qualität des Debüts anschließt, wird eine, die immer mehr mit durchschnittlichen, zähen Songs zu kämpfen hat. Cheapskates beispielsweise klingt zwar für ungefähr 20 Sekunden mächtig, allerdings da schon mehr nach den Foo Fighters als nach White Riot, dümpelt darüber hinaus die restliche Laufzeit eher unauffällig und beinahe undynamisch dahin. Ein ähnliches Schicksal erleidet das klanglich ziemlich im Rock der späten 60er verwurzelte All The Young Punks (New Boots And Contracts), dessen helle Riffs gemächlich dahintraben, während die Rhythm Section um Headon und Paul Simonon den Motor des Songs im Alleingang übernimmt. Das gelingt, bis der Song irgendwann an seiner geschliffenen, kaum druckvollen Gitarrenarbeit zerbricht und komplett an einem vorbeiläuft. Wenn sich dann selbst noch ein Song wie Stay Free, der in der ersten Reihe der Clash-Klassiker steht, eher durch Unauffälligkeit bemerkbar macht, weiß man, dass irgendwas nicht ganz stimmt.
Natürlich ist es nicht so, als wäre das zum Ende hin eine Ansammlung von Nutzlosigkeiten. Stattdessen hören sich die Songs durchaus passabel, aber eben definitiv nicht mehr, sieht man vom druckvolleren, mit starkem Saxophon-Part verstärkten Drug-Stabbing Time ab. Das ist im globalen Sinne kein Drama, unter dem Namen The Clash aber eine Enttäuschung. Die Gründe dafür sind sicher auch bei Produzent Sandy Pearlman zu suchen. Es ist schon einmal fraglich, warum jemand, dessen Karriere eng verwoben ist mit der von Blue Öyster Cult, ausgerechnet zu den britischen Punk Rockern passen sollte. Dass er dann angepackt und also Strummers ungelenken Gesang in den Hintergrund verbannt, noch dazu Mick Jones' Riffs geschliffen hat, kann ihm eigentlich kaum einer vorwerfen. Das ist es wohl, was Sandy Pearlman so macht. Sanfter kommt das Album deswegen ohnehin nicht unbedingt daher, wohl auch bedingt durch Pearlmans Metal-Background ist oft eher das Gegenteil der Fall.
Und dann ist es natürlich kein Leichtes, wirklich eindeutig zu klären, ob es nun dieser Sound ist, der die Drums so laut und Strummer so schwer verständlich gemacht hat, oder ob doch die Kompositionen selbst ein wirklich dynamisches Album schwieriger machen. Allerdings ist es die Band, die sich tempomäßig mitunter zurücknimmt und der so mancher schwierig hinzunehmende Chant wie die Hurrahs in English Civil War wichtiger zu sein scheint als die eindringliche Energie des Debüts.
An diesem Punkt, an dem der Rezension folgend wohl auch ein Rating irgendwo zwischen 4 und 5 möglich wäre, sei noch einmal auf die erste Hälfte der LP verwiesen. Die kann nämliches trotz allem einiges und startet mit einem Quartett an Songs, das die Stärken der Band wunderbar illustriert. Allen voran gilt das für den oben erwähnten Opener, aber auch für den musikalischen Ausreißer des Albums, Julie's Been Working For The Drug Squad. Das verzichtet zwar auf die mächtige Hook an der Gitarre, macht es sich aber stattdessen musikalisch bereits dort gemütlich, wo man sich im Folgejahr auf "London Calling" häufiger austoben sollte. Es ist ein sehr direkter Weg in Richtung klassischen Rock 'n' Roll und Blues Rock, auf den sich die Band hier begibt. Kritik daran gibt es aber keine, was zuallererst ausgerechnet BÖC-Leihgabe Allen Lanier und dessen grandioser, mit Klischees spielender Klavierdarbietung zu verdanken ist. Wie pudelwohl sich die Band und vor allem Strummer um ihn herum und damit in bis dahin nicht betretenem Terrain fühlen, merkt man umgehend an der Lockerheit, mit der der Song dahinrollt. Dazwischen hat man nun English Civil War und Tommy Gun, die beide - vor allem letzterer - im traditionelleren Clash-Stil dargebracht werden und dementsprechend nichts Gröberes bemängeln lassen. Dass man da jetzt nichts von der langanhaltenden Macht von I'm So Bored With The U.S.A. aufgetischt bekommt, muss einem zwar klar sein, dass man genug Grund hat, Mick Jones' Riffs und Topper Headons facettenreichere Drumperformances trotzdem zu genießen, ist aber auch ziemlich deutlich.
Folglich ist "Give 'Em Enough Rope" ziemlich versöhnlich, bevor es einen enttäuscht. Möglicherweise ist das ein Fehler, weil es das Album damit rückblickend uninteressanter und unspektakulärer erscheinen lässt, als es eigentlich ist. Andererseits sind die Songs teilweise schon sehr weit weg von der mitreißenden, angriffigen Art des Debüts. Der Nachfolger klingt mitunter zahm und gebändigt, ohne sich dabei gleichzeitig musikalisch so abenteuerlustig und kurzweilig zu präsentieren wie auf "London Calling." Das Ergebnis ist manchmal ernüchternd nüchtern und durchschnittlich, an den nötigen Stellen aber weiterhin ein Beweis für die manchmal überwältigenden Qualitäten der Londoner Band. Überwältigt ist man diesmal zwar nicht, unterhalten wird man aber weiterhin ganz ordentlich, was immer noch bedeutet, dass man hier in den riesigen Schatten der beiden strahlenden Klassiker drumherum agiert.