von Kristoffer Leitgeb, 03.09.2020
Wenn ein Ende mit Schrecken und ein Schrecken ohne Ende zu einem Album verschmelzen.
Hier sollte eigentlich zur Eröffnung der allseits bekannte Stehsatz "Geschichte wiederholt sich." stehen, versehen mit einem Verweis darauf, dass eine Band mit Namen The Velvet Underground nur etwas mehr als Jahrzehnt früher ein ähnlich unrühmliches Ende genommen hat. Davon wurde abgesehen, weil die Parallelen dann doch endenwollend sind. Lediglich die vorangegangenen Auflösungserscheinungen von The Clash und der Status des finalen Albums als Hassobjekt und Verunreinigung eines ehrenvollen Namens erinnern überdeutlich an die letzten Tage der legendären Avantgarde-Rocker. Und selbst das ist ein unsauberer Vergleich, denn die britischen Punker hatten auch beim bitteren Ende noch ihren Anführer, Joe Strummer, der sich nach dem Zerfall der ursprünglichen Bandbesetzung bzw. dem Rauswurf von Mick Jones im Jahre '83 zu einer Art musikalischem Revolutionsführer aufschwingen wollte. Dafür sollten die punkigen Tage der Band noch einmal zum Leben erweckt und Jones' zunehmende Vorlieben für Reggae, Hip-Hop und allerlei Elektronik aus dem Fenster geschmissen werden. Kurzzeitig sah das sogar machbar und The Clash 2.0 nach einem möglichen Erfolg aus, wären da nicht persönliche Schicksalsschläge, fatale Fehlentscheidungen und ein gewisser Bernie Rhodes gewesen, die "Cut The Crap" zu einer riesigen albumgewordenen Katastrophe haben werden lassen.
Die ganzen vorangegangenen und umgebenden Ereignisse hier zusammenzufassen, würde komplett den Rahmen sprengen, so wichtig sie auch sind. Wer dazu die nötigen Details will, dem wird in diesem Artikel erstklassig geholfen. Der Rest muss mit einer Ultrakurzfassung vorlieb nehmen: Drummer Topper Headon wegen seiner Drogensucht rausgeschmissen, Mick Jones nach immer größer werdenden Spannungen zwischen ihm, Joe Strummer und allen anderen Beteiligten ebenfalls entfernt, standen nur mehr Strummer, Simonon und eine komplett neu zusammengesuchte Truppe da, um irgendwie gemeinsam das musikalische Feingefühl und die Songwriting-Fähigkeiten von Jones zu ersetzen. Einige vielversprechende Writingsessions und kürzeren Touren später zerfiel das ambitionierte Projekt, nachdem Strummer mit den Erwartungen an ihn, vor allem aber mit dem Tod seines verhassten Vaters und wenig später der Krebserkrankung seiner Mutter emotional schwer zu kämpfen hatte, sich mehr und mehr vom Projekt verabschiedete. So übernahm Bernie Rhodes die Kontrolle über so ziemlich alles. Seines Zeichens Bandmanager ohne große Fähigkeiten als Produzent oder Musiker, entwickelte Rhodes schon davor gegenüber der Band diktatorische Tendenzen und übernahm irgendwann die Aufnahmen für "Cut The Crap" in Eigenregie.
Daraus geworden ist ein unfassbares Machwerk, zu dem kaum ein Bandmitglied sonderlich beitragen durfte, sieht man von Joe Strummer, der sich mit Rhodes alle Songwriting-Credits teilt, ab. Paul Simonon wurde von Rhodes für die Aufnahmen durch Norman Watt-Roy ersetzt, Drummer Pete Howard, der seinen Teil zum härteren Sound der neuen Clash-Version beitrug, fiel überhaupt zur Gänze der Drum Machine zum Opfer, die Gitarristen Nick Sheppard und Vince White durften erst gegen Ende der Produktion mitspielen. Das ergibt verdammt wenig musikalischen Input durch die Band. Rhodes' Alleinherrschaft über die stilistische Ausrichtung hat jedoch zur Folge, dass das Album vom ersten Ton an nichts als ein unfassbares klangliches Chaos, eine komplett unkoordinierte, geschmacklose Vermengung synthetischer Sounds, Samples und miserabler Gesangsbeiträge ist. Wobei von letzterem Strummer zumindest phasenweise auszunehmen ist, gibt sich der nominelle Leithammel doch meist leidenschaftlich, während er von den umgebenden Sounds regelrecht erdrückt wird und sein klassisch hingerotzter Gesang im Soundgewirr untergeht. Nirgendwo kann man dieses unrühmliche Spektakel eher erleben als im Opener Dictator, dessen bizarre Vermengung der Drum Machine, schriller, komplett unrhythmischer Synth Trompeten, in den Hintergrund gedrängter Riffs, grundlos eingebauter Radioschnipsel und unkoordinierter Chants eine einzigartige Erfahrung darstellt. Und - ich bin wohl der erste und einzige Mensch auf dem Planeten, der das sagt - irgendwie ist das so unpackbar merkwürdig, dass es halbwegs funktioniert. Wohl nur im Albumkontext und dank des Bonus, als Eröffnung noch ohne den Ballast anderer Songs daherzukommen. Aber das ist so chaotisch, dass man schon fast glauben könnte, da wäre irgendein anarchistischer Plan dahinter eine Clash-B-Side, drei komplett unabhängig voneinander enstandene Synth-Loops und Revolution #9 zu einem Song zu kombinieren. Schwierig, aber bizarr genug, um irgendeinen positiven Eindruck zu hinterlassen.
Der Rest? Not so much. Tatsächlich ist das übrige Album im Vergleich mit einem solchen Opener ziemlich geordnet, was nach normalen Maßstäben jedoch immer noch bedeutet, dass hier blankes Chaos herrscht. Und es ist nicht mal koordiniertes Chaos, sondern wirkt, als hätte Rhodes während des Zusammenschnipselns der Songs einen Schlaganfall gehabt. Wahrscheinlicher ist, dass er einfach nur absolut keinen Plan und keinen Geschmack hatte. So kommt dann die grausame Lächerlichkeit We Are The Clash heraus, die nach einer dreckigen Version von We Built This City klingt, dabei aber noch mehr falsch macht. Die verunstaltet glatten, röhrenden Gitarrenriffs vertragen sich in keiner Weise mit den unpackbar wuchtigen Drums, Strummers ungeschliffener Gesang widerspricht beidem, die vereinzelt hörbaren elektronischen Einwürfe klingen höllisch billig und die das Album beherrschenden "Football Chants", die fast jeden Refrain prägen, sind eine Folter für die Ohren. Keine Hirnwindung ist dazu in der Lage, gedanklich in die Nähe der Motivation hinter diesen unsinnigen, unecht klingenden, synthetisch aufgebauschten und nach angesoffener Post-Derbysieg-Euphorie klingenden Background Chants so penetrant ins Zentrum eines Songs zu stellen wie hier. Auch abseits des Zentrums sind sie wie im bescheidenen, unrhythmischen Dirty Punk oder Cool Under Heat absolut nicht willkommen, allerdings immerhin nicht so unfassbar dominant wie in We Are The Clash, das ein ganz heißer Kandidat für den schlechtesten Clash-Song aller Zeiten ist.
Hin und wieder werden Anstalten gemacht, die Songs bzw. das Songwriting vom durch Rhodes verunstalteten Endprodukt abzukoppeln, um vielleicht versteckte Qualitäten zu entdecken. Das hat prinzipiell jedenfalls seine Berechtigung, weil niemand behaupten kann, dass Dictator, Play To Win oder das durch unfassbar mies klingende Synth Horns verzierte Movers And Shakers ohne diese klanglichen Verbrechen, ohne die Chants, die Drum Machine, die grässlich produzierten Riffs nicht um ein gutes Stück besser klingen könnten. Auf der anderen Seite sollte man vorsichtig sein mit einem daraus entspringenden Lob, weil Strummers Texte, sofern sie inmitten all des Lärms und seiner charakteristischen Darbietung verständlich sind, keine Anstalten machen, sonderlich gut oder gedankenreich zu sein. Stattdessen sind es vielfach Songs, die sich klischeehaft auf eine Punch Line hinbewegen und anderweitig eher suboptimale Aussagen wie jene von Cool Under Heat bereithalten:
"When the baby and you got to fight
Go cool your love in the rain
When the match refuses to strike
Show that you really are in pain"
Darüber hinaus ist die zweite Hälfte des Albums weitaus weniger von Rhodes' Produktionsexzessen geplagt - wahrscheinlich hat er die Lust verloren... - bekommt aber trotzdem kaum einen Fuß auf den Boden. Sie beginnt durchaus vielversprechend,
Wichtiger ist aber, dass auch die sonst deutlich straightere zweite Albumhälfte wenig hergibt, sondern nur weniger katastrophal ist als die erste. Play To Win ist langweiligstes Liedgut, das klanglich gar nicht viel falsch machen kann, weil in dem dahingestolperten Rock ohnehin nichts passiert. Selbiges gilt für das einmal mehr durch die Chants belastete Life Is Wild, das zwar mehr Energie und Kraft mitbringt, diese aber hauptsächlich in einem grässlich klingenden Dauerröhren der Gitarre verpackt. North And South wiederum bringt als weiterer ernüchterter Blick auf das Leben in der britischen Heimat textliches Potenzial mit, ist aber nicht nur von Rhodes klanglich zum schmalzigen Weltschmerz-Brocken verunstaltet, sondern als Ballade schon generell falsch konzipiert.
"Cut The Crap" eben. Es werden Erinnerungen an die glorreichen Synthesizer-Exzesse von "...Calling All Stations..." wach. Diese waren ähnlich beschissen, haben ähnlich abweisend und geschmacksverirrt geklungen. Hier bekommt man das in vergleichsweise hyperaktiver Form, wird zugeschüttet mit Synthesizern, Drum Machine, allerlei elektronischen Effekten und Soundschnipseln, die absolut keinen Zweck erfüllen und ohne jegliche Koordination zusammengepanscht wurden. Bernie Rhodes hat da wirklich ein Monster erschaffen. Zugegebenermaßen eines, dessen Grundmaterial schon von sehr beschränkter Qualität war, das aber definitiv nicht so grausam hätte enden müssen, wie es unter seiner quasi-Alleinherrschaft passiert ist. Ganz von jeder Schuld freisprechen sollte man Joe Strummer natürlich trotzdem nicht, immerhin war er es, der sich bis zum Schluss an Rhodes geklammert und auch einige der Soundentscheidungen mitgetragen hat. Letztlich ist es aber egal, wer der Schuldige sein soll. "Cut The Crap" ist einfach veritabler Müll, dem es nicht hilft, dass sich da vielleicht drei ordentliche oder zumindest positiv bizarre Songs finden, weil das Gesamtpaket solcher Schrott ist, dass man wirklich geschlaucht ist, wenn man ihn hinter sich gebracht hat. Immerhin kann man das aber dann auf der Liste der Lebensziele abhaken und hat sich einem unwirklich schlechten Teil der Musikgeschichte gewidmet, der das nun endgültige Ende einer legendären Band markiert.