2011: A Space Odyssey
Veröffentlichungsdatum: 13.09.2011
Rating: 7.5 / 10
von Kristoffer Leitgeb, 17.06.2017
Die Wiederentdeckung vernichteter Freiheit oder das Beste der 60er, 70er und von heute auf Khmer.
Einer der Vorzüge dieser Reise in die exotischeren Musikheimaten des Planeten ist die Tatsache, dass man oft genug skurrile und hintergründige Storys zu lesen bekommt über Entstehung und Bedeutung von Musik außerhalb der anglophilen Welt. Mehr noch, es bietet sich sogar zeitweise die Gelegenheit, eine kurze Geschichtsstunde abzuhalten. Genauso auch diesmal, wenn es in das Land geht, das mit Pol Pot einen Mann an der Macht hatte, dessen lächerlich wirkender Name wenig Aufschluss über seine Grausamkeit gibt. Müsste man sich entscheiden, er wäre wohl in der Liste der schlimmsten Diktatoren der Nachkriegszeit auf einem sicheren Podiumsplatz. Wie es sich nun für einen echten Pseudo-Kommunisten gehört, hat er Kreativität und Intellektualität verbannt - kleine Parallele zu Kuba und dem Schicksal des Buena Vista Social Club -, zur Sicherheit die westlich orientierten Pop- und Rockstars des Landes auch gleich noch in die Killing Fields geschickt und also umbringen lassen. Mit "2011: A Space Project" soll wenigstens eine musikalische Reinkarnation gelingen.
Und wiederum genauso wie in Kuba hat es dafür einen Außenstehenden gebraucht, der sich auf die Suche nach einheimischen Perlen begibt. Julien Poulson fand Srey Thy singend in einer Karaoke-Bar und mit ihr die richtige Stimme, um sich der Klassiker des Landes anzunehmen. Die klingen übrigens weniger kambodschanisch, als man glauben könnte. Im Gegenteil, was das Cambodian Space Project ausmacht, ist eben gerade eine kompromisslose Fortsetzung dieser Aufnahme westlicher Einflüsse, die die gecoverten Größen des Landes bereits in den 60er- und 70er-Jahren ausgemacht hat. Deswegen ist es ganz eindeutig Rock, ganz eindeutig Blues, ganz eindeutig ein Spritzer Funk und Ska, den man da heraushört, wenn die Band mit frenetischen Riffs, der unabdingbaren Verstärkung durch Akkordeon und Mundharmonika und der aufgestauten Energie verlorener Jahrzehnte loslegt. Nichts davon klingt übermäßig präzise, durchgeplant oder auf kleinste Details getrimmt. Die Spontanität spricht viel eher aus dieser LP. Und Frau Thy. Ohne sie und ihre impulsiven, unbeschwerten, selbstsicheren Performances wäre von Opener Love Like Honey - eigentlich Snaeha Dok Toek Khmom, allerdings wie alle folgenden Titel übersetzt - hier alles weniger wert.
Wobei man die Musik nicht vergessen darf. Die geht jetzt in vielen Fällen nicht auf die Kappe der zusammengestückelten Band, sondern ist das Vermächtnis Verstorbener oder aber gar eine Leihgabe von Shocking Blue, deren Hit Venus als musikalisches Unterfutter für die Zeilen von Ros Serey Sotheas Love God dient. Abseits lästiger Urheberrechtsfragen bleibt aber das wichtige Verdienst der spielfreudigen Instrumentalfront, dass man sich in dem Konglomerat aus Genres zurecht- und darin die notwendige Vitalität findet, um sich des gealterten Materials anzunehmen und trotz modernem Anstrich befreiten Rock 'n' Roll zu bieten, wie man ihn sich wünscht. In seiner trockensten Version würde der wohl kaum die ohnehin sehr kurz gehaltene Laufzeit überstehen. Dem entgeht die Band zwar weniger durch etwas, das als genuin kambodschanisch empfunden werden könnte, dafür allerdings mit den notwendigen Rhythmen, einer in Anbetracht der von allen Erdteilen rekrutierten Mitglieder überraschenden Harmonie und natürlich durch ein starkes Gefühl dafür, wie man mit Violine oder der Ziehharmonika für einen exotischen Touch sorgt.
Gut, den gibt es sowieso, den Texten und der Stimme sei Dank. Srey Thy kann man zwar kaum ankreiden, unglaubliche gesangliche Qualitäten an den Tag zu legen, dafür eine Ausdruckskraft und einen Hang zur exzentrischen Akrobatik, die spätestens mit dem von der Band selbst geschriebenen Have Visa, No Have Rice komplett aufgeht und noch dazu, wenn man denn die Übersetzung der Lyrics finden kann, einen schrägen Humor offenbart. Man muss allerdings unweigerlich zustimmen, wenn Thy damit hadert, in Frankreich zwar Bleiberecht genießen zu können, aber überall nur Baguettes, nirgendwo aber den geliebten Reis vorgesetzt zu bekommen. Sowas darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Ein bisschen schade ist es da, dass man sich abseits dieser Perle wirklich nur dem altgedienten Liedgut widmet. Zumindest Potenzial für mehr scheint da zu sein. Wobei dieses Mehr durchaus auch geliefert wird in Form von Serey Sotheas Hit I'm Sixteen und dessen agilen Vocals inmitten eines abgehackten Riffs und spröder Riffs, die sich gar zu einem bluesigen Solo mitsamt der nötigen Mundharmonika-Begleitung steigern. Gleiches gilt für Wait 10 Months More oder den saxophonverstärkten Klassiker Dancing A Go Go von Kambodschas "King Of Rock" Sinn Sisamouth persönlich.
Ganz egal also, wer was geschrieben hat oder wo vielleicht verschenktes Potenzial für Großes schlummert, dieses Album ist auf seine eigene Art wertvoll. Weil es ein wunderbarer Anachronismus ist, der sich mit offensichtlicher Hingabe Songs widmet, die in ihrer unbeschwerten, trotz durchaus deftiger Gitarrenarbeit leichtfüßigen und elektronikfreien Art wunderbar unzeitgemäß daherkommen. Gewürzt mit dem nötigen Humor und dem Hang dazu, manch Außenseiter unter den Instrumenten einen Platz zu geben, wird "2011: A Space Odyssey" damit zu einer halbstündigen Übung in ausgelassener Unterhaltung und zu einem Kaleidoskop des kambodschanischen Psych-Rock, der das Land zusammen mit dem zunehmend westlicheren Pop bis Mitte der 70er nachhaltig geprägt hat. Für das Hörerlebnis ist dieser Umstand, dass das Cambodian Space Project - so nebenbei Lieblingsband des kambodschanischen Königs! - die musikalische Wiederentdeckung der heimischen Größen vorantreibt, eher nebensächlich. Da bleibt aber ohnehin guter Rock inklusive der insgeheim schönsten Sprache der Welt als Ersatz.